Autobauer im Dritten Reich:Audi stellt sich endlich seiner dunklen Historie

Auto-Union, der Vorgänger von Audi

Das Logo des Herstellers Auto Union am Kühlergrill eines DKW Meisterklasse F7 von 1938. Das Audi-Vorgängerunternehmen beutete in der NS-Zeit Zwangsarbeiter aus.

(Foto: dpa)
  • Nach sieben Jahrzehnten stellt sich der Ingolstädter Autokonzern Audi allmählich seiner Vergangenheit im Dritten Reich.
  • KZ-Häftlinge mussten in den Fabriken während der NS-Zeit Zwangsarbeit leisten. Bei Audi tat man lange so, als ginge einen das Thema nichts an.
  • Nun gerät doch einiges in Bewegung - noch gibt es nämlich Zeitzeugen.

Von Uwe Ritzer, Zwickau/Ingolstadt

Eine runde Marke aus grauem Blech, etwas größer als früher ein Fünf-D-Mark-Stück. Darauf ist nur die Zahl 280 eingestanzt. "Ich musste sie vorne am Revers tragen", sagt Helga Kinsky, 88. Damals hieß sie noch Pollak und war 14 Jahre alt. Ein halbes Kind noch, halb verhungert, in zerlumpten Kleidern. 280 war ihre Arbeitsnummer. "Auf den Rücken malten sie uns mit Ölfarbe groß 'KL', damit man uns schon von Weitem identifizieren konnte." KL für Konzentrationslager.

Mehr als siebzig Jahre später erhielt die in Wien lebende Jüdin einen Brief aus Ingolstadt. "Sie gehören zu den Damen, die von 1944 bis 1945 von der Auto Union-Tochter Agricola GmbH unter unwürdigen Umständen ausgebeutet wurden und viel Leid erfahren mussten", heißt es da. "Hierfür möchten wir Sie aus tiefstem Herzen um Entschuldigung bitten." Es ist ein einfühlsam formuliertes Schreiben, in dem Audi verspricht, dieses "dunkelste Kapitel in unserer Historie" nun aufzuarbeiten und Helga Kinsky um Mithilfe bittet.

Dafür wurde es auch Zeit. Während andere Konzerne die Ausbeutung von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen in ihren Fabriken während der NS-Zeit bereits aufarbeiteten und Wiedergutmachung leisteten, tat man in der Ingolstädter Audi-Zentrale bis in die jüngste Vergangenheit so, als ginge einen das Thema nichts an. Unverdrossen wurde weiter Richard Bruhn als Neugründer der Audi AG nach dem Krieg gefeiert - obwohl unter seiner Ägide als Chef der Audi-Vorgängerin Auto Union Zehntausende Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge unter erbärmlichsten Umständen schuften mussten und viele dabei zu Tode kamen. Am schlimmsten ging es im tschechischen Leitmeritz zu, wo die Gefangenen Stollen in den Berg treiben und darin Panzermotoren bauen mussten. Historikern zufolge ging bis zu einem Drittel der zwischen 14 000 bis 18 000 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge zugrunde.

Früh und freiwillig war die 1932 aus den Firmen DKW, Horch, Audi und Wanderer fusionierte Auto Union eine NS-Rüstungsschmiede geworden, die Kübelwagen und Panzermotoren, Flak-Munition und Torpedos für Hitlers Krieg produzierte. Nach 1945 aber herrschte darüber weitgehend Schweigen. Audi inszenierte die eigene Historie samt jener der Vorgängerfirmen vor allem als glorreiche Erfolgsgeschichte von Fahrzeugpionieren, von begnadeten Tüftlern, versierten Technikern und mutigen Rennfahrern.

Erst ab 2010 und getrieben von kritischen Medienberichten, vor allem in der Wirtschaftswoche, näherte man sich dem Thema Zwangsarbeit. So entstand eine 2014 veröffentlichte Studie von Audi-Firmenhistoriker Martin Kukowski und dem Chemnitzer Geschichtsprofessor Rudolf Boch, die Aufsehen erregte, weil sie schonungslos ausfiel. Die Auto Union, so das Fazit der Forscher, sei "aus kriegswirtschaftlichem Interesse heraus in einem skandalösen Maße in den KZ-Komplex" der Nationalsozialisten eingebunden gewesen. Und zwar weitaus stärker und freiwilliger, als bis dahin bekannt. Das Unternehmen gab sich daraufhin zerknirscht - danach aber tat sich lange nicht mehr viel.

