Hartz IV:Umstritten wie am ersten Tag

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Seit fünf Jahren ist die Hartz-IV-Reform in Kraft - doch die Kritik bleibt. Union und SPD denken über Änderungen nach. Fragen und Antworten zu Stärken und Schwächen im Überblick.

Thomas Öchsner

Für viele Menschen ist es das Symbol für den Absturz in die Armut: Wer länger als ein Jahr arbeitslos und jünger als 50 ist, erhält sofort Hartz IV (Arbeitslosengeld II). Seit fünf Jahren ist die Reform der Grundsicherung in Kraft, aber umstritten ist sie noch genauso wie am ersten Tag. Immer wieder wird eine Reform der Reform gefordert - aber was hat Hartz IV überhaupt gebracht? Die wichtigsten Fragen und Antworten dokumentiert die Süddeutsche Zeitung:

Seit fünf Jahren ist Hartz IV schon Realität - doch die Kritik bleibt. (Foto: Foto: ddp)

Was waren die Ziele der Reform?

Es ging um drei Kernpunkte: Durch das Zusammenlegen von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wollte die damalige Bundesregierung eine "Betreuung aus einer Hand" schaffen und die Bürokratie verringern. Die neuen Jobcenter, in denen Kommunen und Arbeitsagenturen gemeinsam die Hartz-IV-Empfänger betreuen, sollten sich intensiver um die Betroffenen kümmern können und die Zahl der Langzeitarbeitslosen abbauen. Außerdem wollte die rot-grüne Koalition so die staatlichen Ausgaben für Hilfebedürftige senken.

Hartz-IV-Bezieher
:Wo die Armut wohnt

Die Unterschiede sind gewaltig: In manchen Regionen Deutschlands ist jeder Fünfte auf Hartz IV angewiesen, anderswo ist es nur jeder Hundertste: das Ergebnis Bremer Arbeitsmarktforscher in Bildern.

Wie hat sich seit 2005 die Zahl der Arbeitslosen entwickelt?

Es gibt immer weniger leicht vermittelbare Erwerbslose, die erst seit kurzem ohne Job sind. Die Zahl derjenigen, die die Agenturen für Arbeit allein betreuen, ist binnen fünf Jahren um mehr als 40 Prozent auf knapp 1,2 Millionen zurückgegangen. Das sind vor allem diejenigen, die Arbeitslosengeld I bekommen.

Dagegen ist die Zahl der Bezieher von Arbeitslosengeld II (Hartz IV) mit im Jahresdurchschnitt knapp fünf Millionen stabil geblieben. Hinzu kommen mehr als 1,8 Millionen Bezieher von Sozialgeld, die nicht erwerbsfähig sind. Das sind in erster Linie die Kinder von Hartz-IV-Empfängern. Diese Zahlen deuten eher darauf hin, dass sich die Spaltung auf dem Arbeitsmarkt vertieft hat. Wer nicht länger als ein Jahr arbeitslos ist und Arbeitslosengeld I bezieht, hat deutlich bessere Chancen, wieder ins Erwerbsleben zurückzufinden, als diejenigen, die in die Klasse der Hartz-IV-Empfänger abgerutscht sind.

Gibt es weniger Langzeitarbeitslose?

Die Zahl derjenigen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, ist seit 2005 um 41,3 Prozent auf etwa 933000 gesunken. Der Anteil der Reformen an diesem Erfolg lässt sich jedoch nicht konkret beziffern, weil der Abbau durch den Wirtschaftsaufschwung bis zum Ausbruch der Krise wesentlich begünstigt wurde.

Wer sind die Gewinner und Verlierer der Reform?

Zwei Drittel der früheren Empfänger von Arbeitslosenhilfe mussten nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) Verluste von durchschnittlich 240 Euro im Monat hinnehmen. Genutzt hat die Reform dagegen früheren Beziehern von Sozialhilfe. Sie bekommen etwa 100 Euro mehr Arbeitslosengeld II. Allerdings wurden die in der Sozialhilfe üblichen Zuschüsse für Anschaffungen zusammengestrichen. Die Hartz-IV-Behörden müssen aber helfen, etwa eine Erstausstattung für eine Wohnung zu finanzieren.

Wer hat noch profitiert?

Viele Menschen haben früher den Gang zum Sozialamt abgelehnt, um nicht als Empfänger von "Stütze" stigmatisiert zu werden. Nun nehmen mehr Arme ihre Ansprüche wahr. Das ist auch ein Grund für die gestiegenen Kosten im Hartz-IV-System von zuletzt etwa 45 Milliarden Euro im Jahr.

Ist die Bereitschaft gestiegen, überhaupt eine Arbeit aufzunehmen?

IAB-Direktor Joachim Möller sieht große Fortschritte: "Die Bewerber waren zu mehr Kompromissen hinsichtlich Lohn und Arbeitsbedingungen bereit".

Ist der Arbeitsanreiz ausreichend?

Kritiker sagen, von den 359 Euro Grundsicherung für einen Volljährigen im Monat plus erstatteter Miete lasse sich nicht leben. Andere halten den Abstand zwischen Hartz IV und dem Verdienst, gerade im Niedriglohnsektor, für zu gering. Dadurch lohne es sich für Arbeitslose nicht, einen regulären Job aufzunehmen. Dies gelte erst recht, wenn sie sich durch Schwarzarbeit oder einen Minijob Geld dazuverdienen könnten.

Hat dies auch einen negativen Effekt?

"Vor allem auf Beschäftigte mit geringer Qualifikation hat sich durch Hartz IV der Lohndruck merklich erhöht", kritisiert Gustav Horn, Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Mit der Hartz-IV-Reform sind die unsicheren Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland besonders stark gewachsen: Immer mehr Arbeitnehmer sind Niedriglöhner, oft mit befristeten Verträgen, ohne Kündigungsschutz und Tarifvertrag.

Wo sind Korrekturen besonders nötig?

Bei den Leistungsbeziehern mit besonderen Problemen, die Forscher als "arbeitsmarktfern" bezeichnen, scheint das Prinzip "Fordern und Fördern" nur unzureichend zu funktionieren. Deren Probleme hängen auch mit ihren Lebensumständen zusammen. "Häufig geht es um fehlende Kinderbetreuung oder Entmutigung und fehlende Tagesstrukturen nach jahrelanger Arbeitslosigkeit. Hinzu kommen Schulden- und Suchtprobleme", schreiben die IAB-Forscher Ulrich Walwei und Susanne Koch. Hier wirke die Betreuung nur, "wenn sie auf die Einzelperson zugeschnitten ist". Doch dies gelinge "noch nicht oft genug". Besonders schwer fällt es älteren Arbeitslosen, Jugendlichen unter 25 Jahren und alleinerziehende Mütter, aus dem System herauszukommen. 41,6 Prozent der Alleinerziehenden waren 2008 auf die Grundsicherung angewiesen.

© SZ vom 09./10.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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