Hartz IV in der Kritik:Die Reform der Reform braucht eine Reform

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Nicht mehr als Herumdoktern: Was die Regierung Merkel bislang an Hartz-IV-Rezepten präsentiert, ist wenig durchdacht.

Thomas Öchsner

So viel Einigkeit gibt es selten. Fünf Jahre nachdem die größte Sozialreform der Nachkriegsgeschichte in Kraft getreten ist, fordern alle Parteien Änderungen bei Hartz IV. An die Spitze der Bewegung hat sich die neue Arbeitsministerin Ursula von der Leyen gestellt. Hartz IV, sagt sie, müsse gerechter werden. Das hören die Wähler gerne. Aber was die Bundesregierung bislang plant, läuft auf ein Herumdoktern an Symptomen hinaus.

Beratung, bitte nicht stören: Passend zum fünften Hartz-IV-Jahrestag mehren sich die Stimmen der Kritiker. (Foto: Foto: AFP)

Für viele Menschen ist Hartz IV eine Chiffre dafür, dass auch in Deutschland der Absturz in die Armut möglich ist. Trotzdem war es nicht falsch, Sozialhilfe und Arbeitslosengeld zusammenzulegen und zu versuchen, jeden schnell und notfalls mit Druck wieder an einen Arbeitsplatz zu bringen. Allerdings funktioniert das Prinzip "Fördern und fordern" nur zum Teil.

Sicher, es gibt Fortschritte: Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ging kräftig zurück. Die Zahl der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen sank, wenn auch dies zum Teil am Wirtschaftsaufschwung bis zum Ausbruch der Krise lag und nicht an den neuen Sozialgesetzen. Mehr Menschen melden ihre Ansprüche an den Staat an und verzichten nicht mehr wie früher aus Scham auf Sozialhilfe. Und die Bereitschaft, überhaupt eine Arbeit aufzunehmen, hat sich erhöht.

Diese Erfolge sind jedoch teuer erkauft. Das größte Problem ist der riesige Niedriglohn-Sektor, der sich in den vergangenen fünf Jahren entwickelt hat. Durch Hartz IV hat sich der Lohndruck vor allem auf gering Qualifizierte merklich erhöht. Fast jeder Zweite, der vorher von der Grundsicherung lebte und wieder einen Job ergattert hat, verdient weniger als 7,50 Euro brutto die Stunde. Immer mehr Menschen haben befristete Verträge ohne Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Die Zahl der Menschen mit einem sicheren Vollzeitarbeitsplatz nimmt stetig ab. Außerdem verbreitet sich der Missbrauch der Zeitarbeit. Betriebe dünnen ihre Stammbelegschaft aus und ersetzen sie durch billige Leiharbeitskräfte. Der Fall Schlecker ist dafür nur ein Beispiel.

Gleichzeitig hat Hartz IV die Spaltung auf dem Arbeitsmarkt vertieft. Wer nicht länger als ein Jahr ohne Job ist und Arbeitslosengeld I bezieht, wird besser betreut und hat deutlich mehr Chancen, zurück ins Berufsleben zu finden, als die Empfänger von Arbeitslosengeld II. Die Hartz-IV-Bezieher dagegen gehören zur unteren Klasse der Arbeitslosen - und häufig bleiben sie auch dort. Fast jeder zweite Haushalt, der Anfang Januar 2005 auf Grundsicherung angewiesen war, bekam drei Jahre später immer noch Hartz IV. Das zeigt, dass viel zu viele den Ausstieg aus der Hilfebedürftigkeit nicht schaffen. Dies gilt gerade für Alleinerziehende.

Vieles liegt also im Argen. Doch was die schwarz-gelbe Koalition bislang an Gegenrezepten präsentiert hat, wirkt wenig durchdacht. Das Schonvermögen für die private Altersvorsorge zu erhöhen, ist richtig, nutzt aber nur einer Minderheit von Arbeitslosen. Jobsuchenden zu ermöglichen, mehr Geld hinzuzuverdienen, wird darauf hinauslaufen, dass der Niedriglohn-Sektor weiter wächst. Es wird dann noch mehr Unternehmen geben, die ihren Mitarbeitern wenig zahlen, weil die ja der Staat zusätzlich alimentiert. Das ist staatlich subventioniertes Lohndumping, das sich nur durch flächendeckende Mindestlöhne verhindern lässt. Aber die will in der Koalition keiner. Auch die Ankündigung der Arbeitsministerin, Alleinerziehenden besser zu helfen, steht auf dünnem Boden. Ob der Krippenausbau wie geplant klappt, ist fraglich, weil den Kommunen das Geld fehlt.

Hartz IV muss nicht weg. Es lohnt sich, das System weiterzuentwickeln. Die Vorschläge der Bundesregierung reichen dafür bei weitem nicht aus. Ein paar warme Worte für Arbeitslose vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und eine stetig lächelnde Ursula von der Leyen werden Hartz IV nicht gerechter und menschlicher machen.

© SZ vom 14.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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