Jamaika-Koalitionsverhandlungen:Sechs Punkte, bei denen Grüne und FDP im Bund auseinanderklaffen

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Die Rechnungen der Koalitionspartner gehen auseinander. (Symbolbild) (Foto: imago/blickwinkel)

Die FDP will etwa den Solidaritätszuschlag ersatzlos streichen, die Grünen halten dagegen. Sie fürchten noch mehr Ungleichheit.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Die Grünen distanzieren sich von der Forderung der FDP nach ersatzloser Abschaffung des Solidaritätszuschlages. Co-Parteichefin Simone Peter sagte der Süddeutschen Zeitung, die Grünen würden sich zwar "einer Debatte und sinnvollen Lösungen zur Zukunft des Solidaritätszuschlags nicht verschließen". Sie machte aber zugleich den Anspruch deutlich, den die grünen Unterhändler in einer Jamaika-Koalition durchsetzen wollen: "Unsere Anforderung ist, dass Anpassungen im Rahmen einer Einkommensteuerreform grundsätzlich zu mehr und nicht zu weniger Gerechtigkeit führen".

Peter zeigt damit unmittelbar vor den am Mittwoch beginnenden Sondierungsgesprächen der möglichen Koalitionspartner von CDU, CSU, FDP und Grünen eine klare Bruchlinie auf. Die anschwellende Debatte um den Soli-Zuschlag steht exemplarisch für die Unterschiede in den Finanz- und Steuerkonzepten der vier Parteien. Auch die Wahlprogramme zeigen, dass es für Jamaika schwierig wird, gemeinsam Finanzpolitik zu betreiben.

Solidaritätszuschlag

FDP-Chef Christian Lindner will den Solidaritätszuschlag abschaffen, "ohne dass den Menschen an anderer Stelle das Geld wieder aus der Tasche gezogen wird". Er will ausschließen, dass Steuern oder Abgaben anderswo erhöht werden, wenn die Sondersteuer ausläuft. Peter dagegen schließt Steuererhöhungen an anderer Stelle keineswegs aus.

Denn die Grünen wollen die bisherigen Einnahmen aus dem Soli, jährlich um die 20 Milliarden Euro, teilweise investieren, um die wachsende Ungleichheit in Deutschland einzudämmern. "Es darf nicht sein, dass am Ende der Chefarzt mehr profitiert als die Krankenschwester und wir dafür auf notwendige Zukunftsinvestitionen in den Klimaschutz, in gute Kindertagesstätten und Schulen, in bezahlbare Wohnungen und schnelles Internet verzichten", sagt Peter. "Das Ziel bleiben gleiche und gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West und für alle Generationen, alle Lebenslagen."

Damit stellen sich die Grünen auch gegen die CSU. "Die CSU tritt seit langem für eine schrittweise Abschaffung des Soli ab 2020 ein", so Bayerns Finanzminister Markus Söder. Es bestehe jetzt "die historische Chance, eine Steuer abzuschaffen, deren Berechtigung drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung mit dem Auslaufen des Solidarpakts II 2019 entfällt".

Regierungsbildung
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Ein Jamaika-Bündnis könne nur gelingen, wenn die Abgabe ersatzlos gestrichen werde, sagt der FDP-Chef. Grünenvorsitzender Özdemir rät Merkel derweil, sich Altkanzler Kohl als Vorbild zu nehmen.

Über die Zukunft des Soli wird seit Jahren gestritten. Er wurde 1991 befristet eingeführt und vor allem mit den Kosten der deutschen Einheit begründet und beträgt 5,5 Prozent des Steuerbetrags aus Einkommen-, Kapitalertrag- und Körperschaftsteuer. Da 2019 der Solidarpakt II zum Aufbau der neuen Länder ausläuft, wird auch die Abschaffung des Soli-Zuschlages gefordert.

Die CDU dürfte Söders Aussagen unwidersprochen lassen. Der scheidende Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat das Auslaufen des Soli-Zuschlages schon länger angekündigt, ohne sich freilich auf einen konkreten Zeitraum festzulegen - was in der eigenen Partei nicht gern gesehen war.

Am Montag appellierte Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU, an die künftigen Koalitionäre, angesichts von Steuermehreinnahmen in Höhe rund 160 Milliarden Euro von 2016 bis 2021 zu entscheiden, "ob es nicht mehr als an der Zeit ist, den Solidaritätszuschlag schnellstmöglich abzuschaffen".

