Den Zustand der Welt in fünf Wörter zu fassen, ist keine ganz leichte Aufgabe. Immerhin: In konjunktureller Hinsicht ist dem Internationalen Währungsfonds (IWF) dieses Kunststück jetzt gelungen: "Ein langer und schwieriger Aufstieg" steht der Weltwirtschaft demnach bevor, so jedenfalls lautet der Titel des neuen IWF-Lageberichts, der am Dienstag in Washington vorgestellt wurde und einen Vorgeschmack darauf liefert, wie schwer nach der Corona-Rezession die Rückkehr zur ökonomischen Normalität werden wird.
Dabei sehen die Prognosen, die der IWF in dem Report präsentiert, auf den ersten Blick gar nicht so schlecht aus. Weltweit gesehen dürfte die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 4,4 Prozent sinken statt, wie noch im Juni vorhergesagt, um 5,2 Prozent. Besonders scharf fällt die Aufwärtsrevision für die USA aus, die nach der schrittweisen Wiedereröffnung von Fabriken, Geschäften, Hotels und Restaurants mit einem Minus von "nur" 4,3 Prozent rechnen müssen. Zu Sommerbeginn hatten die Fonds-Experten noch einen Rückgang um satte acht Prozent befürchtet.
Auch in Deutschland ist die Lage mit minus 6,0 (Juni: minus 7,8) Prozent nicht ganz so schlecht wie zunächst befürchtet. Ähnliches gilt für Frankreich und Italien sowie einige große Schwellenländer wie Brasilien und Russland. Die einzige große Volkswirtschaft, die in diesem Jahr wachsen wird, ist China - ausgerechnet das Land, in dem die Pandemie ihren Ausgang nahm. Zwar wird das Plus mit voraussichtlich 1,9 Prozent für chinesische Verhältnisse äußerst bescheiden ausfallen, schon 2021 aber dürfte die Volksrepublik mit einer Rate von gut acht Prozent zu alter Stärke zurückfinden.
In den meisten anderen Industrie- und Schwellenländern wird die Erholung dagegen deutlich langsamer vonstattengehen. In den USA etwa rechnen die Experten für 2021 mit einem Plus von lediglich 3,1 Prozent, das sind 1,4 Punkte weniger als noch im Juni erhofft. Deutschland dürfte mit 4,2 statt wie erwartet mit 5,4 Prozent wachsen. Das bedeutet, dass die hiesige Wirtschaft selbst in zwölf Monaten das Niveau von vor der Pandemie noch nicht wieder erreicht haben wird. Verglichen mit der letzten IWF-Vorhersage von vor Ausbruch der Krise werden dem Land bis Ende 2021 gar mehr als 200 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung fehlen.
Wie schwierig die Lage ist, zeigt auch eine Prognose der Bundesbank, die ebenfalls am Dienstag veröffentlicht wurde. Demnach muss sich Deutschland darauf einstellen, dass allein im ersten Quartal des kommenden Jahres rund 6000 Firmen pleitegehen werden. Das wären 35 Prozent mehr als vor der Pandemie, aber immer noch weniger als während der Weltfinanzkrise von 2008/09, als binnen eines Vierteljahres 8000 Unternehmen in Konkurs gingen.
"Viele Unternehmen stellen den Betrieb auch ohne Insolvenzverfahren ein"
Die meisten Insolvenzen werden bei Unternehmen erwartet, die Dienstleistungen anbieten, diese aber wegen der Pandemie nicht mehr verkaufen können. Die Dunkelziffer an Firmen, die pleitegehen, ist allerdings noch deutlich höher: "Viele Unternehmen stellen den Betrieb auch ohne Insolvenzverfahren ein", sagte Bundesbank-Vizepräsidentin Claudia Buch in Frankfurt. Auch in den Bilanzen der Banken werde die Pleitewelle "ganz sicher Spuren hinterlassen". Die einzelnen Geldhäuser seien je nachdem, welche Kredite sie vergeben hätten, unterschiedlich gefährdet.
