Kapitalabzug aus Südeuropa:Der Sturm auf die Banken hat begonnen

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Nichts fürchten Währungshüter so sehr wie einen Bank Run. Zwar sieht man in Athen noch keine Schlangen vor den Banken, doch die Ruhe trügt: Griechenland erlebt einen Sturm auf die Banken - in Zeitlupe. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Wenn Sparer die Nerven verlieren, zwingen sie oftmals ganze Volkswirtschaften in die Knie.

Catherine Hoffmann

Rentner tun es, Reiche tun es - und sogar Nonnen haben es getan. Viele Griechen plündern ihre Konten - aus "Angst ums Geld", wie die Klosterfrau bekannte -, oder weil sie es schlicht zum Leben brauchen. Nirgendwo in Athen sieht man vor den Banken Schlangen verunsicherter und erboster Kunden, die ihr Geld in Sicherheit bringen wollen. Doch die Ruhe trügt: Griechenland erlebt einen Bank Run, einen Sturm auf die Banken, in Zeitlupe. Seit Ausbruch der Krise haben Privatleute und Unternehmer 63 Milliarden Euro von ihren Konten abgezogen, fast ein Drittel ihrer Einlagen. Ein großer Teil der Ersparnisse landet bei deutschen Banken, aber auch in Albanien, Bulgarien und Rumänien bunkern Griechen ihr Geld.

Menschenmenge vor der Filiale der Sparkasse in Berlin, 1931: Nach dem Zusammenbruch des drittgrößten Geldinstituts des Deutschen Reichs, der Danat-Bank, sorgen sich die Kunden um den Wert ihrer Einlagen. (Foto: Scherl)

Das Land taumelt immer tiefer in die Krise. Eine Depression hat die Wirtschaft fest im Griff, die Sanierung der maroden Staatsfinanzen kommt nicht voran, und bald schon soll das Volk eine neue Regierung wählen. Der Mann, der, wenn der Eindruck nicht täuscht, gewinnt, macht mit einer einfachen Parole Stimmung: "Wir zahlen nicht." Alexis Tsipras, der Chef der Linken, will das verhasste Sparprogramm aufkündigen und riskiert damit den Staatsbankrott. Deshalb geht es bei den Schicksalswahlen am 17. Juni auch um die Frage: Euro oder Drachme?

Georgios Provopoulos macht aus seiner Furcht vor einem Ansturm auf die Banken keinen Hehl. "Es gibt keine Panik", sagt der griechische Zentralbankpräsident. "Aber es gibt eine große Angst, die sich zu einer Panik entwickeln kann." Die Europäische Zentralbank (EZB) ist machtlos gegen die Kapitalflucht. Sie hat zur Jahreswende 73 Milliarden Euro Liquiditätshilfen in die maroden griechischen Banken gepumpt. Außerdem versorgt sie im Rahmen eines Notfallprogramms mit dem Namen Emergency Liquidity Assistance (ELA) die griechische Zentralbank mit Geld, damit diese die Geschäftsbanken stützen kann.

Diese schlecht besicherten Kredite summieren sich Schätzungen von JP Morgan zufolge auf weitere 60 Milliarden Euro oder mehr. Doch den Exodus konnte die EZB nicht stoppen. Denn die Griechen fürchten nicht nur den Zusammenbruch ihrer schwachen Geldhäuser, sie fürchten vor allem die Rückkehr der Drachme, die zum Euro dramatisch an Wert verlieren würde; Volkswirte rechnen mit einem Absturz um 50 Prozent. Also versuchen Privatleute wie Unternehmer ihre Ersparnisse zu retten, bevor das Geld nur noch die Hälfte wert ist.

"Die Griechen heben Geld ab - und die EZB zahlt"

Verhindern konnten die Notenbanker bislang nur den Infarkt der griechischen Geldhäuser. Denn mit eigenen Mitteln könnten sie den Gelddurst der besorgten Kundschaft schon lange nicht mehr stillen. Die Banken haben das Geld, das die Kunden bei ihnen deponiert haben, meist langfristig verliehen. Stürmen nun plötzlich viele Kunden die Filialen, um Geld abzuheben, brechen die Institute zusammen, weil sie so viel Geld gar nicht flüssig haben. "Die Griechen heben Geld ab - und die EZB zahlt", bringt Timo Wollmershäuser die Sache auf den Punkt; er lehrt Finanzwissenschaft an der Universität München.

Nichts fürchten Währungshüter so sehr wie einen Bank Run. Wenn Sparer die Nerven verlieren, treiben sie nicht nur Kreditinstitute in den Ruin, sondern zwingen oftmals ganze Volkswirtschaften in die Knie. Das schwärzeste Beispiel ist die Börsenpanik 1929, der Bankzusammenbrüche und die Große Depression folgten. Am 13. Juli 1931 klebt an den Türen der Danat-Bank in Berlin ein kleiner Zettel. "Vorübergehend stellen wir den Zahlungsverkehr ein" steht darauf. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Binnen Stunden bilden sich lange Schlangen vor den Banken, auch Deutsche Bank, Commerzbank und Dresdner Bank sind betroffen. Kein Institut hält dem Druck lange stand.

