Bundeshaushalt:Soziale Schieflage? Jetzt muss Deutschland umverteilen

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Die soziale Balance ist fragil in Deutschland im Jahr 2016 (Foto: imago/Ralph Peters)

Sigmar Gabriels Forderung nach einem Solidarpaket für arme Deutsche muss man ernst nehmen. Warum das Geld nicht dort holen, wo es reichlich vorhanden ist?

Kommentar von Alexander Hagelüken

Man kann Sigmar Gabriels Ausgabenforderungen für sozial Schwächere als frühen Wahlkampf einstufen. Als Selbstbehauptung eines SPD-Chefs, der um die Bedeutung einer schwindenden Volkspartei ringt. Sicher hängt der Vorstoß damit zusammen. Dennoch wäre es verkehrt, ihn abzutun. Gabriel rührt an eine Frage, die über den Zusammenhalt der Gesellschaft entscheidet: die soziale Balance, die nicht mehr stimmt. Diesen Sprengstoff sollte keiner ignorieren - auch nicht mit dem Argument, das Ziel einer schwarzen Null im Etat mache jede Diskussion überflüssig.

Deutschland hat seit der Jahrtausendwende viel getan, um im globalen Wettbewerb zu bestehen. Innovative, reaktionsschnelle Firmen. Flexible, moderat bezahlte Arbeitnehmer. Ein schlanker Staat mit maßvollen Steuern für die Unternehmen. Dieser Aufholprozess war notwendig. Sein Erfolg drückt sich darin aus, dass in Deutschland mehr Menschen einen Job haben als je zuvor.

Arbeit zu schaffen, ist sozial. Aber das reicht eben nicht aus. Bei der deutschen Modernisierungskur ist die Balance gekippt. Die Unternehmer- und Vermögenseinkommen stiegen von 2000 bis 2014 vier Mal so stark wie die Löhne. Fast jeder dritte Erwachsene besitzt nichts, oder nur Schulden. Wer arbeitslos wird, muss von sehr wenig leben. Der Aufstieg über Bildung gelingt schwerer als früher. In der unteren Hälfte der Gesellschaft fehlt Geld für vieles.

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Will Gabriel einfach nur neue Schulden machen, ist sein Plan gefährlich

Der Wohnungsmarkt zeigt beispielhaft, wie die Modernisierungskur das Land verändert hat. Der Staat verkaufte Hunderttausende Wohnungen, um die Etats zu sanieren. Dann trieb der Immobilienboom die Mieten hoch. Jetzt finden Geringverdiener in den Städten nichts Bezahlbares, was sich durch die Flüchtlinge verschärft. Wer mit dem Attest des Arztes zum Wohnungsamt geht, weil der Sohn vom Schimmel krank wird, erntet oft nur Schulterzucken - auch das gehört zur Realität im reichen Deutschland 2016.

Um eine bessere soziale Balance zu schaffen, bedarf es gezielter Ausgaben für die ärmere Hälfte. Für günstige Wohnungen. Für Bildung. Für Langzeitarbeitslose, die es bei den Firmen viel schwerer haben als früher. Die Bundeskanzlerin hat richtig gehandelt, Flüchtlinge in ihrer Not aufzunehmen. Doch zur Wahrheit gehört eben auch, dass die Ankommenden auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt nur mit jenem Teil der Gesellschaft konkurrieren, der wenig auf dem Konto hat. Ihnen zu helfen, wird die Akzeptanz der Migration erhöhen.

Aber wie lassen sich Ausgaben bezahlen, die Deutschland wieder zu einem gerechteren Land machen? Der SPD-Parteichef drückt sich um Klarheit. Falls er wirklich meint, die Regierung sollte einfach nur neue Schulden aufnehmen, ist sein Plan allerdings gefährlich. Nein, die schwarze Null sollte kein Dogma sein, das Debatten über Ausgaben von vorneherein verhindert. Ein Land, das wirtschaftlich so gut dasteht, kann sich vorübergehend Defizite leisten. Es kommt eben auf das Ausmaß an. Hemmungslose Schuldenpolitik, wie sie Südeuropa in die Krise stürzte, ist zum Nachteil der Bürger.

Die Regierung sollte prüfen, wen sie eigentlich fördern will

Um das soziale Gleichgewicht wiederherzustellen, sollte die Regierung deshalb auch an andere Möglichkeiten denken als an Schulden. Ein Weg wäre, sich das Geld dort zu holen, wo es reichlich vorhanden ist. Die Steuerreformen der vergangenen 20 Jahre begünstigten vor allem Gutverdiener und Firmen. Deshalb zahlen Millionäre auf ihre Kapitalerträge 25 Prozent statt wie früher den persönlichen Steuersatz. Und der größte Posten im Subventionsbericht der Regierung für 2016 sind acht Milliarden Euro, über die sich Erben einer Firma freuen können, die keine Steuern zahlen müssen. Beides passt nicht in eine Zeit, in der Reiche immer reicher geworden sind, während es bei Einkommensschwächeren eng wird und die Mittelschicht schrumpft. Umverteilung von oben nach unten macht es finanzierbarer, denen da unten zu helfen.

Die Regierung sollte aber auch generell prüfen, wen sie eigentlich fördern will. Vom 20 Milliarden Euro teuren Ehegattensplitting etwa profitiert vor allem die Mittel- und Oberschicht - und zwar dann am meisten, wenn nach dem Ideal der Fünfzigerjahre die Frau zu Hause bleibt. Das erscheint nicht nur angesichts des Ziels absurd, die weibliche Erwerbsquote zu steigern. Nein, effizient ist ein Staat dann, wenn er seine knappen Mittel jenen gibt, die sie wirklich benötigen.

Ausgaben umzuverteilen, um die soziale Schieflage zu korrigieren, wäre eindeutig eine nachhaltigere Politik, als einfach nur Schulden zu machen. Aber es ist eben auch schwieriger, es mit gut organisierten Interessen aufzunehmen.

© SZ vom 04.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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