NS-Vergangenheit:Audi beginnt erst jetzt wirklich mit der NS-Aufarbeitung

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Eine viersitzige Limousine vom Typ Audi 920 von 1938. Sechs Jahre zuvor waren die Firmen DKW, Horch, Audi und Wanderer zur Auto Union fusioniert. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Im Umgang mit der NS-Vergangenheit galt bei Firmen oft: Was immer auch passiert war - man konnte nichts dafür. Doch nicht nur der Staat war Täter.

Kommentar von Joachim Käppner

Norbert Wollheim, als jüdischer Deutscher in Berlin geboren, hatte in Auschwitz die Hölle erlebt. Er war Zwangsarbeiter für die I.G. Farben, die dort eigene Werke betrieb. Wollheim, der seine Familie im Holocaust verloren hatte und 1945 einem Todesmarsch der SS entkommen war, klagte 1950 gegen die Firma, die jede Verantwortung von sich wies.

Das Gericht aber zwang die I.G. Farben, Entschädigung zu zahlen - und zu einem Vergleich mit historischen Folgen: Ein Unternehmen, wenn es schon Sklavenarbeiter im Dienst eines Unrechtsstaates einsetzt, kann sich nicht auch noch selbst aus der Pflicht entlassen, diese wenigstens menschenwürdig zu behandeln.

Bis dahin hatte in westdeutschen Unternehmen die Abwehrlinie gegolten: Wir konnten nichts dafür, dass wir Waffen und Material für den Krieg hergestellt und Sklavenarbeiter eingesetzt haben; das Regime zwang uns leider dazu.

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Nach dem Urteil jammerten die Industrieverbände, sie seien Opfer einer "neuen Kollektivschuld". Bis zur Einsicht war es ein sehr langer, bis heute nicht ganz vollendeter Weg. Immerhin stellen sich immer mehr Unternehmen und Institutionen jener Gretchenfrage, die ihre Vorgänger so gründlich gescheut hatten: Wie hielten wir es mit den Nazis?

Die deutsche Wirtschaft und die Hitlertyrannei: Es ist eine endlose, triste Geschichte der Leugnung und Verdrängung, der Kaltherzigkeit und Arroganz. Sehr viele Firmen, kleine wie ganz große, hatten sich nicht nur hemmungslos durch Krieg und Okkupationen bereichert, durch "Arisierungen" und das System der Sklavenarbeit wurden sie selbst Teil der Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik.

Erst moderne Manager bringen den Wandel

Audi, das der eigenen Geschichte vergangene Woche eine Veranstaltung widmete, war dafür ein krasses, aber typisches Beispiel. Der Autobauer inszenierte sich als Pionierfirma made in Germany, erweckte aber den Eindruck, als sei diese erst 1945 auf wundersame Weise in dieses Deutschland gelangt. Dabei waren zuvor Tausende unter grauenvollen Umständen in den Rüstungswerken der Auto Union umgekommen. Audi brauchte besonders lange, um seine Schuld einzugestehen. Schon 2014 hatte eine Studie die Verbrechen der Auto Union benannt, Audi bekannte sich zur Aufarbeitung, ließ aber wenig Taten folgen. Eigentlich hat diese Aufarbeitung nun erst wirklich begonnen.

Eine Diktatur ist keine Naturkatastrophe, sie benötigt nicht nur Handlanger und Waffen, sondern auch sehr viele Menschen, die freiwillig zustimmen, sie stützen, von ihr profitieren wollen. Und genau das hat auch die Masse der deutschen Betriebe bis 1945 getan. Die deutsche Gesellschaft benötigte Jahrzehnte, um sich angesichts des Zivilisationsbruchs der NS-Herrschaft zu ihrer historischen Verantwortung zu bekennen. Aber insgesamt ist das gelungen, es bleibt AfD-Prominenz überlassen, die lächerliche alte Leier vom Schuldkomplex wieder anzustimmen.

Die Wirtschaft freilich hinkte der Aufarbeitung der Diktatur immer hinterher, als sei das eigene Handeln Privatsache und nur der Staat Täter gewesen. Erst seit der Jahrtausendwende versuchen viele Firmen, das so lange Versäumte nachzuholen. Den Anstoß gab die Debatte um die - ab 2000 endlich erfolgte - Entschädigung der früheren NS-Zwangsarbeiter. Denn hier ging es um die Wirtschaft selbst und das, was ihre Unternehmen unschuldigen Menschen angetan hatten.

Die alte, noch in das Geschehen verstrickte Generation der Firmenbosse ist längst abgetreten. Und die Zeit der nächsten, welche eine öffentliche Beschäftigung mit dem Einsatz von Konzentrationslagerhäftlingen, Mord und Terror auf dem Werksgelände und Kollaboration mit der SS als geschäftsschädigend betrachtete und höchstens beschwichtigende Gutachten dazu verfassen ließ, ist ebenfalls fast vorüber. Und bei allem ehrlichen Bemühen um historische Aufklärung: Heute erkennen moderne Manager, dass genau dieses Vermeidungsverhalten geschäftsschädigend ist, weil die Zivilgesellschaft es nicht mehr akzeptiert. Sie verstehen, dass niemand das Geschehene ungeschehen machen kann, indem er den Blick starrsinnig und furchtsam abwendet. Für dieses Übel hat Audi gestanden.

Vor mehr als sechs Jahrzehnten hat Wollheims Anwalt Otto Küster der I.G. Farben vorgehalten: "Die Beklagte hält es für richtig, zu fragen, aus welchem Rechtsgrund sie denn eigentlich den Häftlingen gegenüber verpflichtet gewesen sein solle, ihr Schicksal zu verbessern", und er gab die Antwort, die noch heute gilt: "Weil das Recht, das ihr das nicht zur Pflicht machen würde, diesen Namen nicht verdient."

In einer früheren Version dieses Artikels haben wir den Unternehmenszusammenschluss fälschlicherweise "Audi-Union" genannt. Richtig muss es natürlich "Auto Union" heißen.

© SZ vom 23.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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