Steuererhöhungen

Soll die nächste Koalition die Steuern erhöhen dürfen - oder nicht? In diesem wichtigen Detail war sich die Union bisher nicht ganz einig. Während Schäuble vehement dafür eintrat, Steuererhöhungen nicht grundsätzlich auszuschließen, um gestalterischen Spielraum beim Regieren zu haben, waren weite Teile der CDU und die gesamte CSU dafür, Steuererhöhungen eine Absage zu erteilen. Auch im gemeinsamen Wahlprogramm ist der Punkt "keine Steuererhöhungen" vermerkt. Dass Schäuble aus dem Amt scheidet, dürfte es der Union leichter machen. Die FDP schließt Steuererhöhungen und neue Steuern grundsätzlich aus. Die Grünen wiederum nicht.

Einkommensteuer

"Fair und gerecht" will die Union die Steuern senken, und das "für alle". Diese Forderung ist so allgemein gehalten, dass sie jeder Partner einer schwarz-gelb-grünen Regierungskoalition unterschreiben dürfte. Grundsätzlich einig ist man sich auch, den sogenannten Mittelstandsbauch abzuflachen. Dahinter steckt die Absicht, Steuerzahler mit niedrigeren Einkommen an der Steuerentlastung zu beteiligen. In der deutschen Einkommensteuer steigt der Grenzsteuersatz zwischen dem Grundfreibetrag bis zu einem zu versteuernden Einkommen von 13 669 Euro recht schnell von 14 auf 24 Prozent an, danach deutlich langsamer.

Dieser Teil des Einkommensteuertarifs wird auch als "Mittelstandsbauch" bezeichnet. Wie stark er abgeflacht werden soll, ist allerdings strittig. Ebenso das Volumen der Steuerentlastungen. Die FDP fordert bis zu 30 Milliarden Euro, die Union um die 15 Milliarden Euro. Die Grünen nennen gar keine Zahl. Dass sich alle einigen, scheint dennoch möglich, weil keine Partei sich festgelegt hat, auf welche Zeit sich die Volumina beziehen. Beim Spitzensteuersatz sieht es anders aus. Die Grünen wollen, dass Spitzenverdiener mehr Steuern zahlen - und den Spitzensteuersatz anheben. Die Union will den Satz behalten, greifen soll er erst bei höheren Einkommen.

Finanztransaktionssteuer

Die Umsatzsteuer auf Finanzgeschäfte steht bei der Union und bei den Grünen im Programm, die FDP lehnt sie ab mit der Begründung, dass die Freien Demokraten grundsätzlich gegen neue Steuern sind. Dass die Sondierungen an der Finanztransaktionssteuer scheitern, ist dennoch nicht zu erwarten. Sie dürfte als Verhandlungsmasse dienen, um anderswo Kompromisse zu erzielen, etwa bei der Erbschaftsteuer.

Vermögen- und Erbschaftsteuer

Union und FDP sind sich einig: Erbschaften sollen keinesfalls stärker (Union) oder schärfer (FDP) besteuert werden als bisher. Dieses Vorhaben dürfte schwierig durchzusetzen sein, falls das Bundesverfassungsgericht den von der großen Koalition mühsam geschnürten Reformkompromiss bei der Erbschaftsteuer erneut beanstanden sollte.

Die Grünen dagegen würden diese Chance nutzen wollen, um eine "einfache und gerechte" Erbschaftsteuer durchzusetzen. Überhaupt nicht durchsetzbar scheint die grüne Forderung nach Einführung einer Vermögensteuer, FDP und Union lehnen das grundsätzlich ab. Eine Einigung ist wohl nur im Paket möglich.

Haushaltspolitik

In der Haushaltspolitik zeichnen sich schwierige Verhandlungen ab. Die Grünen plädieren für mehr staatliche Förderung, sie wollen öffentliche Orte und Institutionen "gut" finanzieren. Die FDP tritt dagegen auf die Bremse. Sie will eine "Subventionsbremse" einführen, dazu eine "Schuldenbremse" für die Sozialversicherungssysteme, die ja ebenfalls aus dem Staatshaushalt bezuschusst werden.

Sie strebt nicht nur einen ausgeglichenen Haushalt an, sondern den Abbau von Altschulden. Die Union hat sich darauf geeinigt, das Schäuble-Erbe fortführen zu wollen. Der Bund soll keine neuen Schulden machen. Finanzielle Spielräume sollen aber nicht in den Abbau von Altschulden fließen, sondern genutzt werden, um Bildung, Forschung, Infrastruktur sowie Familien und Kinder zu fördern.

© SZ vom 17.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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