Studie:Regierungen drohen Schadensersatzklagen wegen Corona-Maßnahmen

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Italien hatte hohe Todeszahlen und entschied sich für plötzliche Schutzmaßnahmen, auch auf Kosten von Unternehmen. (Foto: Alberto Pizzoli/AFP)

Laut einer Studie "bereitet die Anwaltsindustrie überall auf der Welt Klagen" dagegen vor. Doch was ist gerechtfertigt und wo beginnt das Fehlverhalten einer Regierung?

Von Alexander Hagelüken

Am 26. März meldete Italien insgesamt 8000 Corona-Tote, damals doppelt so viel wie sonstwo auf der Welt. Im Land breitete sich Verzweiflung aus. Am selben Tag schrieben mehrere italienische Anwälte in einem Fachblatt, "die hektisch entworfenen und schlecht koordinierten" staatlichen Maßnahmen bekämpften nicht nur die Pandemie und ihre wirtschaftlichen Schäden. Sie bewirkten womöglich noch etwas ganz anderes: "Die Maßnahmen könnten den Weg für Schadensersatzklagen ausländischer Investoren gegen Italien ebnen".

Die Basis dafür sind Tausende Abkommen, die ausländischen Firmen helfen, die in Italien oder vielen anderen Ländern weltweit tätig sind. "Inmitten dieser dramatischen Krise bereitet die Anwaltsindustrie überall auf der Welt Klagen gegen Anti-Corona-Maßnahmen vor", schreibt die NGO Corporate Europe Observatory (CEO) in einer Studie, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Müssen Corona-geplagte Staaten bald Milliarden Schadenersatz an Konzerne zahlen, weil sie ihre Bürger vor den Folgen der Pandemie abschirmen?

Der Schutz ausländischer Investoren war schon ein Aufreger beim geplanten TTIP-Handelsvertrag mit den USA, gegen den Hunderttausende Deutsche demonstrierten. Grundsätzlich sind Investitionsabkommen legitim, um ausländische Firmen davor zu bewahren, dass Regierungen sie willkürlich behandeln. Doch die Konzernklagen gerieten in Verruf, seit etwa der Stromkonzern Vattenfall Deutschland nach dem Atomausstieg auf fast fünf Milliarden Euro Schadenersatz verklagte. Oder seit der Tabakkonzern Philip Morris Australien verklagte, weil es Tabakwerbung verbot. Die Klage gegen Deutschland läuft noch, Australien blieb auf Millionen Euro Rechtskosten sitzen. Die Aufregung über solche Klagen führte dazu, dass die EU bei Handelsverträgen wie TTIP umschwenkte - und nun fordert, dass staatliche Richter statt privater Schiedsgerichte über Konzernklagen entscheiden.

Bei etwa 1000 Klagen in den vergangenen 25 Jahren traf es etwa Argentinien hart: Der südamerikanische Staat musste Hunderte Millionen Euro Schadenersatz wegen Maßnahmen zahlen, die er in der Wirtschaftskrise 2001 ergriff. Dazu zählte, dass er die Energie- und Wasserpreise einfror, um seine Bürger zu entlasten.

In Italien müssen besonders betroffene Bürger zeitweise ihre Hauskredite nicht bedienen

Ähnlich gelagerte Maßnahmen könnten nun bei Corona zu Klagen führen, lässt sich aus Äußerungen internationaler Anwaltsfirmen destillieren. Zum Beispiel verbot die spanische Regierung Energiefirmen, Kunden Strom und Wasser abzudrehen, die wegen der Krise ihre Rechnung nicht zahlen können. In El Salvador dürfen Familien zunächst ihre Wasserrechnung schuldig bleiben. In Spanien und Italien müssen besonders betroffene Bürger zeitweise ihre Hauskredite nicht bedienen. Spanien und Irland übernahmen temporär die Kontrolle über private Kliniken, um dort Corona-Patienten unterzubringen, was manche Kliniken verweigert hatten. Deutschland, Kanada und Israel ermöglichen Firmen, in der Pandemie benötigte Medizinprodukte herzustellen, obwohl dafür eine andere Firma das Patent hält. In den USA und Spanien dürfen zur Not Produktionsanlagen beschlagnahmt werden, um dort medizinische Geräte herzustellen.

"Diese potenziellen Klagen und der mögliche Schadenersatz werden perverserweise Staaten belasten, die ohnehin immense finanzielle Lasten tragen", kritisiert Corporate Europe Observatory. Auch die UN-Organisation Unctad warnt, die Regierungen könnten Ziel von Auseinandersetzungen werden, "obwohl ihre Maßnahmen im Interesse ihrer Bürger seien".

Werden die Konzerne wirklich Erfolg haben, wenn sie wegen gerechtfertigter Anti-Corona-Maßnahmen gegen Regierungen vorgehen? Der Juraprofessor und Anwalt Massimo Benedettelli erklärt es für unwahrscheinlich, dass Konzerne auf Entschädigung für Verluste durch Maßnahmen klagen, die ein Staat ergreife, um seine Bürger von der Bedrohung durch das Virus zu schützen. So viel Schutz gewähre kein Abkommen ausländischen Investoren. "Die Abkommen schützen Investoren aber vor Fehlverhalten der Staaten, wenn die ihre Macht ausüben."

Was sind gerechtfertigte Anti-Corona-Maßnahmen, wo beginnt Fehlverhalten? Gut möglich, dass diese Frage bald bei Investorenklagen ausgefochten wird.

© SZ vom 19.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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