Kampf um Alstom:Duell der Wirtschaftskrieger

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Qualitätssicherung im Generatorenwerk von Siemens in Erfurt (im Bild). Die deutsche Firma will den französischen Konkurrenten Alstom übernehmen und hofft auf die Hilfe von Mitsubishi. (Foto: dpa/dpaweb)

Kaufen oder nicht kaufen? Am Sonntag entscheidet Siemens, ob der Konzern beim französischen Konkurrenten Alstom einsteigen soll. Die Kooperation mit Mitsubishi könnte dafür von entscheidendem Vorteil sein.

Von Christoph Giesen

Es war ein Donnerstag Ende April, als die Schlacht begann, die nun ihrem Höhepunkt zustrebt. Siemens-Chef Joe Kaeser war gerade in Washington, als sich über die Nachrichtenagenturen die ersten Gerüchte verbreiteten, General Electric (GE), der große Rivale aus den Vereinigten Staaten, biete für den angeschlagenen französischen Industriekonzern Alstom. Für Kaeser, so berichten es Leute aus seinem Umfeld, sei sofort klar gewesen: Siemens müsse handeln. Er wolle sich nicht in fünf Jahren vorwerfen lassen, nichts unternommen zu haben, als der Markt in Europa neu aufgeteilt wurde.

Während das mittlere Management bei Siemens noch von nichts wusste, trommelte Kaeser zwei Tage später seinen Vorstand zusammen, denn schon einen Tag darauf sollten die Alstom-Gremien den Deal durchwinken. Am Abend davor verschickte Siemens einen ersten Brief an den Verwaltungsrat der Franzosen - per Fax, per Kurier und zur Sicherheit auch per Mail. "Indication of Interest" schrieben sie drüber, ein Siemens-Logo oben links in der Ecke, kein wuchtiger Briefkopf, keine sperrigen Titel.

Es war der Inhalt, der überraschte: Siemens sei interessiert an Alstom - und sei zugleich bereit, sein ICE-Geschäft an Alstom abzutreten. In einem zweiten Brief legte Siemens nach und offerierte gleich die gesamte Bahnsparte. Fast ein wenig feierlich schrieb Kaeser davon, zwei europäische Champions zu formen. Siemens im Energiegeschäft und Alstom als führendem Bahnhersteller. Der französischen Politik gefiel dieser Vorschlag sofort - es war Kaesers erster Coup.

Siemens setzt auf einen gemeinsamen Einstieg mit Mitsubishi

Einen Krieg führen und planen Militärs, Generäle und ihre Stäbe bilden Lagezentren, früher versammelten sie sich vor aufgefalteten Landkarten und verschoben Einheiten. Heute verlassen sie sich auf Satellitenaufnahmen und Kampfdrohnen. Was auf dem Schlachtfeld gilt, bewahrheitet sich auch in Übernahmekämpfen. Statt Uniform tragen die Wirtschaftskrieger zwar Anzug und Krawatte, und sie sind auch keine Offiziere, sondern Banker, Kommunikatoren und Juristen, doch am Ende geht es auch bei ihnen darum, die passende Taktik zu finden: Kein Duell ist gleich.

Der Zweikampf zwischen Vodafone und Mannesmann wurde über Zeitungsanzeigen geführt. Bayer sicherte sich als Weißer Ritter im letzten Moment Schering. Und im Wettstreit mit GE versucht es die Siemens-Truppe mit Kreativität. Erst schlug Kaeser den Deal mit dem Bahngeschäft vor, nun hat Siemens nachgelegt, gemeinsam mit dem japanischen Konkurrenten Mitsubishi Heavy Industries bereiten die Münchner ein Angebot vor - Kaesers zweiter Coup.

Durch den Einstieg der Japaner könnten kartellrechtliche Fragen aus dem Weg geräumt werden. Zum Beispiel ist Siemens im Hochspannungsleitungsbau zu stark, im Falle einer alleinigen Übernahme des Alstom-Energiegeschäfts könnten Wettbewerbshüter den Deal blockieren. Schwierigkeiten könnte es auch im Windkraftgeschäft geben, je nachdem, wie man die Marktanteile berechnet. Bei den Mühlen auf hoher See ist Siemens mit Abstand Marktführer, auf dem Land sind die Münchner allerdings nur die Nummer vier. Ist Mitsubishi also der Lückenfüller und steigt überall dort ein, wo Siemens zu stark ist? Oder wollen die Japaner mehr?

