María Elena Foronda Farro ist 64 Jahre alt und will nicht länger hinnehmen, dass eine große Versicherung aus Europa mitmacht, wenn Öl- und Gasunternehmen ihre Heimat zerstören. "Sehr geehrte Damen und Herren der Zurich Insurance, hören Sie uns zu!", ruft die Peruanerin ins Mikrofon. "Unser Leben ist nicht weniger wert als Ihres!"
Dienstag in Zürich, Alfred-Escher-Straße 45: Hier ist der Hauptsitz der Zurich Insurance, des größten Privatversicherers der Schweiz. Und hier haben sich heute ein paar Dutzend Aktivistinnen und Aktivisten versammelt, mit Regenschirmen, blau wie das Logo der Zurich, in der Hand Plakate, die das Unternehmen auffordern, Öl- und Gasunternehmen künftig nicht mehr zu versichern. "End fossil finance!", skandieren die Leute.
Es ist so etwas wie das Leitmotiv der Schweizer Klimabewegung. In der Eidgenossenschaft erwirtschaftet der Finanzsektor, also Banken und Versicherungen, rund zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts. Das ist vergleichsweise viel, in Deutschland sind es nicht einmal vier. Vor allem aber verfügt die Schweiz mit ihren vielen internationalen Finanzdienstleistern über einen beachtlichen Hebel in Sachen Klimakrise: Ihr eigener CO₂-Ausstoß mag weltweit nicht bedeutend sein. Dafür stecken überproportional viel Schweizer Geld oder Schweizer Versicherungsleistungen in klimaschädlichen Firmen und Projekten.
Laut einer im Jahr 2020 veröffentlichten Untersuchung von Schweizer Bundesbehörden unterstützt der Finanzsektor des Landes über seine Investitionen einen zusätzlichen Ausbau der internationalen Kohle- und Erdölförderung. Eine Folgeuntersuchung stellte 2022 fest, dass die Investitionen in fossile Brennstoffe gegenüber 2020 zwar abgenommen haben. Trotzdem werde weiterhin in Öl- und Gasförderfirmen investiert, die ihre Produktion ausbauen anstatt senken wollen.
Kohlehaufen in Bankfilialen
Den Zusammenhang von Finanzbranche und Erderhitzung hat die Schweizer Klimabewegung natürlich längst für sich entdeckt. Aktivisten haben schon Kohlehaufen in Bankfilialen geschleppt oder sich am Zürcher Paradeplatz, vor den Eingängen von UBS und Credit Suisse, festgekettet. Am Dienstag hat sich nun eine Gruppe von Klimaschützern, angeführt von der Nichtregierungsorganisation Campax, den Schweizer Versicherungen angenommen. "Versicherungen spielen eine zentrale Rolle beim Bau und Betrieb von Öl- und Gasanlagen", heißt es in der Mitteilung von Campax, und: "Die in der Schweiz ansässige Zurich gehört zu den weltweit größten Versicherern von fossilen Brennstoffen."
An diesem Dienstag geht es den Aktivisten vor allem um die Umweltschäden, die die Öl- und Gasförderung in Lateinamerika anrichte. Als Kronzeugen sind vor dem Hauptsitz der Zurich neben vielen Schweizern auch vier Umweltschützer aus Kolumbien, Argentinien und Peru dabei. "Menschen sterben durch das verseuchte Wasser und die verschmutzten Böden, die das Öl- und Gasfracking in meiner Region hinterlässt", sagt die argentinische Umweltaktivistin Fernanda Herrera. Und María Elena Foronda Farro aus Peru fügt hinzu: "Wir sind heute hier, weil wir wissen, dass die Zurich die Erdölförderung in Lateinamerika unterstützt." Sie hätten den Konzern um ein Gespräch gebeten, sagt Foronda Farro noch, aber darauf sei dieser nicht eingegangen.
Auch gegenüber der SZ will die Zurich nicht detailliert auf die Vorwürfe der Aktivistinnen und Aktivisten eingehen. "Zurich ergreift entschlossene Massnahmen, um ihr Geschäft auf eine emissionsfreie Wirtschaft auszurichten", teilt ein Sprecher mit.
Tatsächlich bekennt sich die Zurich zu den Pariser Klimazielen und hat 2017 bekannt gegeben, keine neuen Kohleprojekte mehr zu versichern. "Da waren sie wirklich früh dran", sagt Peter Bosshard von der Kampagne "Insure Our Future", die sich für die Abkehr der Versicherer von fossilen Projekten einsetzt. Leider, so Bosshard, halte die Zurich aber stark an ihrem Öl- und Gasgeschäft fest - und das, obwohl Schwergewichte wie Allianz oder Swiss Re ihre Geschäfte in diesem Bereich bereits stärker eingeschränkt hätten. Bosshard beziffert den Marktanteil der Zurich an der Versicherung von fossilen Brennstoffen auf bis zu 3,5 Prozent. "Damit steht die Zurich an 9. Stelle weltweit."
Für die Wirtschaft und die Gesellschaft sei eben ein Übergang notwendig, rechtfertigt der Sprecher der Zurich die Konzernlinie. Die paar Dutzend Menschen draußen vor dem Firmensitz dürften das anders sehen.