Offenkundig sind auch die Parallelen zu Argentinien, das in den neunziger Jahren seinen Peso an den US-Dollar gekoppelt hatte, um von Amerika eine glaubwürdige Anti-Inflationspolitik zu importieren. Doch die nötige Haushaltsdisziplin brachten die Politiker nicht auf. Argentinien ging 2001 bankrott. Um die Kapitalflucht zu bremsen, setzte die Regierung von Fernando de la Rúa den "corralito" durch, die Bankensperre, die es den Argentiniern unmöglich machte, frei über ihre Sparguthaben zu verfügen. Bankkonten wurden eingefroren und die Bürger gezwungen, ihre Dollar in Pesos zu tauschen, doch die waren kaum etwas wert. Jede Woche gingen Tausende empörter Bürger auf die Straße und klapperten mit Kochtöpfen, um gegen den "corralito" zu demonstrieren.

So verzweifelt ist die Lage in Europa noch lange nicht. Doch das könnte sich schnell ändern. Geld ist per Mausklick zu bewegen. Geraten die Griechen nach den Neuwahlen in Panik, dürften auch die Sparer in Portugal, Irland, Spanien und Italien nervös werden. Erste Absetzbewegungen gibt es bereits, wie aus einer Studie des Citigroup-Analysten Matt King hervorgeht. Seit Mitte 2011 sind demnach aus Italien 160 Milliarden Euro privates Kapital abgeflossen, aus Spanien 100 Milliarden Euro, das entspricht jeweils einem Zehntel der jährlichen Wirtschaftsleistung.

Es sind aber nicht Italiener und Spanier, die kalte Füße bekommen, sondern Ausländer, die ihre Konten räumen und obendrein im großen Stil italienische und spanische Staatsanleihen verkaufen. King glaubt, dass dem Beispiel Griechenlands folgend noch eine Menge mehr Kapital aus Italien und Spanien fliehen wird, jeweils rund 200 Milliarden Euro. Von griechischen, irischen und portugiesischen Konten haben Ausländer seit Ausbruch der Krise schon die Hälfte ihrer Einlagen abgezogen; in Spanien und Italien sind es bislang 13 und 34 Prozent.

Nichts deutet darauf hin, dass sich dieser Trend umkehrt. Denn so ist es immer: Erst verabschieden sich die großen Investoren, die jahrelang treu Staatsanleihen gekauft haben, dann retten reiche Bürger ihr Vermögen ins Ausland, bis schließlich auch die Rentner, Arbeiter und Angestellten ihre Spargroschen über die Grenze schaffen oder zumindest unter der Matratze verstecken.

Erste Zweifel nagen schon an der heimischen Bevölkerung. Als der spanische Finanzminister Cristóbal Montoro neulich mit dem Dienstwagen vor seinem Büro vorfährt, warten nicht nur Journalisten, sondern auch eine Frau, die sich Sorgen macht, ob ihr Geld bei der kriselnden und teils verstaatlichten Groß-Sparkasse Bankia noch sicher ist. "Glauben Sie, ich sollte zur Bank gehen und alles abheben?", fragt die Passantin den Minister. "Nein", lautet die knappe Antwort. "Sind Sie sicher?", hakt sie nach. "Ja, ja", entgegnet Montoro.

Unwillkürlich muss man an die Tage vor dem Lehman-Kollaps denken, als die Chefs von Goldman Sachs und JP Morgan versichert haben, dass sie keine Probleme sehen, wenn der kleine Rivale Lehman stirbt, Wall Street sei bestens gewappnet. Das Lehman von heute heißt Griechenland.

Jeder weiß: Wenn der Sturm auf die Banken erst mal losgeht, ist er nur schwer aufzuhalten. Verzweifelt suchen deshalb Notenbanker und Finanzminister nach Möglichkeiten, die bangen Bankkunden zu beruhigen. Italiens Premier Mario Monti fordert beispielsweise einen europäischen Einlagensicherungsfonds, der die Sparer vor Bankzusammenbrüchen schützen soll. Finanzexperte Wollmershäuser glaubt allerdings, dass dies nicht reicht. "Falls es zum Euro-Austritt Griechenlands kommt, braucht man Kapitalverkehrskontrollen", sagt er. Nur so lasse sich vermeiden, dass Geld im großen Stil in sichere Häfen gebracht wird. Zudem müsse die EU dann überlegen, ob sie nicht die Einlagen der Europäer garantiert, um einen Dominoeffekt zu verhindern.

Schlangen vor den Bankschaltern: Es waren wohl diese Bilder, die Angela Merkel und Peer Steinbrück im Herbst 2008 bewogen haben, mit ernster Miene vor die Kameras zu treten und eine Garantie für die Ersparnisse der Deutschen auszusprechen. Wer noch am Ernst der Lage gezweifelt haben sollte, wurde durch den denkwürdigen Auftritt der beiden eines Besseren belehrt.

© SZ vom 25.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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