Kommentar:Zum Glück zwingen

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Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Neue Firmen kommen in den Leitindex - und ihnen fehlen Vorstandsfrauen. Der öffentliche Druck wird die Dax-Neulinge bekehren.

Von Kathrin Werner

Ein Vorteil davon, in den Dax aufgenommen zu werden, ist mehr Aufmerksamkeit. Mit Aufmerksamkeit kommt Geld, weil viele Investoren lieber Aktien von Dax-Unternehmen kaufen, die sie kennen. Gleichzeitig kann Aufmerksamkeit auch ein Nachteil sein. Denn öffentliches Interesse führt dazu, dass sich Unternehmen nicht mehr durchmogeln können, was ihre gesellschaftliche Verantwortung angeht.

Am heutigen Montag erlebt der deutsche Leitindex eine kleine Revolution. Ab sofort sind statt 30 nun 40 Unternehmen im Dax vertreten. Schnell wird klar: Die Hälfte der Dax-Neulinge ist alles andere als vorbildlich, denn sie haben keine einzige Frau im Vorstand. Und das in einer Zeit, in der Unternehmen die Regenbogen-Fahne schwenken. In der Eltern ihren Töchtern erzählen, dass sie werden können, was sie wollen. Und in der Frauen etwa 80 Prozent aller Konsumentscheidungen treffen.

Nun ist es nicht so, dass alle Konsumentinnen erst einmal den Frauenanteil im Vorstand googeln, bevor sie sich entscheiden, ob sie das Produkt des jeweiligen Unternehmens kaufen. Doch wenn ein Unternehmen im Dax ist, wird zunehmend diskutiert, wenn Frauen bei den wichtigsten Entscheidungen nicht mitsprechen dürfen. Zumindest ein Teil der Kundinnen wird den Eindruck bekommen, dass dieser Konzern auf Frauen keinen Wert legt.

Zu den fünf neuen komplett von Männern geführten Dax-Unternehmen zählt die Porsche-Holding, die eine Mehrheit der Stammaktien am Volkswagen-Konzern hält, zu dem auch die nicht zufällig gleichnamige Sportwagen-Marke Porsche zählt. Porsche will weg vom "Männer in der Midlife Crisis"-Image, unter anderem mit einem rosafarbenen Autolack namens "Frozen Berry". Bei der Holding-Firma scheint man sich für Frauen dagegen nicht zu interessieren. Auch der Kochbox-Verkäufer Hello Fresh ist Dax-Neuling, will sicherlich nicht auf Frauen als Kundinnen verzichten, hält sie in der Führungsetage aber offenbar für entbehrlich. Die anderen drei rein männlich geführten Dax-Aufsteiger heißen Symrise, Sartorius und Brenntag. Sie alle müssen nun damit leben, dass man sie beim Namen nennt. Wer im Dax ist, wird nun einmal beim Namen genannt.

Moralische Pflicht, die Gesellschaft abzubilden

Judith Wiese, seit Kurzem im Vorstand von Siemens, spricht davon, dass ihr Arbeitgeber einen "gesellschaftspolitischen Auftrag" habe. Siemens, auch zuvor einige Zeit ohne Vorstandsfrau, müsse deshalb etwas tun für die Gleichberechtigung, auch in der eigenen Führungsriege, in der sie allein unter Männern ist. Das ist eine löbliche Haltung. Schließlich blicken BWL-Studentinnen und -Studenten auf Dax-Vorstände und wünschen sich, selbst mal auf diesen Stühlen zu sitzen. Aus dieser Vorbildfunktion leitet sich eine moralische Pflicht ab, die Gesellschaft abzubilden.

Doch es handelt sich nicht nur um eine Frage der Moral, sondern auch des Geldes. Studien zeigen immer wieder, dass heterogen geführte Unternehmen größere Geschäftserfolge erzielen. Das mag daran liegen, dass sich Kundinnen von ihnen eher angesprochen fühlen und auch daran, dass gemischte Teams nachweislich ausgewogenere Entscheidungen treffen. Auf gewisse Weise ist es noch ärgerlicher, wenn fünf rein männliche Dax-Aufsteiger die Wirtschaft ignorieren als nur ihre moralische Pflicht. Unmoralisches Handeln ist in der Marktwirtschaft schließlich nichts Neues. Unwirtschaftliches Handeln zeigt dagegen, wie wichtig es den Männern ist, unter sich zu bleiben. Wichtiger noch als Profit.

Der Frauenanteil in Dax-Vorständen sinkt nach der Erweiterung von 19 auf gerade einmal 17,6 Prozent - eine Schande im internationalen Vergleich. An der Diversität der deutschen Wirtschaft ändert sich nichts dadurch, es wird aber noch einmal deutlich, wie mies es um sie bestellt ist.

Letztlich ist es so, dass der Nachteil, den die steigende Aufmerksamkeit den Dax-Neulingen bringt, in Wirklichkeit ein Vorteil ist. Offensichtlich brauchen die Unternehmen den öffentlichen Druck, um Entscheidungen zu treffen, die sowieso gut für sie sind. Die Erfahrung lehrt: Dax-Aufsteiger ziehen fast immer die Frauenquote nach unten, passen sich dann an und holen Frauen in den Vorstand. Das ist gut für die Gesellschaft und die einzelnen Konzerne - egal ob es nun aus moralischen oder wirtschaftlichen Gründen geschieht oder einfach, weil es nervt, immer beim Namen genannt zu werden, wenn es um mangelnde Verantwortung geht.

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