Wirecard:Bitte festnehmen

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Eine Akte mit Marsalek-Fahndungsfotos im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags (Archivbild vom März 2021). (Foto: Jürgen Heinrich/imago images)

Die Staatsanwaltschaft München startet einen neuen Versuch, den flüchtigen Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek in Russland festnehmen und dann ausliefern zu lassen.

Von Jörg Schmitt

Die Staatsanwaltschaft München 1 unternimmt im Fall Jan Marsalek einen neuen Anlauf, den flüchtigen früheren Wirecard-Vorstand in Russland festnehmen zu lassen. Ein Nachtrag zu dem bereits Ende April verschickten Inhaftnahmeersuchen ist fertig und soll umgehend nach Moskau übermittelt werden. Marsalek wird wegen möglichen Betrugs in Milliardenhöhe weltweit per internationalem Haftbefehl gesucht.

Auslöser für das neue Ersuchen sind die gemeinsamen Recherchen von Süddeutscher Zeitung und der von Kremlkritiker Michail Chodorkowski finanzierten Onlineplattform Dossier Center. Beide Medien hatten am Montag berichtet, dass Marsalek sich vermutlich unter einer neuen Identität in Moskau aufhält. SZ und dem in London ansässigen Dossier Center wurde schon vor Wochen aus russischen Sicherheitskreisen unter anderem ein russischer Pass zugespielt, der das Konterfei von Marsalek zeigt und der angeblich im Juni 2021 auf den Namen German Bazhenov ausgestellt wurde. Demnach wäre Marsalek nun russischer Staatsbürger. Auf dem Pass ist Jan Marsalek mit langem Vollbart zu sehen. Das Foto ähnelt der Aufnahme aus seinem alten russischen Pass - und dem, mit dem das Bundeskriminalamt und Interpol ihn seit zwei Jahren suchen. Die Echtheit des Dokuments zu überprüfen, ist nicht möglich. Der Pass taucht in keiner der offiziellen russischen Datenbanken auf.

Den Recherchen von SZ und Dossier Center zufolge soll sich der gebürtige Österreicher, der offenbar unter Bewachung des russischen Geheimdienstes steht, in einem abgeschirmten Villenviertel namens Meyendorff Gardens aufhalten. Einer Wohngegend, in der sich auch das Gästehaus des Kreml befindet. Beide Medien veröffentlichten auch ein Foto, das den 42-Jährigen beim Einsteigen in ein Auto vor einer Apartmentanlage im Norden Moskaus zeigen soll. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass es sich bei der entsprechenden Person tatsächlich um den flüchtigen früheren Wirecard-Vorstand handelt.

In dem neuen Inhaftnahmeersuchen bittet die Staatsanwaltschaft die russischen Behörden nun, aufgrund "weiterer Erkenntnisse", Marsalek festzunehmen und auszuliefern. Dazu übermitteln sie seine mögliche neue Identität als German Bazhenov, die dazugehörigen Passdaten und seinen möglichen Aufenthaltsort in Mayendorff Gardens und einer Apartmentanlage im Norden der Stadt. Außerdem Autokennzeichen und Daten eines weiteren Passes, den Marsalek offenbar bei seiner Flucht benutzt hat.

Denn nach den Recherchen von SZ und Dossier Center hat Marsalek, der seit Mitte Juni 2020 untergetaucht ist, auf seiner Flucht über Wien und Minsk nach Moskau offenbar mehrmals seine Identität gewechselt. Dazu dürfte auch ein gefälschter österreichischer Pass auf den Namen Maks Mauer gehören, mit dem er offenbar von Belarus weiter nach Moskau reiste. Das Dokument ist womöglich vom russischen Geheimdienst fabriziert worden. Die entsprechende Passnummer wurde in Österreich nicht ausgestellt.

Auffällig ist, dass der österreichische Pass auf den Namen Maks Mauer das gleiche Geburtsdatum trägt wie der russische Pass auf den Namen German Bazhenov. Das Spiel mit den unterschiedlichen Identitäten ist offenbar gewollt, können die Moskauer Behörden so doch behaupten, ein Jan Marsalek sei nie nach Russland eingereist. Marsaleks Anwalt wollte sich zu dem Thema nicht äußern. Die Innenministerien in Belarus und Russland ließen Anfragen unbeantwortet.

Bereits Ende April hatte die Staatsanwaltschaft München ein erstes Inhaftnahmeersuchen an die Regierung in Moskau gestellt und dabei zwei mögliche Aufenthaltsorte von Marsalek im Westen der russischen Hauptstadt genannt - beide nur ein paar Kilometer entfernt von Meyendorff Gardens. Das Ersuchen blieb bis heute unbeantwortet.

Auch das jüngste Inhaftnahmeersuchen der Münchner Ermittler dürfte wenig Aussicht auf Erfolg haben, nicht nur wegen der durch den Krieg in der Ukraine ohnehin angespannten Lage. Sollte Marsalek inzwischen tatsächlich russischer Staatsbürger sein, würde ihn Moskau kaum ausliefern. Trotzdem wollen die Fahnder nicht aufgeben. "Wir stellen hier gar nichts ein, wir werden weiter nach ihm suchen", so ein Ermittler. Die Zeit jedenfalls läuft ihnen erst mal nicht davon. Bis zur absoluten Verjährung blieben ihnen noch rund 20 Jahre.

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