Italien:"Die Analyse rutscht mir den Buckel runter"

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Italiens Vizepremier Matteo Salvini ist die internationale Kritik an seiner Regierung ziemlich egal. (Foto: AP)
  • Die OECD warnt die italienische Regierung vor den Folgen ihrer Wahlkampfversprechen.
  • Durch das Bürgergeld und die Frührente würden die Schulden steigen, die Arbeitslosigkeit auch.
  • Doch Italiens Vizepremier Matteo Salvini sagt: "Die Analyse der OECD rutscht mir den Buckel runter."

Von Oliver Meiler, Rom

Alle warnen vor einem Desaster aus Rezession und höheren Staatsschulden. Mit Zahlen, Tendenzen, Indikatoren. Doch die Wortführer der römischen Regierung aus den populistischen Cinque Stelle und der rechten Lega tun die Kritik an ihrer Haushaltspolitik als unbotmäßige Einmischung ab. Arithmetik? In ihren Augen sind auch harte Zahlen immer Ansichtssache. Nachdem schon der Internationale Währungsfonds, die Europäische Zentralbank, alle Ratingagenturen, die Europäische Kommission, die italienische Notenbank, die Bilanzkommission des Parlaments und der Arbeitgeberverband Confindustria Alarm geschlagen hatten, ist nun die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit dran, die OECD.

Im ihrem jüngsten Rapport heißt es, Italien stehe still. Das Bruttoinlandsprodukt werde im laufenden Jahr um 0,2 Prozent schrumpfen und die Neuverschuldung stärker wachsen als geplant - nämlich um mindestens 2,5 Prozent. Demnach würde der italienische Schuldenberg am Ende des Jahres fast 134 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung betragen. Das wäre ein neuer Rekordwert. Eigentlich soll jeder Mitgliedsstaat der Eurozone 60 Prozent nicht überschreiten. Italien ist nicht nur stark darüber, nun stimmt auch die Tendenz nicht mehr: Im Moment kommen jeden Monat sechs Milliarden Euro Staatsschulden hinzu. Bricht man das auf die Anzahl italienischer Bürger herunter, lasten auf jedem 38 000 Euro. Die Zinsen steigen unterdessen weiter an, und der Schuldendienst wird immer schmerzhafter.

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Bei seinem Auftritt in Rom kritisierte der Generalsekretär der OECD, Ángel Gurría, besonders die beiden großen Wahlversprechen der Regierungsparteien: den Bürgerlohn der Cinque Stelle und die so genannte "Quote 100", wie die Frührente für 62-Jährige mit 38 Beitragsjahren heißt. Gurría sagte, natürlich sei es richtig, den Armen zu helfen. Doch Italien könne sich den Bürgerlohn in dieser üppigen Ausstattung nicht leisten. Für einen arbeitslosen Single sind 780 Euro im Monat vorgesehen. Außerdem sei die Gefahr groß, dass es mehr Schwarzarbeit gebe.

Das Urteil über die Rentenreform ist noch vernichtender. Mittelfristig bremse sie das Wachstum, sagt die OECD, weil Arbeitnehmer früher ausscheiden. Tatsächlich gibt es bereits wenige Monate nach der Einführung einen Notstand bei Ärzten und Lehrern. Dazu komme, dass die Maßnahme vor allem die jungen Generationen belaste, weil die dafür bezahlen müssten.

Nun könnte man denken, dass eine solche Situationsanalyse die Verantwortlichen zur Räson drängen würde, zumal sie von allen anderen Institutionen geteilt wird, nationalen wie internationalen, und dass das Kabinett deshalb die Budgetpläne rasch korrigieren würde. Doch bisher ist das Gegenteil der Fall. Die beiden starken Persönlichkeiten in der Regierung, die Vizepremiers Luigi Di Maio von den Cinque Stelle und Matteo Salvini von der Lega, konterten die Sorge der OECD mit harschen Tönen. "Wenn ich wählen muss, wem ich zuhören möchte, der OECD oder den Italienern, entscheide ich mich für die Italiener", sagte Di Maio. Und Salvini: "Die Analyse der OECD rutscht mir den Buckel runter." "Quote 100" werde 100 000 Jungen einen Job bescheren, sagte er, und darauf sei er stolz.

Auch diese Prognose ist höchst umstritten. Gerade in rezessiven Zeiten wie diesen ist es unwahrscheinlich, dass Stellen von Frühpensionären automatisch an Junge übergehen. Das nationale Statistikamt Istat warnt, dass die Arbeitslosigkeit wieder steige, neuerdings steht sie bei 10,7 Prozent. Hält der Trend an, so schätzt es die OECD, erhöhe sich die Arbeitslosigkeit bis 2020 auf zwölf Prozent.

Laut Analysten könnte nur ein Exportboom das Jahr noch retten - doch nichts deutet darauf hin

In einer heiklen Lage befindet sich Italiens Finanz- und Wirtschaftsminister, der parteilose Wirtschaftsprofessor Giovanni Tria. Er teilt die Sorge der Kritiker, ermahnt die Regierungskollegen bei jeder Gelegenheit zu mehr Realitätssinn. Ohne Erfolg. Tria kann aber schlecht hinschmeißen: In Brüssel und an den Finanzmärkten hoffen noch immer viele, dass er zusammen mit dem italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella im Notfall ein Bollwerk bilden würde gegen die Unvernunft der Populisten.

Die Frage ist allerdings, ob dieser Notfall nicht bereits im Gang ist. Tria riskiert ständig den Rauswurf, weil er den Populisten zu vorsichtig ist - gerade jetzt, da die Europawahlen anstehen, und Lega und Cinque Stelle mit Wahlgeschenken punkten möchten. Selbst Premier Giuseppe Conte sagte dieser Tage, Tria schade der Regierung, wenn er sich gemein mache mit der Kritik von außen. Die Welt, so Conte, werde schon noch sehen, wie positiv sich der "Haushalt des Volkes" seiner Regierung auf die nationale Wirtschaftsentwicklung auswirken werde.

Unabhängige Analysten sagen dagegen, allein ein starkes Anziehen des Welthandels und ein damit verbundener plötzlicher Exportboom italienischer Produkte könne das Jahr noch retten. Doch nichts deutet darauf hin. Wahrscheinlicher ist deshalb, dass die Italiener bald merken werden, dass das schöne Narrativ der Populisten in starkem Kontrast steht zum alltäglich Erlebten.

© SZ vom 03.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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