Inflation:Lagarde bleibt hart

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Über dem Main erhebt sich die Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) in Franfurt. (Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Die EZB setzt ihre Nullzinspolitik trotz hoher Inflation fort. Doch eine Leitzinserhöhung in diesem Jahr erscheint nicht mehr ausgeschlossen.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Christine Lagarde skizziert die Lage für die Bürger recht schonungslos: Die Inflation sei "stark gestiegen", diese Entwicklung kam "überraschend", und die Preise werden wohl "noch länger klettern", als es die Notenbank ursprünglich erwartet hatte. In einer normalen Welt wären das klare Indizien für ein Ende der lockeren Geldpolitik. Doch die EZB setzt die Nullzinspolitik unbeirrt fort. "Wir möchten keine übereilte Entscheidung treffen, ohne die nötigen Daten und Analysen zu haben", sagte Lagarde am Donnerstag in Frankfurt. Im März wisse man mehr.

Es ist eine skurrile Situation. Die Inflationsrate in der Euro-Zone lag im Januar bei 5,1 Prozent. Das ist der höchste Wert seit Gründung der Währungsunion vor mehr als 20 Jahren. Im November waren die Notenbanker davon überzeugt, dass die Inflation mit 4,9 Prozent ihren Höhepunkt erreicht hätte. Doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Die Preise klettern weiter, im Dezember, im Januar - und jetzt noch ein paar Monate länger.

Die Kritik an der Untätigkeit der EZB wächst, auch wenn sie ein Argument auf ihrer Seite hat: Eine Notenbank kann die Energiepreise durch eine Leitzinserhöhung nicht absenken. Doch so richtig das wirkt, die Außenwirkung ist katastrophal. Die Notenbank hat das Mandat, Preisstabilität herzustellen. Bei 5,1 Prozent Inflation kommt eine "Wait and see"-Taktik nicht gut an. Vielmehr untergräbt diese Taktik die Bemühungen der Notenbank, das im vergangenen Jahrzehnt gesunkene Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen. Lagarde räumt sogar ein, dass Menschen mit geringen Einkommen besonders stark von den hohen Kosten für Energie und Lebensmittel betroffen seien. Kann sie wirklich nichts tun? Ist es wirklich zu früh?

Großbritannien sieht das anders: Die Bank of England hat am Donnerstag zum zweiten Mal den Leitzins erhöht, aufgrund der hohen Inflation möchte sie auch das Anleihekaufprogramm reduzieren. In den USA das gleiche Bild: Die Federal Reserve möchte den Leitzins in diesem Jahr gleich mehrfach anheben - die Preise dort sind um rund sieben Prozent gestiegen.

Im EZB-Rat wird kontrovers debattiert

Die EZB jedoch bleibt hart, noch. Der Leitzins liegt seit 2016 bei null Prozent. Lagarde schließt am Donnerstag allerdings nicht mehr explizit aus, den Leitzins noch in diesem Jahr anzuheben. Das ist ein Indiz dafür, dass es im EZB-Rat kontroverse Debatten gibt über den eingeschlagenen Weg. Doch Diskussionen sind das eine: Bislang behalte sich die EZB in ihrem schriftlichen Kommuniqué "formal noch immer eine weitere Zinssenkung vor, obwohl eine Zinserhöhung notwendig wäre", sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank.

Das 1,85 Billionen Euro schwere Pandemie-Notprogramm läuft auf jeden Fall Ende März aus, doch die Anleihekäufe der Notenbank gehen weiter: Sobald Staatsanleihen aus dem Pandemie-Notprogramm getilgt werden, steckt die EZB das zurückgezahlte Geld erneut in den Bond-Markt. Außerdem erhöht die Notenbank das immer noch laufende Anleihekaufprogramm aus der Draghi-Ära, zeitweise um das Doppelte auf 40 Milliarden Euro pro Monat.

"Die Zinspolitik und Wertpapierkäufe der EZB wirken inzwischen wie aus der Zeit gefallen. Europas Zentralbank betreibt im Grunde immer noch eine Politik der Deflationsbekämpfung, obwohl Europa den stärksten Inflationsschub seit Einführung des Euro erlebt", sagt der ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann. Der EZB-Rat riskiere inzwischen, die Reputation dieser Institution ernsthaft zu beschädigen. "Immer mehr Beobachter der Geldpolitik fragen sich, ob die EZB wirklich noch der Preisstabilität oberste Priorität einräumt."

Nun ist die Euro-Zone keine homogene Masse. Die Inflationsraten in den einzelnen Mitgliedstaaten der Währungsunion sind so unterschiedlich wie die Wettervorhersagen. In Litauen beträgt die Teuerungsrate im Januar beispielsweise 12,2 Prozent, in Belgien 8,5, in Frankreich 3,3 und in den Niederlanden 7,6 Prozent.

In Deutschland hat die Preisdynamik zwar etwas nachgelassen, aber 4,9 Prozent Inflation im Januar sind immer noch ein gewaltiger Kaufkraftverlust. Die Energieversorger hierzulande quälen die Verbraucher mit Preiserhöhungen, das Gas ist knapp aufgrund des Ukraine-Konflikts, der Benzinpreis erreicht neue Höchststände. Die Bundesregierung ist alarmiert, Haushalte mit geringem Einkommen, Wohngeldbezieher, Studierende und Auszubildende sollen mit einem einmaligen Heizkostenzuschuss kompensiert werden.

Die gesellschaftliche Angst vor Inflation verfestigt sich unterdessen. Der Grund ist auch die ambitionierte Klimaschutzpolitik der EU. Die politisch gewollte Verteuerung der Treibhausgasemissionen könnte das Preisniveau langfristig anheben, befürchtet selbst die EZB. Umweltschützer sagen zwar, das stimme nicht, es gebe keine "Greenflation". Vielmehr würden durch die CO₂-Steuer nur die wahren Kosten der fossilen Brennstoffe eingepreist. Doch das ist kein Trost für Menschen mit wenig Geld, auch wenn die Bundesregierung die Einführung eines entschädigenden Klimageldes plant.

Inzwischen macht auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace Druck: "Die EZB muss jetzt beweisen, dass sie zu einem geldpolitischen Kurswechsel mit echtem Klimaschutz bereit ist", fordert Mauricio Vargas, Finanzexperte von Greenpeace. Eine Straffung der Geldpolitik angesichts der hohen Inflation solle sich an den Pariser Klimazielen orientieren. Die Notenbank solle daher den Ankauf von Anleihen der Unternehmen beenden, die klimaschädlich arbeiten.

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