Von der Leyen:"Die Arbeitswelt wird älter, weiblicher, bunter"

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Sozialministerin von der Leyen über die Zukunft der Arbeitswelt - und warum sie keine Angst vor einem Aufstand der Rentner hat.

T. Öchsner, S. Braun u. C. Hulverscheidt

Früher übernachtete sie manchmal im Familienministerium, jetzt hat sie ein Bett im Arbeitsministerium: Dort schläft Ursula von der Leyen, 51, wenn es zu spät ist, um noch nach Hause zu fahren. Der Süddeutschen Zeitung gab die CDU-Politikerin, die den zurückgetretenen Franz Josef Jung ersetzt, ihr erstes Interview als Ministerin für Arbeit und Soziales.

"Ich habe bei dem Telefonat mit der Kanzlerin gleich zugesagt": Ursula von der Leyen führt seit wenigen Tagen das Arbeits- und Sozialministerium. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Frau von der Leyen, wie lange war die Bedenkzeit, bis Sie Ihr neues Amt übernommen haben?

Von der Leyen: Wenige Minuten. Ich habe bei dem Telefonat mit der Kanzlerin gleich zugesagt.

SZ: Haben Sie keine Angst davor, zur Buhfrau der Rentner zu werden?

Von der Leyen: Wieso sollte ich?

SZ: Weil Sie zwanzig Millionen Ruheständlern in Deutschland erklären müssen, dass sie in den nächsten Jahren mit Nullrunden oder mageren Rentenerhöhungen zu rechnen haben.

Von der Leyen: Wenn die Zahlen im Frühjahr vorliegen, stehe ich dafür gerade. Aber jetzt werde ich nicht über die langfristige Entwicklung der Renten spekulieren. Das ist Kaffeesatzleserei.

SZ: Der Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung ist keine Kaffeesatzleserei.

Von der Leyen: Das stimmt, aber solange mir niemand sagen kann, wie sich im kommenden Jahrzehnt die Geburtenrate, die Löhne und die Wirtschaft entwickeln, kann ich auch keine detaillierten Aussagen treffen. Klar ist: Es gibt keine Kürzung.

SZ: Dann beschränken wir uns aufs nächste Jahr. Die Deutsche Rentenversicherung sagt: 2010 wird es wegen der negativen Entwicklung der Löhne eine Nullrunde geben. Stehen Sie dazu?

Von der Leyen: Wenn die Frühjahrszahlen das bestätigen, bin ich überzeugt, dass die überwiegende Zahl der Rentner das versteht. Die Rentnergeneration hat ein ganz waches Bewusstsein dafür, dass ihre Kinder und Enkelkinder über die Runden kommen müssen. Wir müssen einerseits die Beiträge für die Jungen in Grenzen halten, anderseits muss die Rente verlässlich bleiben. Das ist eine Frage der Generationengerechtigkeit.

SZ: Was machen Sie, wenn trotzdem nächstes Jahr Zehntausende Rentner vor dem Brandenburger Tor stehen und gegen eine Nullrunde protestieren?

Von der Leyen: Nullrunde heißt doch: Ihr könnt euch darauf verlassen, dass die Rente dank der Rentengarantie nicht sinkt - und das in einer Zeit, in der die Wirtschaftsleistung um etwa fünf Prozent zurückgegangen ist, in der viele Menschen mit einem sinkenden Einkommen kämpfen müssen und die Arbeitslosigkeit steigt. Ich halte diese Form der Balance für gerecht.

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Die Unterschiede sind gewaltig: In manchen Regionen Deutschlands ist jeder Fünfte auf Hartz IV angewiesen, anderswo ist es nur jeder Hundertste: das Ergebnis Bremer Arbeitsmarktforscher in Bildern.

SZ: Frühere Regierungen haben die Rentenreformen aufgeweicht, um es sich nicht mit den Ruheständlern zu verscherzen. Wollen Sie an der Rentenformel, die die jährliche Anpassung der Altersgelder bestimmt, wirklich nichts ändern?

