Preise:Inflationsrate steigt im Mai auf 7,9 Prozent

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Vor allem bei Lebensmitteln und Energie ziehen die Preise stark an. Experten befürchten, dass einige Firmen die Lage nutzen könnten, um ihre Preise schamlos zu erhöhen.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Die Preise in Deutschland sind in diesem Monat erneut stark gestiegen. Die Inflationsrate lag im Mai bei 7,9 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Montag in einer Prognose mitteilte. Das ist der höchste Wert seit 1981. Im April betrug der Wert 7,4 Prozent. Erneut waren es die Kosten für Energie (plus 38 Prozent), die gegenüber dem Vorjahresmonat stark angezogen haben. Aber auch Nahrungsmittel kosteten mit einem Plus von elf Prozent deutlich mehr. Die Importpreise erhöhten sich insgesamt um 31,7 Prozent zum Vorjahresmonat, so das Statistische Bundesamt. "Eine höhere Vorjahresveränderung hatte es zuletzt im September 1974 im Rahmen der ersten Ölkrise gegeben."

Für 2022 er­war­tet die Bun­des­bank in Deutsch­land eine In­fla­ti­on von durch­schnitt­lich etwa sieben Pro­zent. Erst ab dem kom­men­den Jahr dürfte die Teue­rung dann all­mäh­lich wie­der zu­rück­ge­hen, sagte Bundesbankpräsident Joachim Nagel in einem Interview mit dem Spiegel.

Der seit mehr als einem Jahr anhaltende Inflationsschub belastet die Realeinkommen der Beschäftigten stark, sie sanken im ersten Quartal um 1,8 Prozent, meldeten die Statistiker aus Wiesbaden - und das trotz ansehnlicher Lohnaufschläge: Der nominale Lohnanstieg gegenüber 2021 habe vier Prozent betragen. Doch die Inflation in den drei Monaten bis März lag bei 5,8 Prozent.

"Der aktuelle Preisschub schwächt die Kaufkraft insbesondere von Menschen mit geringen Einkommen, während die Immobilienpreise weiter steigen", sagt Gunther Schnabl, Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Universität Leipzig. "Unter den steigenden Konsumenten- und Vermögenspreisen leiden insbesondere junge Menschen und die Mittelschicht."

Inzwischen haben die Preiserhöhungen eine Eigendynamik entfaltet. Es entsteht der Eindruck, viele Wirtschaftsakteure in Deutschland schlagen drauf, wo es nur geht. "Die Scham, Preise zu erhöhen, ist gefallen. Früher war das erklärungsbedürftig, heute wundert man sich schon fast, wenn die Preise nicht steigen", sagt Friedrich Heinemann, Volkswirt am Forschungsinstitut ZEW. Man spüre den Willen der Unternehmen angesichts der allgemeinen Preiserhöhungswelle die Margen auszuweiten, und der Konsument könne gar nicht nachprüfen, ob der Aufschlag aufgrund höherer Einkaufskosten gerechtfertigt sei oder nicht, so Heinemann. "Die Gewerkschaften können es sich nicht mehr leisten, diese Inflation zu ignorieren. Wir haben in Deutschland zudem einen massiven Fachkräftemangel, eine Lohn-Preis-Spirale wie in den USA ist deshalb auch in Deutschland absehbar", sagt er. In einer Lohn-Preis-Spirale nährt sich die Inflation selbst, weil Unternehmen aufgrund höherer Tariflöhne die Preise für ihre Produkte anheben - und Gewerkschaften dann erneut höhere Einkommen fordern.

Eine Dekade lang galt Inflation in den westlichen Industriestaaten als besiegt

Auch in den anderen Euro-Staaten steigt die Inflation, wenn auch recht unterschiedlich, die baltischen Mitgliedsländer leiden unter zweistelligen Steigerungsraten, während der Wert in Frankreich unter dem von Deutschland liegt. Die Euro-Zone insgesamt wies im April eine Inflationsrate von 7,4 Prozent aus. Das ist deutlich mehr als der Zielwert der Europäischen Zentralbank: Dieser liegt bei zwei Prozent.

Der starke Preisanstieg der vergangenen 16 Monate kam für die allermeisten Experten überraschend. Nahezu eine Dekade lang galt Inflation in den westlichen Industriestaaten als besiegt, die Währungshüter sorgten sich vielmehr darüber, dass die Preise zu wenig steigen oder längerfristig fallen könnten. Eine solche Deflation halten viele Ökonomen für gefährlich.

Doch dann kam alles anders: Die starken Preisanstiege waren zunächst Folge der Wirtschaftsbeschränkungen im Zuge der Pandemieeindämmung. Durch den Lockdown kam es zu Produktionsstopps, weil wichtige Teile für Endprodukte fehlten, zum Beispiel Halbleiter, und weil die Geschäfte geschlossen waren. Mit dem kriegerischen Angriff Russlands auf die Ukraine und den daraufhin beschlossenen Wirtschaftssanktionen kam es an den Öl- und Gasmärkten zu starken Preisausschlägen. Energieanbieter haben ihre Preise für die Verbraucher massiv erhöht. Inzwischen fürchten die Experten, dass sich nun auch die Inflationserwartungen der Verbraucher und Firmen verändern: Wenn Menschen immer weiter steigende Preise erwarten, dann steigen sie auch, so die Befürchtung einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.

Die EZB hat den Preisschub sehr lange als "vorübergehend" eingestuft und daher die lockere Geldpolitik bis dato fortgesetzt. Erst jetzt zeichnet sich ab, dass Europas Währungshüter im Juli erstmals seit 2011 den Leitzins wieder anheben könnten. Doch unklar ist noch, wie stark die Zinsen steigen werden. Manche Vertreter im EZB-Rat fordern eine Anhebung um 0,5 Prozentpunkte, Notenbankchefin Christine Lagarde und andere möchten behutsamer vorgehen. Wie auch immer: Der Leitzins, der seit Jahren bei null Prozent liegt, wird nach Expertenmeinung nicht das Niveau erreichen, was eigentlich angezeigt wäre.

"Wenn wir annehmen, dass die Inflation im nächsten Jahr bei vier Prozent liegt, dann müsste der Leitzins mindestens vier Prozent betragen, um den Kaufkraftverlust auszugleichen", meint ZEW-Experte Heinemann. Doch so hohe Zinsen werde die EZB nicht beschließen, und zwar, weil man dadurch die Stabilität an den Anleihemärkten gefährden würde. Der Hintergrund: Euro-Staaten wie Deutschland bezahlen schon jetzt für neue Schulden sehr viel weniger Zins als Länder wie Italien. Extrem unterschiedliche Finanzierungsbedingungen haben 2011/12 die Euro-Schuldenkrise ausgelöst - Spekulanten wetteten damals auf den Kollaps der Währungsunion. "Eine Wiederholung dieser Ereignisse will die EZB unter allen Umständen vermeiden", so Heinemann. "Deshalb wird sie den Zins nur sehr mäßig erhöhen und im Ernstfall noch bis Ende 2024 aus fällig werdenden Anleihen im Bestand gezielt Anleihen finanzschwacher Staaten nachkaufen - das hat sie bereits beschlossen."

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