Heiligabend, 17 Uhr. Überall in Deutschland kehren Menschen aus den Gottesdiensten heim. Christbaumbeleuchtungen werden angeknipst, Geschenke ausgepackt. Das Fest des Friedens strebt seinem Höhepunkt entgegen. Nur in den Netzwarten der Republik herrscht Hektik. Geht den Deutschen im Zeichen der Energiewende der Strom aus? Eben nicht. Es gibt zu viel Strom.
Wie groß das Problem an den Weihnachtsfeiertagen gewesen ist, wird erst jetzt deutlich. Zwischen 8000 und 9000 Megawatt zu viel Energie war allein am Heiligen Abend im deutschen Stromnetz - bei einem Verbrauch von etwas mehr als 45.000 Megawatt. Strom, den zu dieser Zeit keiner brauchte.
"Im Moment sieht es so aus, dass es falsch eingeschätzter Energiebedarf war", heißt es bei Tennet, einem der vier großen Stromnetzbetreiber. Diese Schätzung ist Sache der "Bilanzkreisverantwortlichen". Sie müssen für eine bestimmte Region sicherstellen, dass Nachfrage und Angebot halbwegs im Einklang stehen. Dahinter stehen Händler und Netzbetreiber: Jeweils am Vortag geben sie Prognosen über den Bedarf ab, nach denen sich dann die Kraftwerke richten. An Weihnachten lagen sie gründlich schief.
Stromexport zu Spottpreisen
Stundenlang musste die Republik massiv Strom ins Ausland exportieren, zu Spottpreisen. An Heiligabend gingen so in der Spitze 4000 Megawatt in Nachbarländer, die Leistung fünf großer Kraftwerke. Der Rest musste im Inland geregelt werden: Kraftwerke wurden gedrosselt, Pumpspeicher gefüllt. "Gegen 21 Uhr hat sich die Lage entspannt", heißt es bei Tennet. Zu keiner Zeit habe ernste Blackout-Gefahr bestanden. Gleichwohl sei die Frequenz im Netz - normalerweise konstant um die 50 Hertz - durch die Überkapazität europaweit gestiegen. Steigt sie stark, gefährdet das die Stabilität des ganzen Stromnetzes.
Erinnerungen werden wach an den vorigen Februar. Seinerzeit hatte ein eklatanter Mangel an Strom die Preise in die Höhe schießen lassen, offenbar ebenfalls aufgrund falscher Erwartungen der Bilanzkreisverantwortlichen. Unverhofft fehlten 6000 Megawatt Stromleistung, und das an einem kalten Wintertag. Absicht konnte die Bundesnetzagentur nach eingehender Prüfung nicht feststellen. Eine "Vielzahl verschiedener Phänomene" habe eine Rolle gespielt. Darunter die Witterung.
Deutsche Kunden zahlen teuren Ökostrom
So auch diesmal: An warmen Tagen wie denen Ende Dezember wird weniger verbraucht; dafür aber blies ordentlicher Wind. "Das hätte jeder im Wetterbericht vom Vorabend sehen können", sagt Rainer Baake vom Berliner Thinktank Agora Energiewende. Statt aber Braunkohle- und Atomkraftwerke zu drosseln, sei ihre Leistung am ersten Feiertag sogar gesteigert worden. Dies habe die Lage verschärft.
Für den Stromkunden sind solche Tage nicht billig. Ein Drittel des Stroms kam etwa am frühen Morgen des ersten Feiertages aus Windenergie. Dieser Strom wird in Deutschland meist zu festen Sätzen vergütet, und zwar aus der Differenz zwischen dem Börsenstrompreis und der garantierten Vergütung. An normalen Tagen sind das um die 30 Euro je Megawattstunde.
Nicht so an diesen Weihnachtsfeiertagen. Ist nämlich Strom im Überfluss vorhanden, sinkt der Preis dafür ins Minus - am Morgen des ersten Feiertags auf mehr als 200 Euro. Mit anderen Worten: Wer immer die Elektrizität abnimmt, bekommt dafür noch Geld obendrauf. Die Agora-Leute haben nachgerechnet, was das für die Berechnung der Windvergütung bedeutet. Sie kommen auf 28 Millionen Euro Mehrkosten allein für den ersten Feiertag, zu zahlen durch Stromkunden über die Ökostrom-Umlage. Alles nur wegen einer Fehlprognose.