Nullrunden für die Senioren - und die Ministerin hofft auf Verständnis: "Die Rentnergeneration hat ein ganz waches Bewusstsein dafür, dass ihre Kinder und Enkelkinder über die Runden kommen müssen", sagt Ursula von der Leyen. (Foto: Foto: dpa)

Von der Leyen: Ich sehe derzeit dafür keinen Grund. Die Rentenreformen sind gut und sinnvoll gewesen. Wir haben jetzt starke Leitplanken. Die sorgen dafür, dass das Rentenniveau eine bestimmte Grenze nicht unterschreitet und andererseits die Belastung für die Jüngeren nicht ausufert. Dass wir das geschafft haben, ist eine große Leistung, um die uns das Ausland beneidet.

SZ: Trotzdem droht immer mehr Menschen in Zukunft die Altersarmut, weil sie nicht genug verdienen, um ausreichend Beiträge zahlen zu können. Ist das nicht beschämend?

Von der Leyen: Altersarmut zu verhindern, wird für mich ein Arbeitsschwerpunkt sein. Die erste Frage muss doch sein: Wie können die Menschen ein Einkommen erzielen, das sie vor der Altersarmut bewahrt? Ich glaube, dass dies nicht nur von der Qualifikation abhängt. Das zeigt sich beispielhaft bei den Alleinerziehenden. Die Altersarmut von morgen trifft die Alleinerziehende von heute. Sie hat es besonders schwer, eine Stelle zu bekommen, weil sie häufig innerlich abgeschrieben wird, nur weil sie ein Kind hat. Kinder sind aber keine Krankheit, sie sind ein Glücksfall. Wir müssen deshalb die Kinderbetreuung so verbessern, dass Alleinerziehende, die nicht schlechter qualifiziert sind als andere Frauen, die Jobs machen können, die ihnen angeboten werden. Wir müssen neu darüber nachdenken, was brauchen Menschen, um arbeiten zu können und wie verändert sich Arbeit in der modernen Welt?

SZ: Was meinen Sie damit?

Von der Leyen: Unser Bild von Arbeit ist bisher gewesen: mittelalt, männlich, Industrie. Und genau diese Branche trifft die Wirtschaftskrise mit voller Wucht. Gleichzeitig gibt es ganz unabhängig von der Krise einen Strukturwandel: Arbeit wird in Zukunft älter, weiblicher, bunter, innovativer sein. Und es wird immer mehr Menschen geben, die mit Dienst am Menschen ihr Geld verdienen. Schon jetzt nehmen, auch in der Krise, die offenen Stellen im Gesundheitswesen, in der Pflegebranche, in der Erziehungs- und Bildungsbranche zu.

SZ: Gerade in diesen Wachstumsbranchen ist die Bezahlung eher schlecht. Brauchen wir deshalb mehr Mindestlöhne?

Von der Leyen: Ich habe mich in den letzten Tagen tief hineingefräst auch in die wissenschaftliche Literatur über das Thema. Mindestlöhne sind weder eine Katastrophe noch ein Allheilmittel. Sie sind ein Instrument. Das kann man schlecht einsetzen, dann sind die Lohnuntergrenzen zu hoch und zerstören Arbeitsplätze. Man kann es wirkungslos einsetzen, dann sind die Grenzen zu niedrig und kann es auch gleich lassen. Und man kann den richtigen Punkt finden. Die Gegner von Mindestlöhnen verweisen gerne auf Frankreich, wo sie die Jugendarbeitslosigkeit erhöht haben. Befürworter des Mindestlohns zitieren immer Großbritannien, wo er durch eine nichtstaatliche Kommission festgelegt wird.

SZ: Was lernen wir daraus?

Von der Leyen: Wir sollten nicht glauben, dass die Politik Löser aller Probleme ist. Deswegen gehen wir den dritten Weg. Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die die Mehrzahl der Beschäftigten in einer Branche repräsentieren, müssen sich auf eine Lohnuntergrenze einigen. Sie sind Experten in eigener Sache, kennen ihre Branche und können abschätzen, was gute Arbeit schafft. Wenn sie das nicht gemeinsam definieren, kann die Politik nicht den Ausputzer spielen.

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SZ: Was heißt das zum Beispiel bei der Abfallwirtschaft? Da haben sich die Tarifparteien längst geeinigt.

Von der Leyen: Ich werde mich für den Mindestlohn in der Abfallwirtschaft einsetzen. Die Branche schlägt einstimmig 8,02 Euro vor.

