Wer einen Text von Spiegel Online lesen will, hat bislang zwei Möglichkeiten: Er besucht die Website oder nutzt eine der mobilen Apps. Bald kommt eine dritte Plattform dazu: Facebook. An diesem Mittwochmorgen kündigte das soziale Netzwerk den Start der sogenannten "Instant Articles" an.
Beteiligte Verlage werden einen Teil ihrer Inhalte künftig direkt auf Facebook veröffentlichen. Neun große Medienhäuser sind beim Start mit an Bord: aus den USA etwa die New York Times und Buzzfeed, die britische BBC und der Guardian sowie der Spiegel und die Bild aus Deutschland. Bislang schickt Facebook seine Nutzer mit einem Link zur Original-Quelle, damit diese die Nachricht dort nachlesen können. Mit "Instant Articles" wird dieser Umweg überflüssig, der vollständige Text erscheint nun direkt bei Facebook.
Die Verlage dürfen die Anzeigen selbst vermarkten
Damit verlieren die Medien zwar Leser auf den eigenen Seiten, Facebook lockt aber mit attraktiven Konditionen. Wenn die Verlage die Anzeigen neben ihren Inhalten bei Facebook selbst verkaufen, dürfen sie die vollständigen Werbeeinnahmen für sich behalten. Übernimmt Facebook die Vermarktung, springen für die Medien immer noch 70 Prozent der Anzeigenerlöse heraus.
Die "Instant Articles" starten an diesem Mittwoch mit Inhalten der amerikanischen Kooperationspartner, im Laufe der nächsten Wochen werden Artikel und Videos der internationalen Medien integriert. Zu Beginn kann man die Funktion nur als Besitzer eines iPhones nutzen, eine Android-Version soll in Kürze folgen.
Facebook will noch attraktiver für Werbekunden werden
Was sich Facebook von der Partnerschaft verspricht, liegt auf der Hand: "Mobiler Nachrichtenkonsum ist eine schreckliche Erfahrung, und das mobile Internet ist ein Scherbenhaufen", zitiert der Business Insider eine Quelle aus dem Facebook-Umfeld. Wenn Nutzer auf die Links von Medien klicken, dauert es nach Angaben von Facebook durchschnittlich rund acht Sekunden, bis sich die Seite aufgebaut hat - am Smartphone eine halbe Ewigkeit.
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Wenn Facebook die vollständigen Inhalte selbst hostet, könnte diese Wartezeit deutlich verringert und Nutzer auf der eigenen Plattform gehalten werden. Facebook gilt vielen Menschen bereits als Synonym für das Internet. Mit "Instant Articles" würde das Angebot des Netzwerks damit noch umfassender, nicht einmal zum Zeitunglesen müsste man Facebook noch verlassen. Die Folge: Noch mehr Menschen verbringen noch mehr Zeit auf Facebook - das folglich höhere Preise von Werbekunden verlangen könnte.
Den Verlagen winkt Geld und enorme Reichweite
Doch was erhoffen sich die teilnehmenden Verlage? Einerseits natürlich Geld, mit der Ausschüttung der kompletten Anzeigenerlöse macht Facebook ein verlockendes Angebot. Genauso wichtig dürfte die Reichweite sein, die Facebook verspricht. Mit bald anderthalb Milliarden monatlich aktiven Nutzern weltweit und rund 30 Millionen deutschen bietet das Netzwerk potenziell eine riesige Leserschaft. Wenn Medien ihre Inhalte direkt bei Facebook anbieten, würden sie von deutlich mehr Menschen wahrgenommen als auf den verlagseigenen Seiten.
Dem Tech-Blog Techcrunch zufolge wirken die Klicks auf die "Instant Articles" auch auf die vom Analysedienst Comscore ermittelte Reichweite der Verlage ein. Das ist wichtig, weil diese Zahlen eine Argumentationsgrundlage für die Gespräche mit Werbekunden sind, wenn es um die Höhe der Anzeigenpreise geht. Das deutsche Pendant ist die IVW, mit der nach Aussage von Torsten Beeck, dem Social-Media-Chef von Spiegel Online, derzeit noch verhandelt wird.
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Aus der Pressemitteilung von Springer geht hervor, dass Bild - ebenso wie alle anderen beteiligten Medien - die Rechte an den bei Facebook veröffentlichten Inhalten behält und auch presserechtlich dafür verantwortlich bleibt. Springer möchte gemeinsam mit Facebook ein Bezahlmodell entwickeln, sodass dort in Zukunft auch kostenpflichtige Texte und Videos erscheinen könnten. Florian Harms, Chefredakteur von Spiegel Online, sagte, die Kooperation werde "die Berichterstattung über Facebook selbstverständlich nicht beeinflussen", sie bleibe "unabhängig und kritisch".
Doch die Kooperation mit Facebook ist für Verlage nicht ohne Risiken: Zwar bieten sich kurzfristig neue Vertriebschancen, langfristig geben sie damit aber die Kontrolle über ihre eigenen Inhalte ab. 2011 hatte Facebook zahlreiche große Medien mit dem sogenannten "Social Reader" gelockt, der kurzfristig gewaltige Reichweitensteigerungen versprach - nur um die Funktion ein halbes Jahr später einzustellen, woraufhin schlagartig Millionen Leser wieder weg waren. Ob das bei "Instant Articles" anders sein wird, weiß nur Facebook selbst.
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Unklar ist ebenfalls, was passiert, sobald Facebook alle großen Verlage als Partner gewonnen hat. Wer garantiert, dass Facebook dann nicht anfängt, sich selbst ein größeres Stück vom Werbekuchen abzuschneiden? Und warum sollten Leser irgendwann überhaupt noch auf ihrem Smartphone die Websites der Verlage ansteuern, wenn sie alle Inhalte schneller und einfacher bei Facebook finden können? Bereits jetzt sind viele Medien auf Facebook angewiesen, weil sie zwischen zehn und 15 Prozent ihrer Leser von dort zugeführt bekommen. Mit den "Instant Articles" würde diese Abhängigkeit noch größer.
Auch Snapchat und Twitter entdecken den Journalismus für sich
Facebook ist mit seinem Vorhaben nicht alleine, mehrere Tech-Konzerne liebäugeln derzeit mit einem Einstieg ins Nachrichtengeschäft. Snapchat stellte im Januar eine Funktion namens "Discover" vor, mit der Jugendliche an Nachrichten herangeführt werden sollen. Ende April verkündete der renommierte CNN-Reporter Peter Hamby seinen Wechsel zu Snapchat. Und Twitter soll angeblich daran interessiert sein, die mobile News-App Circa zu übernehmen.
Emily Bell, Professorin an der Columbia School of Journalism, warnt die Verlage davor, sich allzu bereitwillig auf solche Kooperationen einzulassen. Sie hält Unternehmen wie Facebook für "Frenemies" der Medien, also für Freund und Feind zugleich. Zwar sei es angesichts der Machtverhältnisse im Netz unumgänglich, enger mit den Firmen aus dem Silicon Valley zusammenzuarbeiten, diese würden aber immer wirtschaftlich und nicht journalistisch denken. Bell fordert deshalb, dass Medien ihre Inhalte nicht an milliardenschwere Tech-Konzerne abgeben sollten, ohne sich vorher die Konsequenzen klar zu machen.