Italien:Arrivederci, Elite

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Symbolbild aus Pisa: Die Wirtschaftspolitik von Cinque Stelle und Lega droht die Schieflage im Land zu verschärfen.

(Foto: AFP)
  • Die italienischen Regierungsparteien Cinque Stelle und Lega tauschen immer mehr unliebsame Behördenchefs aus.
  • Einen vorläufigen Höhepunkt hat diese Kampagne nun mit dem Angriff auf die italienische Zentralbank erreicht.
  • Zum ersten Mal überhaupt greift die Regierung in die Besetzung des Direktoriums der Bank ein - und es wird wohl nicht das letzte Mal sein.

Von Ulrike Sauer, Rom

In Italien passieren Dinge, die andernorts kaum möglich wären. Der Schiefe Turm von Pisa zum Bespiel richtet sich selbst wieder auf. In 17 Jahren konnte der Campanile aus Carrara-Marmor sich um vier Zentimeter aus seiner Schräglage erheben. Die Selbstoptimierung des 800 Jahre alten Turms ist einer technischen Meisterleistung der Bauingenieurkunst zu verdanken. Die Sanierungsarbeiten Ende der 90er-Jahre fielen in eine Zeit, in der Kompetenz im Land Leonardo da Vincis noch geschätzt wurde.

Heute geschieht es, dass Lino Banfi, 82, einst populärer Darsteller italienischer Sex-Komödien, auserkoren wird, Italien bei der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur zu vertreten. Ein alter Mann, der sich mit sexistischen Gags einen Namen gemacht hat, als offizieller Vertreter bei der Unesco? Industrieminister Luigi Di Maio, 32, begründete seine Wahl damit, dass er alle seiner Filme kenne und Banfi inzwischen in die Rolle des Opas der Italiener geschlüpft sei. Man mag die extravagante Personalie als populistisches Tamtam belächeln. Doch mit der Ernennung des Schauspielers bringt die Koalition trefflich ihre Verachtung für die intellektuelle Elite des Landes zum Ausdruck. Dahinter steckt System: Inkompetenz wurde in Rom zur gefragten Jobbefähigung erhoben, sagen manche. Gepaart mit dem Machthunger der Regierungsparteien Cinque Stelle und Lega richtet der Anti-Establishment-Furor immensen Schaden an.

Ihren Höhepunkt erreicht die Kampagne nun mit dem Angriff auf die italienische Zentralbank. Die beiden rivalisierenden Vize-Premiers Matteo Salvini und Luigi Di Maio eröffneten die Jagd auf die Spitzenleute der Banca d'Italia. Ins Visier nahmen sie zunächst Luigi Federico Signorini, Mitglied des fünfköpfigen Direktoriums der Bank. Sein Mandat lief am Montag ab. Auf einer Kabinettssitzung am Donnerstagabend hatte Di Maio überraschend die Erneuerung des Vertrags blockiert. Dabei gilt die Konsultation der Regierung als Formsache. Die Entscheidung obliegt dem Obersten Zentralbankrat. Nie zuvor hatte sich eine Regierung in Rom quergelegt.

Di Maio aber pocht darauf, einen Wählerauftrag zum Wandel Italiens zu besitzen. Daraus leitet der Cinque-Stelle-Chef seinen Anspruch auf eine "Diskontinuität bei der Zentralbank" ab. Lega-Chef Salvini übertrumpfte ihn sogleich: Es reiche nicht, ein oder zwei Leute auszuwechseln. "Die Banca d'Italia und die Börsenaufsicht Consob müssen auf null gesetzt werden", verlangte Innenminister Salvini. Im Mai laufen die Mandate von zwei weiteren Direktoriumsmitgliedern aus. Auch der Generaldirektor Salvatore Rossi und seine Stellvertreterin Valeria Sannucci sollen auf Wunsch der Populisten ihre Posten räumen.

Am Kabinettstisch erhob sich nur eine Gegenstimme. Finanzminister Giovanni Tria warnte die Kollegen vor einer Attacke auf die Unabhängigkeit der Zentralbank. "Ihr seid wahnsinnig", soll der parteilose Wirtschaftsprofessor gesagt haben. "Die Unabhängigkeit der Banca d'Italia muss verteidigt werden", sagte Tria am Sonntag. Damit bahnt sich ein neuer Konflikt zwischen der Regierung und Staatspräsident Sergio Mattarella um die Einhaltung der demokratischen Spielregeln an.

