Man kann Wolfgang Grupp keinen Vorwurf machen. Der Chef des Sportartikelherstellers Trigema hält nicht viel vom Internet, und als man ihn danach fragte, sagte er das auch.
Dass seine Meinung, bei Twitter äußerten sich nur Idioten - einmal im Netz publiziert - von den so Beschriebenen gelesen, verlinkt und kommentiert würde, war für den Mann, der seine Ansichten sonst gerne in Fernsehsendungen kundtut, nicht vorstellbar.
Da es dann aber genau so kam, und das nicht gut war fürs Image von Trigema, mussten Grupps Öffentlichkeitsarbeiter wenig später verbreiten, seine Aussagen seien gar nicht so gemeint gewesen. Gesagt hatte er: "Ich bin der Meinung, dass die Welt besser wäre, wenn es das Internet nicht gäbe."
Der öffentliche Diskurs hat diese Meinung überholt. Spätestens seit die Bundesregierung seit Anfang des Jahres auf das Internet und einige der prominenteren Nutzer zugeht, beginnen selbst ausgewiesene Technikfeinde ihr Unwohlsein mit dem Medium mit der Kompromissfloskel "Ich habe ja nichts gegen das Internet, aber...".
Der digitale Graben scheint sich zu schließen
In einer Zeit, in der eine Enquete-Kommission mit dem Titel "Internet und digitale Gesellschaft" eingesetzt wird, erscheint das offene Schimpfen aufs Web überholt. Die Politik, schrieb die Netzaktivisten Constanze Kurz vom Chaos Computer Club (CCC) unlängst in der FAZ, blase mittlerweile "zum großen Halali auf die sagenumwobene Netzgemeinde".
In den meisten Fällen basiert diese Entwicklung weniger auf der Einsicht in die Unumkehrbarkeit der Digitalisierung als lediglich auf der Beobachtung, dass der Alltag vieler Menschen einfach nicht mehr zusammengeht mit der feindseligen Ablehnung des Internet.
Doch das Zugehen aufs Digitale führt zu einer interessanten Veränderung: Der digitale Graben, von dem in den vergangenen Jahren immer wieder die Rede war, scheint sich zu schließen. Wenn alle online sind, verwischt der Unterschied zwischen den Ureinwohnern und den Zugereisten des Netzes, den sogenannten digital natives und den digital immigrants.
Väter organisieren ihre Freizeit mittlerweile ebenso über Facebook-Termine wie ihre Söhne, Kegelclubs verbreiten Ausflugsfotos genauso über Flickr wie Schulklassen, und auch die 140-Zeichen-Statusmeldungen bei Twitter gibt es inzwischen aus allen Altersgruppen.
Oder verschiebt er sich nur?
Doch der Trend ist ein trügerischer - denn an Wolfgang Grupps Analyse zum Wesen des Digitalen sieht man, dass der Graben sich nicht schließt, sondern verschiebt. "Twitter ist für mich einfach nur dumm und die Menschen, die das nutzen, sind für mich Idioten", hatte Grupp gesagt und gefragt: "Haben die Menschen eigentlich nichts Besseres zu tun, als über belanglosen Kram zu schreiben? Wen interessiert das?"
Diese Frage ist zur zentralen Bruchstelle einer neuen Spaltung geworden: der Unterscheidung nämlich zwischen den aktiven Nutzern und den distanzierten Zuschauern des digitalen Publizierens.
Auf der einen Seite stehen dabei diejenigen, die vermeintlich belanglosen Kram veröffentlichen. Sie verstehen das Netz als Lebens- und Kommunikationsraum, der wie ein Fluss ständig in Bewegung ist. Twitter zum Beispiel ist für sie ein kostenloser und schneller Nachrichtenfilter, das Publizieren im Netz Teil eines unablässigen sehr spannenden Gesprächs.
Auf der anderen Seite befinden sich jene, die im Internet vor allem einen neuen Weg zur Informationsverbreitung sehen. Sie drucken die Texte aus, die dort publiziert werden und konsumieren sie genauso linear wie eine gedruckte Zeitschrift oder ein Buch. Für sie ist unverständlich, warum Menschen Status-Meldungen auf Twitter oder Facebook veröffentlichen. Sie verstehen sie nicht als Gespräch, sondern als Publikation. Für sie das Internet kein Raum, sondern bestenfalls ein Weg, ein neuer Transportweg.