Buch verwies darauf, dass die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie bei vielen Bürgern bisher kaum angekommen seien. Die schnellen und umfassenden Hilfen der Bundesregierung von der Kurzarbeit über Transfers, Steuererleichterungen und Kredithilfen bis zur Aussetzung der Anzeigepflicht für Insolvenzen hätten die Auswirkungen deutlich gemildert. Aus der Regierung selbst verlautete, man erwarte für die kommenden Monate weiter "massive Auswirkungen von Covid-19 auf die wirtschaftliche Lage". "Wir müssen uns auf einen schwierigen Herbst und Winter einstellen", hieß es in Regierungskreisen.
"Die meisten Volkswirtschaften werden einen bleibenden Schaden davontragen"
Das eigentliche Problem für die Weltwirtschaft aber sind laut Währungsfonds nicht die kurz-, sondern die mittel- und langfristigen Aussichten, denn anders als noch zu Beginn der Pandemie prognostiziert, werde die Krise vielerorts noch lange nachwirken. "Die meisten Volkswirtschaften werden einen bleibenden Schaden davontragen", heißt es in dem IWF-Bericht. Dazu gehören unter anderem Firmenpleiten, Beschäftigungsabbau, teure Strukturanpassungen, ein verändertes Verbraucherverhalten, eine weiter sinkende Produktivität sowie niedrigere Investitionen. Besonders betroffen seien Staaten, deren Wohlstand stark vom Tourismus oder von Rohstoffexporten abhänge. In den Industrieländern muss man sich nach der Prognose des Fonds darauf einstellen, dass sich das Wirtschaftswachstum mittelfristig auf durchschnittlich 1,7 Prozent verringern wird.
Das alles wird nicht ohne Auswirkungen auf den Lebensstandard der Bürger bleiben. Besonders betroffen sind dem Bericht zufolge Frauen, Geringqualifizierte und Arbeitnehmer ohne Festanstellung. Auch Kinder und Teenager, die aufgrund langer Schulschließungen Bildungsrückstände aufwiesen, dürften zu den Verlierern gehören. In den Entwicklungsländern, die ohnehin mit Armut zu kämpfen haben, werden darüber hinaus zusätzlich fast 90 Millionen Menschen in existentielle Not geraten. Alle Fortschritte, die seit den 90er Jahren weltweit beim Abbau extremer Armut erreicht worden seien, würden durch die Pandemie zunichtegemacht, so der IWF.
Angesichts der vielfältigen Herausforderungen wird es aus Sicht des Fonds nicht reichen, wenn Regierungen bestehende Arbeitsplätze über Lohnsubventionen oder andere Hilfsmaßnahmen sichern. Vielmehr werde es einzelne Branchen geben, in denen die Zahl der Beschäftigten das Vorkrisenniveau womöglich nie wieder erreichen werde. Als Beispiel nennen die Experten die Reisebranche, die nicht nur mit einem sich ändernden Urlaubsverhalten vieler Menschen zu kämpfen habe, sondern auch mit einer womöglich andauernden Flaute bei Dienstreisen. Hier müsse der Staat mit Bildungsangeboten und Überbrückungsgeldern dabei helfen, Arbeitnehmer für solche Bereiche umzuschulen, in denen weiteres Wachstum zu erwarten sei, etwa im Online-Handel.
Um schwere wirtschaftliche Rückschläge zu verhindern, müssten die Regierungen und Notenbanken zudem dafür sorgen, dass Hilfsprogramme nicht zu rasch ausliefen, heißt es in dem Bericht. Auch wenn keine Namen genannt werden: Gemeint sein dürften vor allem die USA, wo viele Betriebe und Arbeitnehmer bereits ohne staatliche Hilfe dastehen, weil sich Republikaner und Demokraten im Kongress seit Wochen nicht auf ein weiteres Stabilisierungspaket einigen können. Darüber hinaus müsse jede Regierung prüfen, ob Schuldenbremsen vorübergehend ausgesetzt und die Einnahmebasis des Staats ausgeweitet werden könnten, so der IWF. Denkbar seien etwa höhere Steuern auf Spitzeneinkommen, Luxusimmobilien, Kapitalerträge und Vermögen.