Kommentar:Schluss mit den Anrufen

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Benjamin Emonts (Foto: Bernd Schifferdecker)

Kranke zu Hause anrufen, um sie zu kontrollieren? Damit sollten die gesetzlichen Kassen sofort aufhören. Denn dies ist ein unwürdiges Vorgehen.

Von Benjamin Emonts

Noch in den Sechzigern gab es einen Beruf, der nannte sich Krankenkontrolleur. Versicherungen entsandten diese Leute, um Kranken ungefragt einen Besuch abzustatten. Sie klingelten, grüßten nett und prüften, ob der Kranke auch artig das Bett hütete. Diese Hausbesuche - ein Glück - gibt es heute nicht mehr, doch gesetzliche Kassen haben neue Wege gefunden, um Langzeitkranke zu kontrollieren. Anstatt an der Tür zu klingeln, rufen sie unangemeldet an. Mit bohrenden Fragen versuchen sie, chronisch Kranke möglichst schnell aus dem Krankengeld zu drängen. Es ist ein perfides Spiel, das die Kassen da teilweise treiben.

Besonders stark leiden darunter Menschen mit psychischen Erkrankungen, also diejenigen, die ohnehin großen Druck verspüren, ihrem Alltag nicht gewachsen zu sein. Solche Anrufe schüren zusätzlich finanzielle Ängste. Schon allein aus Rücksicht vor diesen Menschen müssen die Anrufe aufhören. Der Staat hat dafür zu sorgen, dass Kranke vor solchen Machenschaften geschützt werden. Es braucht mehr Aufklärung, mehr Transparenz und mehr Kontrolle über die Versicherungen. Sie müssen klare Grenzen gezeigt bekommen.

Eine bessere Aufklärung ist erforderlich, da Kranke ihre Rechte oft nicht kennen. Viele wissen nicht, dass sie sensible Daten nicht preisgeben müssen. Und die Krankenkassen sind gar nicht daran interessiert, dass die Kunden ihre Rechte kennen - schließlich profitieren sie davon, wenn Patienten über den Verlauf ihrer Krankheit sprechen. Deshalb müssten die Kassen dazu verpflichtet werden, ihren Kunden genauer als bisher mitzuteilen, wofür die erhobenen Daten später genutzt werden können. Dies sollte auf sämtlichen Infoschreiben und Selbstauskunftsbögen geschehen. Es muss klar sein, dass die Angabe sensibler Daten den Patienten erhebliche Nachteile bringen kann. Besonders gilt dies, wenn Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit bestehen. Die Patientenangaben können mitentscheidend sein, dass der Medizinische Dienst mit einer Überprüfung des Falls beauftragt wird.

Die Kassen selbst müssten gründlicher geprüft werden

Wenn die Fragebögen der Kassen vereinheitlicht würden, könnte dies für mehr Transparenz sorgen. Bislang hat quasi jede Krankenkasse ihre eigenen Bögen, auf denen mal diskreter, mal indiskreter nachgefragt wird. Auch dieser Spielraum wird missbraucht, um an viele Daten zu gelangen. Nicht von ungefähr hat das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) bei Prüfungen immer wieder Mängel bei entsprechenden Formularen moniert.

Überhaupt sollten Aufsichtsbehörden wie das BAS die Kassen öfter und gründlicher kontrollieren. Im Jahr 2020 führte die Behörde überhaupt keine Prüfungen durch, obwohl in den Vorjahren immer wieder Verstöße festgestellt worden waren. So wurden etwa Patienten ohne die erforderliche schriftliche Einwilligung einfach angerufen. Die Ergebnisse dieser Prüfungen sollten klar kommuniziert werden. Bürger haben ein Recht zu erfahren, welche Versicherung wann und wie gegen welche Vorschrift verstoßen hat, auch bei Einzelfällen. So ließe sich auch der Druck auf die Kassen erhöhen, ordentlich zu arbeiten.

Hilfreich wären dabei auch härtere Sanktionen. Wenn Kassen gegen Vorschriften verstoßen, sollten ihnen Wettbewerbsnachteile drohen. Doch bisher trat das Bundesamt für Soziale Sicherung als Rechtsaufsicht nur in einen "aufsichtsrechtlichen Dialog" mit dem Versicherer, der die Mängel beheben musste, ohne weitere Konsequenzen. Eine echte Abschreckung sieht anders aus. Versicherungen sollten öffentlich gebrandmarkt werden, wenn sie sich nicht an die Vorschriften halten. So könnten Kunden die Qualität ihrer Kasse besser einschätzen.

Zweifelsohne haben Kassen ein berechtigtes Interesse, sich vor Betrügern zu schützen. Allerdings sollten sie die Nachforschungen komplett dem unabhängig arbeitenden Medizinischen Dienst überlassen. Es muss eine klare Grenze gezogen werden. Aufdringliche Telefonanrufe gehören verboten. Wenn sich Patienten dadurch überrumpelt fühlen und nicht wissen, wie sie reagieren sollen, dann entsteht ein ungutes Machtgefälle. Dass Sachbearbeiter noch nicht einmal Konsequenzen fürchten müssen, wenn sie Grenzen überschreiten, ist unerhört. Problematisch ist nämlich, dass niemand den Inhalt des Telefonats rechtlich nachweisen kann. Mit Patienten, die durch chronische Krankheiten genug gestraft sind, muss sensibler umgegangen werden. Die Zeit der Krankenkontrolleure sollte allmählich vorbei sein.

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