Wirtschaftspsychologie:Positiv denken, negativ testen

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Zum Jahreswechsel nehmen sich viele Menschen Dinge vor: mehr Sport machen, gesünder essen, die Familie öfter besuchen. Warum nicht einfach mal: positiver denken? (Foto: Jeffrey Greenweg/imago images)

Der Mensch neigt zum Pessimismus. Doch der wird schnell zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Es ist Zeit für einen guten Vorsatz.

Kommentar von Kathrin Werner

Selbst die üblichen Whatsapp-Grüße, die man in diesem Jahr so bekam zum Jahreswechsel, hatten etwas Düsteres an sich. "Frohes Neues, trotz allem!", wünschte der eine. "Hoffentlich ist dieser Albtraum dieses Jahr vorbei", schrieb der andere. Vielleicht hätten diesem Silvester doch ein paar Böller gut getan, um die bösen Geister zu vertreiben. Vor allem einen bösen Geist: den Pessimismus.

John Maynard Keynes hat über Animal Spirits geschrieben, animalische Geister. Es sind menschliche Emotionen oder Instinkte, die die Wirtschaft herunterziehen oder antreiben, obwohl sie mit der Realität wenig zu tun haben. In diesem Jahr ist ein kollektiver Pessimismus zwar nicht komplett unerklärlich. Er kommt von immer neuen Corona-Varianten, störrisch niedrigen Impfquoten, allgemeiner Erschöpfung und so weiter. Trotzdem ist es wichtig, dass sich die Menschen dem Pessimismus nicht ergeben. Denn er ist eine selbsterfüllende Prophezeiung.

Wenn zum Beispiel zu viele Menschen glauben, dass die Inflation steigt, steigt sie tatsächlich. Die Leute fordern höhere Löhne, um sich weiter Lebensmittel und Benzin leisten zu können, von denen sie erwarten, dass sie teurer werden. Die Unternehmen antizipieren das und erhöhen die Preise ihrer Produkte, um die steigenden Löhne bezahlen zu können. Ein Teufelskreis. Wer glaubt, der Kampf gegen den Klimawandel sei schon verloren, erfindet keine tolle Technik, um ihn aufzuhalten. Pessimismus macht Menschen ängstlich, wütend und ausgrenzlerisch und treibt sie Populisten in die Arme.

Optimismus dagegen bewirkt das Gegenteil. Zufriedene Menschen geben mehr Geld aus. Und wenn die Menschen mehr Geld ausgeben, geht es bergauf mit der Konjunktur. Eine Studie der Universität Miami belegt, dass in US-Bundesstaaten, in denen die Menschen optimistischer sind, unter anderem weil das Wetter dort besser ist, auch die Rezession weniger tief war und die Erholung schneller verlief. "Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie", sagte Ludwig Erhard.

Unser Gehirn ist auf Pessimismus programmiert

Nun ist es so, dass das Gehirn des Menschen von Natur aus zu negativem Denken veranlagt ist. Der Kolumnist Andreas Kluth schrieb gerade über diesen Negativity Bias, der an unseren Vorfahren liege, die in ihren Höhlen und Steppen schlicht eher überlebten, wenn sie Risiken überproportional viel Aufmerksamkeit schenkten. Unsere Wahrnehmung ist verzerrt, was zum Beispiel dazu führt, dass wir uns an negative Kritik viel deutlicher erinnern als an Lob. Das kostet den Einzelnen viel Lebensglück und die Allgemeinheit einen Teil des Aufschwungs.

Die Zukunft gibt Anlass zur Hoffnung, schließlich wird immer öfter künstliche Intelligenz den Menschen Prognosen abnehmen. Der Robo-Advisor hat keinen Platz für Animal Spirits, wenn er vorschlägt, das Geld in den ETF zu stecken. Künstliche Intelligenz sollte, wenn sie nicht falsch mit Informationen gefüttert wurde, Entscheidungen schlicht aus der Vergangenheit ableiten.

Das entlässt den Menschen allerdings nicht davon, an sich zu arbeiten. Ein Optimismus-Schalter lässt sich natürlich nicht im Hirn umlegen. Doch man kann positives Denken üben. Ein erster Schritt wäre, sich die neuronale Veranlagung zum Pessimismus bewusst zu machen und zu versuchen, die Realität neutraler zu analysieren. Welche Krisen die Menschheit doch schon überwunden hat! Wie viel besser das Leben doch geworden ist, fast überall für fast jeden! Es ist auch eine Aufgabe für die Politik: Wenn sie erreichen will, dass das Leben und die Wirtschaft besser werden, muss sie glaubwürdig vermitteln, dass sie daran glaubt.

Vielleicht hilft doch ein Spruch, den viele Menschen zu Neujahr per Whatsapp verschickt haben und den es inzwischen sogar auf T-Shirts und Gesichtsmasken gedruckt gibt: Positiv denken, negativ testen!

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