Siemens dürfte vor allem das Gasturbinen-Geschäft der Franzosen im Blick haben, Mitsubishi hingegen die Dampfturbinensparte. Doch wie sie sich eine Aufteilung von Alstom vorstellen, darüber schweigen beide Konzerne. Umso redseliger sind derzeit Kommunikationsberater und Spin-Doktoren, die im Auftrag der Gegenseite unterwegs sind, sie warnen bereits davor, dass Alstom zerschlagen werden solle. Europäische Champions, heißt es, sähen anders aus, nicht zerfleddert oder filetiert. "Wenn sie eine Aufspaltung vorhaben, sind die chancenlos", heißt es jedoch lapidar in Paris. Wäre Kaeser nach seinen beiden ersten taktischen Erfolgen so töricht, nun einfach eine Zerschlagung Alstoms anzubieten?

Endgültig entschieden wird am Sonntag, dann tagt der Siemens-Aufsichtsrat und dann werden tatsächlich auch Zahlen diskutiert. Doch es deutet sich an, dass Kaeser und seine Truppe ein komplexes Angebot vorlegen werden. "Der Plan von Mitsubishi mit Siemens ist, so viel wie möglich in der Hand von Alstom zu lassen. Alstoms Marktstellung in der Energietechnik soll gestärkt und eine Partnerschaft mit einem oder mehreren Joint-Ventures etabliert werden, insbesondere im Turbinenbereich", heißt es in französischen Regierungskreisen.

Erste Gerüchte über ein möglicherweise aufgeteiltes Siemens-Angebot gab es bereits Ende Mai. Ein Verkaufspreis von sieben Milliarden Euro kursierte damals unter Bankern. Angedeutet wurde auch, dass Siemens beabsichtige, den Hochspannungsleitungsbau auszuklammern. Doch was fehlte, war die logische Verbindung, niemand konnte sich vorstellen, dass Mitsubishi an Bord geholt werden könnte.

Dabei machte Siemens erst vor wenigen Wochen Geschäfte mit dem japanischen Traditionsunternehmen. Die Münchner überließen Mitsubishi mehrheitlich ihre Sparte für Stahlwerksausrüstung - aufgrund des ganzen Übernahmetrubels fand das wenig Beachtung.

Den Franzosen geht es um Arbeitsplätze und Einfluss

Erstickt wurden die Mutmaßungen Ende Mai vom französischen Siemens-Chef Christophe de Maistre, der vor dem Industrieausschuss der Nationalversammlung einen engagierten Aufritt hinlegte und glaubwürdig versicherte, dass Siemens an allen Geschäften der Alstom-Energiesparte interessiert sei. Der Hochspannungsleitungsbau, versprach er damals, werde im Falle eine Übernahme durch Siemens sogar weiterhin von Frankreich aus gelenkt. Im Falle einer Joint-Venture-Lösung muss das kein Widerspruch sein.

Etliche Dienstreisen haben Kaeser in den vergangenen Wochen nach Frankreich geführt. Auch Aufsichtsratschef Gerhard Cromme mischt mit. Kaum ein deutscher Manager ist in Frankreich so gut verdrahtet wie er. Cromme hat in Paris und in Lausanne studiert und jahrelang für den Mischkonzern Saint-Gobain gearbeitet. Noch bevor er das Bundesverdienstkreuz bekam, wurde Cromme 2002 zum Mitglied der Ehrenlegion ernannt, im Rang eines Kommandeurs.

Am Donnerstag kamen in Paris Präsident François Hollande, Regierungschef Manuel Valls und Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg zusammen. Es gebe "keine Präferenz", so lautete die Botschaft nach dem Treffen. Ziel sei es, verbesserte Angebote für Alstom zu bekommen. Den Franzosen geht es um Arbeitsplätze, Einfluss und Energiesicherheit. Wie ernst es der Regierung ist, zeigte sich Mitte Mai, im Amtsblatt veröffentlichte sie damals einen Erlass - künftig hat die Politik das letzte Wort, wenn es um Fragen des Transports und der Energiesicherheit in Frankreich geht - eine Lex Alstom also.

Ende Mai machte sich GE-Chef Immelt auf den Weg nach Frankreich. Im Präsidentenpalast versprach er, tausend neue Arbeitsplätze in Frankreich zu schaffen. Weitere Verbesserungen des Angebots werde es nicht geben, heißt es im GE-Umfeld.

Ob das am Montag, wenn das Angebot von Siemens offiziell vorliegt, noch gilt?

© SZ vom 13.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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