Die Corona-Pandemie, heißt es, läute das Ende einer Ära ein. Vielleicht bietet die Art und Weise, wie die Gesellschaft auf sie reagiert aber auch eine Ahnung der Zukunft. Wie viele Leute zum Beispiel werden, sollte die Krise einmal ausgestanden sein, nicht mehr ins Büro zurückkehren, sondern für immer im Home Office bleiben?
Was in normalen Zeiten eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Restleben verspricht, birgt auch eine reale Gefahr. Denn je näher die Arbeitswelt in die eigene Wohnung vorrückt, desto eher erodiert auch die Privatsphäre. Nicht nur, weil man sich durch die räumliche Nähe des Arbeitsplatzes noch eher genötigt fühlt, auch außerhalb der Bürozeiten auf die Nachrichten vom Chef zu reagieren. Sondern auch, weil jener Chef natürlich sichergehen will, dass der Heimarbeiter auch wirklich die Präsentation vorbereitet, statt die Küche zu saugen.
In Zeiten des Home Office ist die Stempeluhr ein veraltetes Instrument, um Produktivitätssignale aufzuzeichnen. Zu den zeitgemäßeren Methoden gehört es, dass die Beschäftigten in manchen Unternehmen ihren Vorgesetzten beispielsweise Zugriff auf Nachrichten im E-Mail-Postfach oder in Chat-Software wie etwa Slack gewähren müssen.
Überwachungstools auch Teil von Videokonferenz-Software
In anderen Fällen ist die Software einfach so beliebt, dass über ihre Nachteile gerne hinweggesehen wird. Bis vergangene Woche bot etwa Zoom, die Videokonferenzsoftware, deren Popularität seit dem Corona-Ausbruch ähnlich exponentiell steigt wie die Kurven der Epidemiologen, eine Funktion namens "Attention Tracking" an. Das bedeutete, dass derjenige, der die Konferenz ausrichtet, sehen kann, ob die Teilnehmer das entsprechende Fenster in ihrem Computer auch geöffnet haben. Auch den Inhalt privater Nachrichten, die sich Zuschauer untereinander währenddessen schicken, bekommt er nach Beendigung in Form eines Transkripts zugesandt.
Spezielle Programme zum Mitarbeitertracking gab es freilich schon vor Corona, die momentanen Umstände beschleunigen jetzt nur den Trend. Wie Bloomberg in der vergangenen Woche berichtete, komme es jedenfalls nicht nur in Supermärkten, sondern auch im Bereich der Arbeitsüberwachung zu "Panikkäufen". Wie so oft scheinen die Macher der entsprechenden Programme zu naheliegenden Markennamen zu neigen: Unternehmen wie Interguard, Activetrack, Vericlock oder Time Doctor berichten davon, dass sich Anfragen und Absatz in den vergangenen Wochen verdreifacht hätten. Deren Kunden haben nun Einblick in die Tastatureingaben ihrer Angestellten, können die von ihnen besuchten Webseiten auswerten und in regelmäßigen Abständen einen Screenshot aufnehmen. In anderen Fällen werden die Beschäftigten dazu angehalten, den gesamten Tag in einer Videokonferenz eingeloggt zu bleiben.
Andere Anbieter kleiden die Überwachungsmaßnahmen wenigstens mit dem Deckmantel der mentalen Fürsorge aus. Für eine jährliche Gebühr zwischen 250 000 und einer Million Dollar untersucht das kanadische Unternehmen Receptiviti die Nachrichten der Belegschaft auf Anzeichen von Depressionen oder Burnout. Die wissenschaftliche Grundlage einiger dieser Programme darf man dabei durchaus als abenteuerlich bezeichnen.
So wird unter anderem analysiert, wie häufig Mitarbeiter die Wörter "Ich" und "mich" im Vergleich zu "Wir" und "Uns" benutzen. Überwiegt die erste Person könnte das ein Anzeichen für eine depressive Verstimmung sein, so der amerikanische Psychologe James Pennebaker, der praktischerweise Mitgründer des Unternehmens ist. In seinen Arbeiten fand er angeblich heraus, dass Schriftsteller, die Suizid begangen haben, in ihren Werken häufiger das Wort "Ich" benutzt haben, als Kollegen, die vermeintlich bei psychisch besserer Gesundheit waren. Nicht untersucht wurde jedoch, ob auch permanente Überwachung zu Verstimmungen führen könnte.