Die Zwangsarbeiter waren noch halbe Kinder

Montag dieser Woche im nach August Horch benannten Audi-Museum in Zwickau: Begleitet von ihrem Sohn und seiner Frau ist Helga Kinsky aus Wien angereist. Sie erzählt, wie sie als Kind einer bürgerlichen Wiener Familie in Theresienstadt und schließlich im Vernichtungslager Auschwitz landete. Und wie ein SS-Offizier sie gleich nach der Ankunft an der Rampe mit einem Fingerzeig zur Zwangsarbeit aussortierte. Anstatt sie, wie die meisten anderen des Transports, in die Gaskammern zu schicken. "Später sagte man mir, der Mann sei angeblich Josef Mengele gewesen", sagt Kinsky.

In offenen Viehwaggons ging es für sie und andere, hauptsächlich junge Gefangene von Auschwitz nach Oederan in Sachsen, in ein Außenlager des KZ Flossenbürg. Dort wurden sie, die meisten noch halbe Kinder, zur Zwangsarbeit für Agricola, respektive die Auto Union an Maschinen gestellt. "Ich musste meistens etwas Rundes schleifen", erinnert sich Kinsky. "Ich glaube, es waren Hülsen für Maschinengewehre." Eine Schicht dauerte zwölf Stunden, zu Essen gab es kaum etwas. Manchmal wusch sie auch Metallteile mit Salzsäure aus, ohne Arbeitsschutz. "Da durfte man aber wenigstens sitzen."

Audi finanziert inzwischen eine Stelle in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg

Ganz vorne unter ihren Zuhörern im Zwickauer Horch-Museum sitzt Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Seine Überzeugung ist, dass "zentraler Bestandteil der Erinnerungskultur in Deutschland auch die betroffenen Unternehmen sein müssen und man sie nicht auf Gedenkstätten abschieben darf." 2016 hatten er und Kinsky sich noch in einem Fernsehbeitrag kritisch über Audi geäußert. Der Tenor: Die Firma tut zu wenig und versucht, sich aus ihrer Verantwortung für die Ausbeutung und den Tod vieler Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge zu mogeln.

Tatsächlich geschah nach der Studie von 2014 nicht viel. Davon abgesehen, dass die firmeneigene Pensionskasse und eine Straße in Ingolstadt, die Bruhns Namen trugen, umbenannt wurden und eine ihn glorifizierende Tafel aus dem Audi-Museum entfernt wurde. Nun, im Juli 2018, sagt Skriebeleit: "In den letzten zwei Jahren hat sich bei Audi viel bewegt." Und ja, er sehe, dass viele "es mit der Aufarbeitung aufrichtig und ernst meinen".

Autobauer im Dritten Reich: Helga Kinsky ist eine der letzten Zeitzeuginnen.

Helga Kinsky ist eine der letzten Zeitzeuginnen.

(Foto: Stefan Warter)

Einer davon ist Peter Kober. Bisweilen verwandelt sich der Öffentlichkeitsarbeiter von Audi-Tradition, der historischen Audi-Sparte, in einen Geschichtslehrer. In Ingolstadt sitzen ihm Lehrlinge gegenüber. Kober referiert über die Firmengeschichte; das Thema Drittes Reich geht er frontal an. Besonders prägnant gerät ein Gedankenspiel: Die Azubis mögen sich einmal vorstellen, Audi-Betriebsratschef Peter Mosch und der Ingolstädter IG-Metall-Bevollmächtigte Johann Horn würden heute verhaftet und über Nacht von den Schergen einer neuen Regierung totgeprügelt. Nichts anderes sei mit dem Arbeiterführer in Zwickau geschehen nach der Machtergreifung der Nazis.

Ein paar Tage später fahren die Azubis in die KZ-Gedenkstätte nach Flossenbürg. Dort finanziert Audi inzwischen eine unbefristete, zusätzliche Stelle für politische Bildung, und zwar nicht bezogen auf die eigene Verwobenheit mit dem Konzentrationslager, das der Auto Union besonders viele Häftlinge überließ.

Auch sonst geriet einiges in Bewegung. Es gibt nicht nur für Lehrlinge Projekte, Vorträge und Seminare, in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Flossenbürg werden noch lebende ehemalige Auto Union-Zwangsarbeiter aufgespürt und ihre Zeitzeugenberichte dokumentiert. Vor allem beim Betriebsrat, den Jugendvertretern und im mittleren Management scheinen viele entschlossen, nichts mehr zu verleugnen und vor allem "für unsere Firmenkultur die richtigen Lehren zu ziehen", wie ein Audi-Betriebsrat in Zwickau sagt. Helga Kinsky hat dorthin ihre Plakette mit der Nummer 280 mitgebracht, als künftiges Ausstellungsstück. Audi hat auch Kinskys Geschichte in Film und Ton aufgezeichnet. "Weil wir die letzten Überlebenden sind", sagt sie, "danach ist alles schlimmstenfalls nur noch Geschichte."

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