Italien:Alles umsonst

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Viele Gebäude in Italien müssen saniert werden. Der Staat hat versprochen, den klimagerechten Umbau komplett zu finanzieren. (Foto: Eberhard Thonfeld/imago images)

Italien hat sich mit gigantischen Finanzhilfen für die Baubranche völlig übernommen. Hausbesitzern sollten ihre Wohnungen klimagerecht sanieren, der Staat wollte alle Kosten übernehmen. Das konnte nicht gutgehen.

Von Ulrike Sauer, Rom

"Madonna santa!", sagt der Bauunternehmer aus der Emilia Romagna. "Der italienische Staat ist verrückt! Er will betrogen werden". Einem Komplizen soll er am Telefon von einem sagenhaften Geldregen berichtet haben. Doch Staatsanwälte hören heimlich mit. Sie verdächtigen ihn, Kopf einer weit verzweigten Bande zu sein, die in fünf Monaten mit Serienbetrügereien 278 Millionen Euro erschwindelt haben soll. "Man weiß gar nicht mehr, wo auf der Welt man noch Konten eröffnen soll", hören die Ermittler den Geschäftsmann prahlen.

Tatsächlich verteilt der Staat großzügig Geld. Im Frühling 2020, im großen Corona-Lockdown, legte die römische Regierung ein Programm zur Steigerung der Energieeffizienz von Wohnimmobilien auf. Italien saß damals zwei Monate lang in der Ausgangssperre fest, die Wirtschaft brach ein und Premier Giuseppe Conte half mit finanziellen Mitteln. Die Förderung großzügig zu nennen, wäre untertrieben. Der Staat übernimmt die Kosten für die klimagerechte Umrüstung vollständig - und legt als Zugabe noch zehn Prozent Steuerrückerstattung obendrauf.

"Wir ermöglichen es jedem, Gebäude zum Nulltarif zu renovieren. Kostenlos", kündigte Conte am 8. Mai 2020 an. Keiner bräuchte auch nur einen Cent für die Sanierung auszugeben, versprach der populistische Regierungschef. Wärmedämmung, Heizungsanlagen, Photovoltaikmodule, Fenster und Ladestationen für Elektrofahrzeuge - alles bekommt man geschenkt. Italiens "Superbonus 110 Prozent" war geboren. Konnte das gutgehen? Nein.

Nun will Mario Draghi wenigsten den Auswüchsen einen Riegel vorschieben. Die Steuerfahnder haben im ganzen Land in knapp zwei Monaten fingierte Forderungen in Höhe von 4,4 Milliarden Euro aufgedeckt. 2,3 Milliarden Euro konnten die Staatsanwälte beschlagnahmen. Scheinfirmen schrieben Rechnungen für nie geleistete Arbeiten und kassierten dann die Steuergutschriften. Sogar Metzger stellten Rechnungen für die Sanierung von Wohnungen aus. Finanzminister Daniele Franco bezeichnete die Prellerei als "eine der größten Betrügereien, die die Republik je erlebt hat". Und das will etwas heißen in Italien. Sicher ist: Die Energiewende kommt nur langsam voran.

33 Milliarden Euro, die vor allem den Reichen zu Gute kommen

Nun zog die Regierung in Rom die Notbremse. Sie verschärfte die Regeln des Superbonus. Die Möglichkeit, den hundertprozentigen Steuerrabatt beliebig oft weiterzuverkaufen, wurde eingeschränkt. Denn sie führte zu einem schwunghaften und undurchsichtigen Handel mit den Bonuszahlungen. Ungehalten rüffelte Draghi die Urheber des Schlamassels. "Dass wir uns jetzt in dieser Situation befinden, liegt daran, dass man ein System mit ganz wenigen Kontrollen etablieren wollte", sagte er spitz.

