Kolumne: Das Deutsche Valley:Coden für den Klimaschutz

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Hier wird nicht einfach nur programmiert, sagt Marika Lulay, hier geht es um "deep-deep tech". (Foto: Michael Dannenmann/GFT)

Marika Lulay ist eine der wenigen Frauen an der Spitze eines IT-Konzerns. Früher hat die GFT-Chefin selbst programmiert. Nun verfolgt sie eine Mission: Green Coding. Das Wort sollte man sich merken.

Von Marc Beise

Als Monika Lulay vor 19 Jahren zu GFT kam, lagen die Nerven blank. Gerade waren an den Börsen die IT-Aktien eingebrochen (Kenner sprachen vom Platzen der Dotcom-Blase), und um den Stuttgarter IT-Dienstleister stand es gar nicht gut. Als Vorstand fürs Operative stellte Lulay zusammen mit ihrem Chef, Unternehmensgründer Ulrich Dietz, den Mittelständler einmal auf den Kopf. Sie veränderten die Abläufe, reduzierten die Abhängigkeit von der Deutschen Bank, mit der GFT damals die Hälfte des Umsatzes machte, suchten neue Geschäftsfelder. Heute steht GFT bestens da, hat für dieses Jahr bereits zweimal die Prognose angehoben, erwartet jetzt 550 Millionen Euro Umsatz (nach 443 im Vorjahr) und 36 Millionen Euro Gewinn vor Steuern.

Dietz, nach wie vor der wichtigste Eigentümer des börsennotierten Unternehmens, hat sich an die Spitze des Verwaltungsrates zurückgezogen, und seine Vertraute Lulay führt den Konzern seit 2017 als CEO, zusammen mit CFO Jochen Ruetz und vier weiteren Regionalmanagern. Das Unternehmen hat mehr als 7000 Beschäftigte und ist sehr international. 95 Prozent der Menschen arbeiten außerhalb Deutschlands, auch 90 Prozent des Umsatzes werden im Ausland erzielt. Die meisten GFTler sind in Brasilien, jetzt streckt Lulay die Fühler verstärkt nach Asien aus: In der Pandemie, als man gar nicht reisen konnte, haben ihre Leute eine Dependance in Vietnam aufgebaut und machen in der Region schon mehr als zehn Millionen Euro Umsatz.

An dieser Stelle schreiben jeden Dienstag Marc Beise, Helmut Martin-Jung, Jürgen Schmieder und Kathrin Werner im Wechsel. (Foto: Bernd Schifferdecker/Bernd Schifferdecker)

GFT ist, was man einen hochintegrierten Konzern nennt: Die Hälfte der Beschäftigten arbeitet für Kunden in anderen Ländern, crossborder. "Wir sind IT-Dienstleister von den Haaren bis zur Sohle", sagt Lulay, "und haben alles im Programm, was man sich vorstellen kann." Cloud, künstliche Intelligenz, Blockchain, das ganze Programm: "Deep-deep tech." Und die Informatikerin weiß genau, worum es da geht: "Ich hab ja früher selbst programmiert." Jetzt hat sich ein neues Thema entwickelt: Green Coding. Der Antrieb dazu: Klimaschutz.

"Viel können wir in unserer Branche ja nicht tun." - Wirklich nicht?

Man kann sich fragen: Klimaschutz in einem Software-Haus ohne Fabriken, was soll das schon groß sein? E-Autos im Fuhrpark, mehr Umsicht beim Reisen, ressourcenschonendes Gebäudemanagement, und sonst? Und ja, sagt Lulay, so gingen auch die ersten Diskussionen im Vorstand: "Viel können wir in unserer Branche ja nicht tun." Diese Ansicht trug sie auch bei einem globalen digitalen Meeting aller Mitarbeiter vor. Widerspruch kam von einem Kollegen aus Madrid mit der Nachricht: Liebe Leute, ist doch eigentlich ganz einfach, wir müssen eben genau da ansetzen, wo unser Geschäft ist. Heißt: Die Software, die GFT für seine Kunden programmiert, muss energiesparend programmiert sein, und der Mitarbeiter hatte dafür auch gleich einen Namen: Green Coding.

Womöglich hätte die Firma sich das patentieren lassen können, aber das ist nicht Lulays Ding: Sie will andere nicht ausschließen, sondern einbeziehen, weshalb ihre Leute das mittlerweile ausgefeilte Konzept in diesem Frühjahr als Weißbuch offen ins Netz gestellt haben. Mit der Folge, dass sich immer mehr Kunden und sogar Nicht-Kunden dafür interessieren.

Was also kann man anders machen, wenn man auf Energieverbrauch durch Software achtet? Lulay nennt Beispiele: Standardmäßig wird Software so programmiert, dass die Endgeräte regelmäßig die Datenbank anfragen, ob Updates verfügbar sind. Kann sein, dass das routinemäßig im Minuten- oder Stundenrhythmus geschieht, obwohl die Datenbank nur einmal am Tag aktualisiert wird. Oder: Die Webseite lädt immer höchstauflösende Bilder - aber braucht es die für die konkrete Anwendung überhaupt? Solche Sachen verbrauchen viel Strom, sinnlos.

Banale Fragen seien das, sagt Lulay, aber in der Summe über all die vielen Anwendungen mit vielen Nutzern hinweg solche mit großer Wirkung. Will man hier zu besseren Ergebnissen kommen, muss man auf allen Ebenen tätig werden, müssen die Prozesse auf allen Stufen verändert, müssen Programmierer und Software-Architekten sensibilisiert werden.

"Mich erinnert das an meine Anfänge", sagt Lulay, heute 58 Jahre alt. "Als wir noch acht Kilobyte Arbeitsspeicher hatten und nicht wie heute Tonnen von Bytes, mit denen man verschwenderisch programmieren kann. Zurück zu den Anfängen der Informatik, als wir mit knappen Ressourcen haushalten mussten." Damals hießen diese knappen Ressourcen Rechnergeschwindigkeit und Speicherplatz, heute ist es der Energieverbrauch.

Seit dem Frühjahr bietet GFT der Belegschaft Schulungen an, freiwillig - und wird vom Ansturm überrannt, auch aus dem Kreis der Kunden. Das freut Lulay, ohne dass sie das Ganze gleich in eine neue Geschäftsidee gießen will, die man gewinnbringend an die Kunden verkauft. "Für mich ist das kein Produkt, sondern eine Haltung." Green Coding ist kein Beraterkram, sondern buchstäblich erdacht von Menschen, die den Job jeden Tag machen. "Firmen wie unsere, die unglaubliche Mengen an Software produzieren, haben da eine Verpflichtung", sagt Lulay. "Wir bieten die neue, klimaschonende Softwareentwicklung den Kunden an und hoffen, dass sie zugreifen."

Eine andere Frage ist, ob die Kunden nicht irgendwann zugreifen müssen. Die Anforderungen der Politik in Gestalt des EU-Green-Deals an klimaschonendes Wirtschaften auf allen Ebenen werden immer zupackender, und auch bei Investoren steht das Thema ganz oben. Lulay sagt: "Noch vor ein paar Jahren spielte der Klimaschutz in meinen Gesprächen mit unseren Eigentümern kaum eine Rolle, heute gehört er immer dazu."

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