SZ: Sie werden bei der FDP und bei Wirtschaftsminister Rainer Brüderle auf harten Widerstand stoßen.

Von der Leyen: Wir haben im Koalitionsvertrag ein ganz klares Bekenntnis für die Tarifautonomie abgegeben. Deswegen haben wir dort auch gemeinsam erklärt, dass wir den von Arbeitgebern und Arbeitnehmern besetzten Tarifausschuss stärken wollen. Und der hat uns in der Abfallwirtschaft einstimmig zum Handeln aufgefordert. Wenn wir das ernst nehmen wollen, müssen wir jetzt die Konsequenzen daraus ziehen.

SZ: Und wie sieht es mit einem Mindestlohn bei der Pflege und den Leiharbeitern aus?

Von der Leyen: Da ist die Diskussion innerhalb der Branche am Anfang. Der Prozess liegt bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

SZ: Ihre größte Baustelle sind im Moment die Jobcenter in Kommunen und Arbeitsagenturen, die knapp sieben Millionen Hartz-IV-Empfänger gemeinsam betreuen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese "Mischbetreuung" für grundgesetzwidrig erklärt und bis Ende 2010 eine Lösung verlangt. Jetzt wollen Sie die Jobcenter wieder aufspalten, obwohl sich die Zusammenarbeit bewährt hat. Wie soll man das verstehen?

Von der Leyen: Es ist richtig, die ganzheitliche Betreuung hat sich bewährt: Wir haben seit der Reform im Jahr 2005 gelernt, die richtigen Fragen zu stellen: Wo ist dein Problem, dass du nicht arbeitest? Wir kümmern uns nicht nur um einen Job, sondern auch um Kinderbetreuung, Sucht- oder Schuldnerberatung. Immer mit dem Ziel, dass die Betroffenen unabhängig vom Staat ihre eigenen Einkommen verdienen können. Das ist Aufgabe von Kommune und Bundesagentur für Arbeit Hand in Hand. An diesem bewährten Prinzip will ich festhalten, auf freiwilliger Basis. Das Bundesverfassungsgericht verlangt klar getrennte Zuständigkeit, aber verbietet nicht freiwillige Kooperation.

SZ: Warum ändern Sie nicht die Verfassung, wie in der großen Koalition zunächst vorgesehen? Die Länder, die im Bundesrat zustimmen müssen, sind dafür und lehnen eine Aufspaltung der Jobcenter ab.

Von der Leyen: Weil das Zeitfenster dafür geschlossen ist. Ich bin seit zwölf Tagen im Amt und finde einen Streit darüber vor, der seit zwei Jahren ergebnislos tobt. Da können wir nicht ein weiteres Jahr mit einer Diskussion über eine Verfassungsänderung vergeuden, für die es keine Mehrheit gibt und die im Koalitionsvertrag ausgeschlossen wurde. Wir müssen heute verhindern, dass 2011 in den Jobcentern ein Chaos ausbricht. Deshalb will ich mit Kommunen und Ländern verschiedene Aspekte prüfen, sinnvolle Verbesserungsvorschläge annehmen und pragmatisch die beste Lösung für die Arbeitslosen vor Ort finden.

SZ: Sehnen Sie sich bei all dem Ärger mit der FDP nach ihrem alten Koalitionspartner, der SPD, zurück?

Von der Leyen: Keineswegs.

SZ: Im Moment hakt es in der Koalition an allen Ecken und Enden. Müsste sich die neue Arbeitsministerin nicht gegen den Steuerrabatt für Hotels einsetzen, den nicht zuletzt die FDP durchgeboxt hat? Die eine Milliarde, die das dem Finanzminister an Steuerausfällen beschert, hätten Sie gut für ein paar sinnvolle Projekte im Kampf gegen Arbeitslosigkeit oder Altersarmut brauchen können.

Von der Leyen: Machen Sie sich da mal keine Sorgen. Ich werde meinen Strauß mit dem Finanzminister an den richtigen Stellen ausfechten. Aber ich weiß auch, dass Herr Schäuble und ich in vielen Dingen ähnlich ticken.

© SZ vom 12./13.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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