Bis zur Autobahn A 94 sind es nicht einmal 100 Meter, das ist sehr praktisch. Denn wenn die Lieferwagen schnell vom Hof fahren können, dann wird der Salatkopf auch am anderen, westlichen Ende von München, beispielsweise im Stadtteil Nymphenburg, noch knackfrisch ankommen. Und das will der Versandhändler Amazon ja: frische Lebensmittel liefern - und zwar so schnell wie möglich oder zur bestellten Uhrzeit. Als gruselige Vorstellung für Deutschlands Lebensmittelkonzerne geistert dieses Vorhaben des US-Konzerns schon seit Längerem umher.
Doch was sich da im Gewerbegebiet Hüllgraben im Münchner Osten tut, ist weit mehr als nur ein Vorhaben. Dort entsteht derzeit eine Logistikhalle, von der aus die ersten Salatköpfe, Gurken und Paprika voraussichtlich im Sommer oder Spätsommer dieses Jahres versandt werden könnten. Es ist eine Logistikhalle auf zwei Etagen, insgesamt 15 000 Quadratmeter Fläche. Ein Ladetor liegt im zweiten Stock. Der Bau sieht schon recht fertig aus: Unter dem Dach zieht sich ringsherum ein von Weitem sichtbarer gelber Streifen, der auf Amazon deutet. Zur Autobahn hin wartet ein Pförtnerhäuschen darauf, verputzt zu werden. Und dahinter harren gummibedeckte Ladetore des ersten Lkw. Aber ist das auch wirklich das Amazon-Fresh-Lager?
"Amazon macht das"
Ja, das pfeifen hier sogar die Bauarbeiter von den Dächern. Im oberen Stock befinden sich die Kühlräume. Das ist der entscheidende Punkt. Denn ohne Kühlraum keine frischen Lebensmittel. Dass es nun bald in München und auch in Berlin losgeht, bestätigt ein Insider, der mit Amazon Fresh befasst ist. Amazon selber sagt zu den Plänen offiziell nichts, das tut der Konzern nie. Ein Sprecher sagt nur: "Wir haben dazu keine Ankündigung gemacht." So handhabt das Amazon meistens: Die Vorhaben werden erst bestätigt, wenn sie schon laufen. Bis dahin lässt Amazon Konzern-Mitarbeiter Kunde spielen und testet, ob ein neuer Service reibungslos funktioniert. Erst dann verschickt Amazon die offizielle "Ankündigung". So war es auch im August 2016, als der Konzern in München seinen schnellen Lieferservice "Prime Now" in Betrieb nahm.
Bei den Fachleuten wirkt die Geheimniskrämerei längst nicht mehr. "Amazon macht das", ist sich Jens Torchalla, Partner der Beratungsfirma Oliver Wyman, sicher. "Sie haben heute schon mit Prime Now ein Team und Angebot und werden das weiter ausbauen." Amazon hat zudem kräftig Personal rekrutiert, auch bei Wyman.
So ein Bauvorhaben lässt sich eh schlecht geheim halten. Es gibt einen Bauantrag und ein Aktenzeichen. Zudem stellte Andreas Fleischer, der Deutschland-Chef des britischen Immobilienentwicklers Segro, das Projekt im Bezirksausschuss Bogenhausen vor, wobei er das Wort Amazon tunlichst vermied.
Hauptgeschäft zwischen sieben und 22 Uhr
Dem Vernehmen nach hat er gesagt, dass hier pro Tag zwischen zehn und zwanzig Lkw-Anlieferungen kommen sollen. 150 "Zustellfahrzeuge", meist Mercedes Sprinter, würden dann vom Hüllgraben aus bis vor die Haustüren der Kunden fahren. Das Hauptgeschäft solle zwischen sieben und 22 Uhr stattfinden, es werde aber auch eine begrenzte Zahl von "Nachanlieferungen" geben.
So treibt der US-Konzern seinen Weg vom Online-Buchhändler zum Allesverkäufer voran. Im Februar schloss Amazon einen Kooperationsvertrag mit der Supermarktkette Tegut, die zum Schweizer Migros-Konzern gehört. Tegut beliefert Amazon mit etwa 5500 Lebensmitteln aus dem "Trockensortiment", also Mehl, Nudeln oder Kekse. Auf die Frage, ob Tegut Amazon demnächst auch frische Lebensmittel liefert, die auch gekühlt werden müssen, sagte eine Tegut-Sprecherin: "Falls Amazon sein Angebot erweitern will, stehen wir für Gespräche zur Verfügung."
In Großbritannien, wo leuchtend grüne Lieferwagen von Amazon Fresh bereits durch die Straßen kurven, verbindet Amazon seinen Online-Supermarkt mit einem Marktplatz für lokale Händler. Auf der Insel müssen Fresh-Kunden Prime-Mitglieder sein und zusätzlich eine Liefergebühr zahlen. Viele Fachleute rätseln, wie Amazon die Kosten hierzulande in den Griff bekommen will.
Aber alle in der Branche zittern vor Amazon, auch die Großen. "Wahrscheinlich wird nicht nur Staub aufgewirbelt, sondern ein Sturm entfacht", prophezeit der scheidende Rewe-Chef Alain Caparros. Dabei ist Rewe noch relativ gut gerüstet für den aufziehenden "Verdrängungswettbewerb". Edeka hat eigentlich nur Bringmeister, den Online-Service von der eben übernommenen Supermarktkette Kaiser's Tengelmann zu bieten.
Lidl würgte den Start von Lidl Express hingegen kürzlich wieder ab, aus Kostengründen und weil die Expansion in den USA Vorrang hat. Kaufland hingegen liefert online. Bei Aldi ist man überzeugt, dass sich der Online-Handel mit Obst und Gemüse nicht rechnet, nicht in Deutschland weil Kunden hier an jeder Ecke Lebensmittel kaufen können und die Margen gering sind.
Amazon macht's trotzdem. Und eine Studie von Oliver Wyman sagt voraus, dass einige Supermärkte in Deutschland diesen "Angriff" nicht überleben werden.