Arbeitswelt:Immer mehr Unternehmen halten am Home-Office fest

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Viel Platz für die eigene Ordnung: Arbeiten im Home-Office hat Vorteile, für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber. Aber es bringt auch manchen Nachteil. (Foto: Valentina Barreto/imago images)

Viele Arbeitgeber möchten es ihren Beschäftigten auch nach der Pandemie ermöglichen, von zu Hause aus zu arbeiten - und das selbst in Branchen, von denen man es eigentlich nicht erwartet hätte.

Von Felicitas Wilke

Wolfgang Grupp hält nicht viel vom Home-Office. Der Chef des Textilherstellers Trigema sagte kürzlich in einem Interview, er müsste "garantiert 50 Prozent mehr Leute" einstellen, wenn es einen gesetzlichen Anspruch darauf gäbe, von zu Hause aus zu arbeiten. Die meisten anderen Unternehmen gehen aber offenbar so vor wie die Allianz, Daimler oder Siemens und lassen ihre Beschäftigten, wenn möglich, auch nach der Corona-Krise mobil arbeiten. Das zeigt eine Umfrage des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim (ZEW), die der SZ vorab vorliegt: In bestimmten, besonders gut dafür geeigneten Branchen möchten drei Viertel der befragten Unternehmen ihren Beschäftigten auch künftig ermöglichen, am heimischen Schreibtisch zu bleiben.

Bereits im Juni 2020 wollten die Forschenden von kleinen, mittleren und großen Unternehmen wissen, ob sie gedenken, ihre Belegschaft auch nach der Corona-Krise im Home-Office arbeiten zu lassen. In Firmen aus der Informationswirtschaft wollten das schon damals 64 Prozent der Unternehmen weiterhin mindestens einen Tag pro Woche erlauben. Dazu zählen IT-Dienstleister, Verlage, Steuerkanzleien oder Werbeagenturen. Ein Jahr später fragte das ZEW erneut bei den knapp 1200 Unternehmen nach - und erfuhr, dass der Anteil mittlerweile auf 74 Prozent gestiegen ist. Zum Vergleich: Vor der Krise hatte nur rund die Hälfte der Unternehmen in der Informationswirtschaft einem Teil der Beschäftigten ermöglicht, mindestens einmal wöchentlich von zu Hause aus zu arbeiten.

"Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Home-Office nicht wieder verschwindet, sondern die Arbeitgeber auch auf lange Sicht flexibleres Arbeiten ermöglichen werden", sagt Daniel Erdsiek, der im Bereich "Digitale Ökonomie" am ZEW forscht. Bemerkenswert ist, dass sich auch knapp die Hälfte der befragten Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe auf eine Zukunft einstellt, die zumindest teilweise außerhalb des Betriebs stattfindet. Vor einem Jahr waren es noch 37 Prozent gewesen; vor der Krise hatten sogar nur 24 Prozent der Arbeitgeber in diesem Sektor ihren Beschäftigten erlaubt, regelmäßig von zu Hause aus zu arbeiten. Bei den Aufgaben, so Wissenschaftler Erdsiek, handelt es sich wohl vorrangig um administrative Jobs, die sich schon früher ins Home-Office hätten verlagern lassen. "Es sind aber auch Tätigkeiten darunter, bei denen das erst durch die fortschreitende Digitalisierung in den Unternehmen möglich war. Man denke zum Beispiel an die Anlage, die sich jetzt auch von zu Hause aus steuern oder überwachen lässt."

Die Heimarbeit ist gekommen, um zu bleiben

Bereits in vorangegangenen Studien fanden die Forschenden heraus: Viele Unternehmen sind positiv überrascht, wie gut das plötzliche, groß angelegte Experiment bei ihnen funktioniert hat. "Sie haben gemerkt, dass mehr Tätigkeiten für die Arbeit zu Hause geeignet sind als vorher gedacht", sagt Erdsiek.

Das betrifft auch ein Berufsfeld, in dem persönliche Begegnungen, Smalltalk und Händeschütteln vor der Krise eigentlich zur Jobbeschreibung gehörten: den Vertrieb. Wie eine bislang ebenfalls unveröffentlichte Studie der Universität Bochum zeigt, haben die dafür befragten 777 Unternehmen ihre Vertriebsziele im Krisenjahr 2020 zu 97 Prozent erreicht. Und das, obwohl sich die Außendienstler zwischenzeitlich nicht mehr ins Auto setzen konnten, um zu ihren Kundinnen und Kunden zu reisen und via Zoom, Teams oder Skype im Schnitt 28 Minuten kürzer um deren Gunst warben.

Auch aus diesen Ergebnissen folgern die Wissenschaftler, dass das Home-Office gekommen ist, um zu bleiben. So könnten die Beschäftigten im Vertrieb künftig insbesondere Bestandskunden vermehrt vom heimischen Schreibtisch aus betreuen, findet Christian Schmitz, Lehrstuhlinhaber am Sales Management Department der Uni. Die gewonnene Zeit könnten die Beschäftigten anderweitig nutzen - und obendrein tonnenweise CO₂ sparen.

Um zu Hause nicht das Tablet der Teenager-Tochter beanspruchen zu müssen, brauchen Beschäftigte jedoch ein Endgerät, mit dem sie an Projekten arbeiten und an Videokonferenzen teilnehmen können. Wie die ZEW-Befragung zeigt, hat jedes dritte Unternehmen in der Informationswirtschaft und jedes vierte Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe während der Pandemie zusätzliche Smartphones, Laptops oder Tablets bereitgestellt.

Also alles Friede, Freude, Heimarbeit? Da ist ZEW-Forscher Erdsiek vorsichtig. Wer vermehrt von zu Hause aus arbeite, wandle auf einem schmalen Grat zwischen besserer Vereinbarkeit von Beruf und Familie und dem Gefühl, ständig erreichbar sein zu müssen. "Da braucht es noch viel Selbstfindung bei Unternehmen und Beschäftigten", sagt er.

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