Anders als die Unterscheidung von Eingeborenen und Eingewanderten des Netzes, ist dieser neue digitale Graben nicht durch bloße Nutzung oder Routine zu schließen. Wie groß die Verständnislosigkeit auf beiden Seiten über den jeweils anderen ist, kann man beispielhaft am Umgang mit privaten Daten in der Netzöffentlichkeit ablesen.
Das Unverständnis der Skeptiker schlägt in Fassungslosigkeit um, wenn sie beobachten, wie Menschen Bilder einer privaten Geburtstagsparty im Internet veröffentlichen oder persönlichste Informationen bekannt machen. Er habe Mitleid mit denen, die auf diesen Wegen ihr "trauriges Geschwätz" verbreiten, s agte unlängst der Journalist Wolf Schneider und bekannte, Blogs - wenn überhaupt - nur ausgedruckt zu lesen.
Aber Mitleid hilft hier nicht weiter. Denn mit dem Teilen und Mitteilen von Informationen im Netz verhält es sich wie mit dem Netz selbst: Es wird nicht einfach so verschwinden. Glaubt man dem nach dem Facebook-Mitgründer benannten Zuckerbergschen Gesetz, werden sich die Informationen, die Menschen im Netz über sich verbreiten, im Jahresrhythmus verdoppeln. Um die Gründe dafür zu verstehen, lohnt sich eine tiefer gehende Analyse.
Teilen als öffentliches Gut
Der US-amerikanische Autor Steven Johnson hat dazu unlängst im Time Magazine eine beeindruckende Vorlage geliefert. Anders als in Ansätzen, die hierzulande gepflegt werden, hält er sich nicht mit Fragen nach Geschwätz oder Dummheit auf. Johnson betritt den digitalen Raum und erklärt, dass das Mitteilen von Informationen auf einer grundlegenden menschlichen Eigenschaft basiert: dem Austausch.
Menschen interessieren sich für Menschen und sie teilen sich gerne mit. Deshalb erfreuen sich die genannten Netz-Dienste so großer Beliebtheit. Sie haben aber, betont Johnson, eine höhere Bedeutung als lediglich das private Bedürfnis nach Vergleich und Beratung zu befriedigen.
Das Teilen und Mitteilen von auch privaten Informationen im Netz ist für Steven Johnson kein Geschwätz, sondern ein öffentliches Gut. Schließlich könne man ja argumentieren, es sei ganz schön selbstsüchtig, Informationen für sich zu behalten und nicht zu teilen.
"Tal der vertrauten Fremden"
Johnson beschreibt den neuen digitalen Graben als ein "Tal der vertrauten Fremden". Die gelernte Unterscheidung zwischen Anonymität und Prominenz gerate ins Schwimmen. Wer beispielsweise die Bilder einer Geburtstagsparty der Freunde eines Freundes im Netz anschaue, überschreite die gelernte Grenze der Privatheit.
Dennoch erlangen die Geburtstagsgäste beim Betrachten keinen Ruhm im klassischen Sinne. Sie werden zu vertrauten Fremden, Menschen, die einem nicht bekannt sind, deren Leben man aber kennt. Allein um dieses Verhältnis zu definieren, verlangt das Publizieren von Privatem im Netz nach Antworten, die weiter reichen als die abfällig gemeinte Frage: Wen interessiert das?
Eine Frage der Medienkompetenz
Die Spielregeln für diese Art des Veröffentlichens, so Johnson, seien gerade in ihrem Entstehen. Diese zu lernen und zu gestalten, sei eine der wichtigsten Aufgaben des großen und ständig betonten Felds der Medienkompetenz.
Dies gilt - und damit ist man wieder beim ursprünglichen digitalen Graben - aber nicht nur für die jungen, netzaffinen Menschen. Nein, die Debatte über die Frage, wie eine Gesellschaft die Grenzen von Privatheit, Prominenz und einer begrenzten Freundes-Öffentlichkeit definieren will, braucht alle gesellschaftlichen Stimmen.