Doch das illegale Abzocken ist womöglich noch nicht einmal die schlimmste Folge des 33 Milliarden Euro teuren Staatsprogramms. Nachhaltigen Schaden richtet die Geldflut schon für sich genommen an. Denn: Das hoch verschuldete Land schüttet das Füllhorn über Bessergestellten aus, dopt ein ohnehin schon inflationsgebeuteltes Baugeschäft und reißt noch dazu tiefe Löcher in den Staatshaushalt. Auch für die Zukunft verheißt die gigantische Gratisaktion nichts Gutes. Die künstliche Blase in der Bauwirtschaft gefährdet den Erfolg der Investitionen aus dem europäischen Wiederaufbaufonds.

Das Vorpreschen Italiens ist auch für die Nachbarländer interessant. In der Europäischen Union sind drei Viertel der Gebäude energieineffizient. Ihre Sanierung könnte klimaschädliche Emissionen um fünf Prozent senken. Doch in der EU wird pro Jahr nicht einmal ein Prozent des Gebäudebestands modernisiert. Wollen die Europäer ihr Klimaziel erreichen, die Treibhausgasemissionen in diesem Jahrzehnt auf 55 Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken, sind große Anstrengungen auch im Immobilienbereich nötig. Wirkungsvolle Fördermaßnahmen werden gesucht.

Der römische "Superbonus" hat das Zeug, als abschreckendes Beispiel für wirtschaftliche Fehlanreize in die Lehrbücher der Volkswirtschaft einzugehen.

Während die Hauseigentümer begeistert zugriffen, stellte das Alles-umsonst-Prinzip den Markt auf den Kopf. Die Beseitigung des Interessenkonflikts zwischen Immobilienbesitzern und Baufirmen ließ die Kosten für Sanierungen in die Höhe schießen. Wozu Angebote prüfen? Warum verhandeln? "Tanto, paga lo stato" - der Staat zahlt ja sowieso. Besser gesagt: die kommenden Generationen. Denn das Konjunkturprogramm wird auf Pump finanziert. Der stürmische Nachfrageboom tat sein Übrigens. Baugerüste sind in Italien unauffindbar geworden. Ihre Kosten verdreifachten sich. Die Preise für Heizungsanlagen stiegen um 286 Prozent und die Preise für Fenster um 208 Prozent, ermittelte die staatliche Energieagentur ENEA mit.

Durch das Förderprogramm sind die Kosten für alle Bauprojekte nach oben geschossen

Mit dem Programm schossen nicht nur die Kosten für klimagerechtes Sanieren nach oben, sondern die für alle Bauprojekte. "Wir setzen gerade eine Branche, in der das Angebot begrenzt ist, unter Drogen und heizen so die Inflation an", schimpft Draghis Industrieminister Giancarlo Giorgetti. Andere Branchen, die für Italiens wirtschaftliche Zukunft von strategischer Bedeutung sind, überlasse man dagegen sich selbst.

Der "Superbonus" kann noch nicht mal als wirkungsvoller Beitrag zum Klimaschutz punkten. Die Effizienz der geförderten Investitionen sank um 28 Prozent gegenüber früheren Anreizprogrammen. Sozial ist der Effekt der schuldenfinanzierten Geschenkaktion höchst fragwürdig. Sie begünstigt einseitig Bessergestellte. Traditionell kommen mehr als die Hälfte der Fördermittel im Immobilienbereich den 15 Prozent der reichsten italienischen Steuerzahler zugute. In den Monatsberichten der Energieagentur ENEA taucht sogar ein Schloss im Piemont auf, das für mehr als eine Million Euro klimagerecht saniert wurde. "Mit öffentlichen Mitteln steigern wir den Wert von Privateigentum und lassen Sozialwohnungsbau der Städte leer ausgehen", klagt der Mailänder Baudezernent Pierfrancesco Maran.

Die Zwischenbilanz des Sanierungsprogramms fällt niederschmetternd aus. "Die Sanierung von 0,9 Prozent der italienischen Immobilien hat uns 20 Milliarden Euro gekostet", ermittelte das Wirtschaftsinstitut CGIA in Mestre. Um den gesamten Wohnungsbestand des Landes umzurüsten, wären zwei Billionen Euro nötig. Für die meisten Gebäude in Italien gilt: dringend sanierungsbedürftig. Aber leider ist dies nun nicht mehr finanzierbar.

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