Patente:Wie der Impfstoff zu den Armen kommt

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Impfstoffproduktion in Brasilien. Das Land leidet schwer unter der Pandemie. (Foto: Alexandre Schneider/Getty Images)

Zwangslizenzen helfen nicht, um einkommensschwache Staaten schnell und günstig mit Corona-Impfstoffen zu versorgen, sagen Wirtschaftswissenschaftler. Aber es gebe Alternativen.

Von Elisabeth Dostert

Das Thema spaltet Nationen, Gesellschaften und sorgt auch für Debatten unter Wirtschaftswissenschaftlern. Sollten die Patente für Impfstoffe gegen das Coronavirus freigegeben werden, damit einkommensschwache Länder schneller und preiswerter versorgt werden können? In der August-Ausgabe des Ifo-Schnelldienstes widmen sich fünf Wissenschaftler und eine Lobbyistin dem Thema. Für eine bedingungslose Freigabe der Patente plädiert keiner. Kurzfristig, da sind sich die Autoren ziemlich einig, würde die Freigabe nichts bringen, weil die Produktion der Impfstoffe komplex sei.

Thomas Fackler, Volkswirt und Wettbewerbsexperte am Ifo-Institut, hat sich einen Fall der Patentfreigabe angesehen: den US-Telekommunikationskonzern AT&T und dessen damalige Forschungsabteilung Bell Labs. Der Transistor, das Radar und die Solarzelle seien dort entwickelt worden, schreibt Fackler. 1956 seien 8000 Patente freigegeben worden und zwar kostenlos. "Im Hinblick auf Innovationen war das ein Erfolg", sagt Fackler, "denn die Zwangslizenzierung löste basierend auf den Patenten von Bell Labs viele Nachfolgeinnovationen aus." Start-ups entwickelten ganz neue Produkte, neue Märkte entstanden.

Der Wissenschaftler warnt allerdings vor eiligen Schlüssen für die Impfstoffdebatte. Kurzfristig würde die Freigabe von Patenten auf Impfstoffe nicht helfen. "Der Impfstoff allein ist es ja nicht, man braucht auch die Infrastruktur, um ihn herzustellen, und es braucht Jahre, um eine eigene Forschung aufzubauen, etwa um Varianten zu bekämpfen." Das sei auch im Fall Bell Labs so gewesen. "Die positiven Effekte der Freigabe entfalteten sich über Jahre."

In der aktuellen Debatte gehe es aber darum, wie man die ganze Welt möglichst schnell mit Impfstoff versorgen könne. "Da dürfte eine Zwangslizenzierung kaum helfen", sagt Fackler. Langfristig könnte sie helfen, "es kommt aber auf die Ausgestaltung an, etwa in Form von Ausgleichszahlungen an die Erfinder". Ob man dann in zwei Jahren wirklich weiter wäre, sei nicht ausgemacht, so Fackler: "Die Gefahr besteht, dass man die aktuelle Lage auf Kosten einer besseren Lage in fünf oder zehn Jahren verschlechtert." Die Pandemie sei aber ein Problem, das es jetzt zu lösen gelte.

Eine neue Rolle für die Covax-Initiative

Die Produktion beschleunigen könnte, schreibt Michael Stolpe, Leiter des Projektbereichs Globale Gesundheitsökonomie am Institut für Weltwirtschaft in Kiel, die freiwillige Lizenzierung, bei dem die Monopolmacht des Patentinhabers erhalten bleibe, und der Lizenzgeber die Konditionen in seinem Sinne setzen könne. Von Zwangslizenzen hält auch Stolpe nichts, weil sich die Übertragung von nicht-patentiertem informellem Wissen, Erfahrungen und Know-how nicht erzwingen lasse, "ohne die der Aufbau einer effizienten Produktion schwierig, langwierig oder unmöglich sein kann."

Eine wichtige Rolle könnte die weltweite Initiative Covax spielen. Bislang habe sie es zwar nicht geschafft, die "enorme Kluft" zwischen den Impfraten armer und reicher Länder "zu überwinden oder auch nur zu verringern". Das ließe sich ändern. Stolpe empfiehlt eine deutliche finanzielle Aufstockung der Initiative. Sie könnte dann im Rahmen eines "klug konzipierten Auktionsverfahrens" die Patentrechte an den für ärmere Länder vielversprechendsten Impfstoffen aufkaufen, um dann kostenlose Herstellungslizenzen an Impfstoff- und Generikahersteller in Indien, Südafrika, Brasilien und anderen Ländern zu vergeben. "Gewinnen würden dabei alle."

"Der Charme der Marktwirtschaft"

Auch Reto Hilty, Direktor am Max-Planck Institut für Innovation und Wettbewerb und Honorarprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, sieht die Staaten in der Pflicht. Solche, die es mit der nachhaltigen Bekämpfung der Pandemie ernst meinten, würden nicht umhinkommen, sich "direkt und auf eigene Kosten" um die Menschen in Weltregionen ohne die nötige Kaufkraft zu kümmern - genauso, wie sie es im eigenen Land tun. Dies sei zwar ungleich aufwendiger, "als der Pharmaindustrie die Verantwortung für das Elend auf der Welt in die Schuhe zu schieben".

Auf lange Sicht dürfte sich Hilty zufolge direkte Hilfe jedoch bezahlt machen. Ein Staat profitiere davon, wenn private Akteure motiviert bleiben, heute in Therapien von morgen zu investieren. "Führt dies zum Erfolg, fallen Gewinne an, die versteuert werden, was öffentliche Mittel generiert, die es erlauben, Maßnahmen zur Verwirklichung globaler Gerechtigkeit zu finanzieren." Für Misserfolge hingegen zahlten private Investoren die Zeche. Darin liegt für Hilty der "Charme der Marktwirtschaft für die Öffentlichkeit".

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