Der Überfall auf die Notenbank ist hoch riskant. Auf dem Spiel steht die internationale Glaubwürdigkeit Italiens. Mit seiner exorbitanten Schuldenquote von 132 Prozent ist das Land auf das Vertrauen der Finanzmärkte angewiesen. Das römische Schatzamt muss jährlich 400 Milliarden Euro zur Neufinanzierung der Staatsanleihen bei den Anlegern einsammeln. In der vergangenen Woche schoss die Risikoprämie für römische Schuldtitel steil nach oben, nachdem die Wachstumsprognosen für Italien drastisch gekürzt worden waren. Steigen die Kosten der Schuldenlast, treibt das die Krisenspirale weiter an.

"Unsere Säuberungsarbeit garantiert den Sparern eine wirkungsvolle Kontrolle des nationalen Finanzsystems"

Die Zentralbank ist kein Einzelfall. Bis vor wenigen Tagen tobte der Machtkampf um den Chefposten bei der Börsenaufsicht Consob. Die Regierung hievte nach 150 Tagen Vakanz den 82-jährigen Europaminister Paolo Savona auf den Sessel. Das Drehtürprinzip bei der Besetzung unabhängiger Kontrollbehörden ist stark umstritten. Ob dem Euro-Gegner Savona daran liegt, mit einer Stärkung des Mailänder Aktienmarkts dringend gesuchte Investoren in die italienischen Börsenunternehmen zu locken, ist zu bezweifeln.

Im September hatte die Regierung Consob-Chef Mario Nava zum Rücktritt genötigt. Seine 24-jährige Karriere als Spitzenbeamter in Brüssel war den Populisten ein Dorn im Auge. "Unsere Säuberungsarbeit garantiert den Sparern eine wirkungsvolle Kontrolle des nationalen Finanzsystems", jubelten sie. Nava kehrte als Direktor für Finanzsystemaufsicht und Krisenmanagement in die EU-Kommission zurück. Das Gerangel um seine Nachfolge schürte fünf Monate die Nervosität ausländischer Investoren.

Im ersten Regierungshalbjahr kegelte die Koalition 13 Topmanager aus dem Amt - bei der Kreditanstalt Cdp, beim Bahnkonzern Ferrovie dello Stato, der Rundfunkanstalt RAI, beim Finanzamt, beim Liegenschaftsamt, beim Straßenbetreiber Anas. Im November feuerte sie den renommierten Astrophysiker Roberto Battiston als Chef der Raumfahrtagentur ASI. Beim Statistikamt Istat holt Salvini jetzt den Lega-Mann Gian Carlo Blangiardo an die Spitze. Bisher machte Blangiardo als Ausländerfeind und Abtreibungsgegner von sich reden. Nun soll er offenbar dafür sorgen, dass sich Italiens Wirtschaftsdaten verbessern. "Die frisierten Istat-Zahlen sind mir scheißegal", polterte Salvini vor zwei Wochen, als das Amt Italiens Rückfall in die Rezession meldete.

Und so verliert Italien seine besten Leute. Je erfolgreicher die Staatsdiener sind, desto unbeliebter machen sie sich. Bei der Renten- und Sozialkasse INPS scheidet nun Tito Boeri nach vier Jahren aus. Der Wirtschaftsprofessor, der unter Dauerbeschuss der Regierung stand, kehrt an die Mailänder Hochschule Bocconi zurück. Im Industrieministerium setzte Di Maio soeben Giampiero Castano vor die Tür. Der erfahrene Krisenmanager hat seit 2007 unter sieben Regierungen für die Erhaltung von Arbeitsplätzen in Pleiteunternehmen gekämpft. Italiens Chef der Antikorruptionsbehörde, Raffaele Cantone, dessen Vertrag im Juni 2020 ausläuft, zieht es vorzeitig zur Staatsanwaltschaft zurück.

Während alle Welt über das Konsolidierungswunder des 14 500 Tonnen schweren Turms in Pisa staunt, verschärft sich die Schieflage Italiens. Politiker, die sich um ein Aufrichten des Schuldenlandes mühen, sind nicht in Sicht. Eher scheinen sie am Umsturz des Turms zu arbeiten.

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