Konjunkturprognose:Verhöhnung der Menschen

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Konjunkturoptimismus ist gut. Doch wenn aus Zuversicht Begeisterung wird, die sich allein an sich selbst berauscht, ist das töricht.

Claus Hulverscheidt

Als der Euro vor ziemlich genau zwei Jahren erstmals die Marke von 1,45 Dollar knackte, da schlugen deutsche Chefvolkswirte Alarm. Wenn das so weitergehe, so prophezeiten damals viele prominente Ökonomen zwischen Kiel und München, dann werde die europäische Industrie in den USA bald kaum noch Waren verkaufen. Die Produkte aus der alten Welt seien zu teuer, die Volkswirtschaften der EU massiv in Gefahr.

Es ist anzunehmen, dass die deutsche Wirtschaft dank Konjunkturprogrammen im Jahr 2010 um etwa ein bis zwei Prozent wachsen wird. Ob daraus ein echter Aufschwung wird, weiß niemand. (Foto: Foto: dpa)

In dieser Woche erreichte der Euro die damalige Marke erneut, nachdem er zwischenzeitlich ein Viertel seines Werts eingebüßt hatte. Krisengeheul aber war diesmal nirgendwo zu hören - aus einem einfachen Grund: Damals, im Sommer 2007, stand die Ökonomenzunft am Beginn eines bizarren Wettlaufs um die pessimistischste Konjunkturprognose, der starke Euro galt da geradezu als Menetekel.

Heute, zwei Jahre und eine Weltwirtschaftskrise später, ist dagegen Optimismus erste Ökonomenpflicht: Wenn derzeit überhaupt vom Euro die Rede ist, dann dergestalt, dass sich die Gemeinschaftswährung inmitten der Turbulenzen als Bollwerk erwiesen habe.

Seit dem Ende der Sommerpause ist praktisch kein Tag ins Land gegangen, an dem nicht irgendein Wirtschaftsforscher seine Konjunkturprognose angehoben hätte. Die Teilnehmer dieses neuerlichen Rennens hoffen nicht zuletzt auf eine ordentliche Schlagzeile, schließlich gehören neben den Ökonomen auch Journalisten - verhaltensbiologisch betrachtet - zu den Herdentieren.

Nun ist ein gesunder Optimismus sicher wünschenswert. Gefährlich aber wird es, wenn aus Zuversicht eine Begeisterung wird, die sich allein an sich selbst berauscht, und wenn Indizien, die nicht ins Bild passen, einfach vom Tisch gewischt werden.

Wer gar vom "Ende der Rezession" spricht, wie es jetzt US-Notenbankchef Ben Bernanke getan hat, verhöhnt die Menschen, denn vielen von ihnen steht statt dem Ende der Rezession erst einmal das dicke Ende der Krise bevor: die Arbeitslosigkeit. Zwar ist Bernankes Aussage technisch betrachtet richtig, da die Wirtschaft nicht mehr schrumpft. Was aber würde ein Bergsteiger sagen, der in eine Felsspalte stürzt und nach langem Fall verletzt am Boden liegt: Alles in Butter?

Nach den Regeln der Mathematik ist es plausibel anzunehmen, dass die deutsche Wirtschaft im Jahr 2010 um etwa ein bis zwei Prozent wachsen wird. Noch aber ist das allein Folge der riesigen Konjunkturprogramme, die weltweit aufgelegt wurden. Ob daraus ein echter Aufschwung wird, weiß niemand. Dagegen sprechen etwa die unverändert hohen Langfristzinsen, die die Angst der Märkte vor einem Inflationsschub widerspiegeln und die die Firmen belasten.

Hinzu kommt, dass die traditionell hohe Sparquote in Deutschland zuletzt gesunken ist, weil viele Menschen - um die Abwrackprämie mitzunehmen - ein Auto gekauft haben. Sie werden von 2010 an ihre Konten wieder auffüllen und damit den Konsum drosseln. Und noch ein scheinbar in sich widersprüchliches Phänomen wird die Binnennachfrage belasten und die allgemeine Stimmung trüben: Die Wirtschaft wächst - und zugleich wächst die Arbeitslosigkeit. Viele Firmen haben nämlich bereits festgestellt, dass ihre noch aus Boom-Zeiten stammende mittelfristige Absatzplanung obsolet ist. Sie werden entsprechend Stellen abbauen.

Auch viele der Indikatoren, die die Optimisten für sich auf der Habenseite verbuchen, eignen sich bei genauerem Hinsehen nur bedingt als Hoffnungszeichen. Die Börsenkurse etwa steigen nicht deshalb mit wahnwitzigem Tempo, weil alle so zuversichtlich wären, sondern weil die Händler nicht wissen, wohin mit der Flut an billigem Notenbankgeld.

Auch der Anstieg des Außenhandelsüberschusses ist weniger auf steigende Exporte als vielmehr auf sinkende Importe zurückzuführen - ein eklatantes Schwächezeichen. Und schließlich: Selbst wenn die Wirtschaft über 2010 hinaus wachsen sollte, wird Deutschland frühestens 2012, eher 2013, wieder das Wohlstandsniveau des Jahres 2008 erreichen. Um beim Bild vom Bergsteiger zu bleiben: Die schwierige Bergung des Verletzten aus der Felsspalte hat gerade erst begonnen.

© SZ vom 18.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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