Nachhaltige Geldanlage:Fonds mit ESG-Label machen die Welt nicht gerechter

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Ein RWE-Kraftwerk in Nordrhein-Westfalen: Den CO₂-Fußabdruck von Firmen kann man messen, ein hoher Kohlendioxid-Ausstoß ist grundsätzlich schlecht. (Foto: Hans Blossey/imago images)

Grüne Anlagen sind auch im neuen Jahr das Megathema der Finanzindustrie. Dabei ist vieles davon vor allem eins: eine dreiste Lüge.

Kommentar von Jan Diesteldorf

Es sieht ganz so aus, als habe der Finanzsektor seine soziale Verantwortung neu entdeckt. Banken wollen Verbündete sein im Kampf gegen den Klimawandel, Fondsgesellschaften den grünen Umbau der Wirtschaft beschleunigen. Die Antwort der Finanzindustrie im Umgang mit den ökologischen und sozialen Herausforderungen dieses Jahrhunderts lautet "ESG": Environment, Social, Governance - Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung. Das Akronym steht für neuartige, nicht direkt finanzielle Kriterien, nach denen börsennotierte Firmen heute beurteilt werden. Nicht mehr nur Gewinn, Verlust und Wachstum sollen zählen, sondern auch, ob Unternehmen umwelt- und klimafreundlich wirtschaften oder auf die Belange von Arbeiterinnen und Arbeitern in ihrer Wertschöpfungskette achten. Vieles davon beeinflusst auch Finanzkennzahlen.

Ratingagenturen berechnen solche Größen in Punktesystemen und machen sie verwertbar; Fondsgesellschaften verkaufen auf dieser Grundlage zunehmend grüne Produkte. An den Finanzplätzen der Welt sind auf einmal scheinbar Wohltäter am Werk, vor allem im Bereich der Vermögensverwaltung. Nachhaltiges Investieren ist das, was Berater "Megathema" nennen. Zur Wahrheit gehört aber auch: ESG ist zu einem guten Teil eine Mega-Marketinglüge, mit der die Finanzindustrie ihr zu Recht ramponiertes Image schönt.

Denn es sind trotz aller Bemühungen von Gremien in der EU (wo die Debatte um die sogenannte Taxonomie dies plakativ zeigt), den USA und auf internationaler Ebene keine verbindlichen, allgemeingültigen Definitionen für ESG-Kriterien in Sicht. Das liegt auch in der Natur der Sache: Den CO₂-Fußabdruck von Firmen kann man messen, ein hoher Kohlendioxid-Ausstoß ist grundsätzlich schlecht. Und er bedeutet ein materielles Risiko: Emissionsintensive Unternehmen bekommen wirtschaftliche Probleme, wenn Klimagase immer teurer werden.

Soziale Kriterien sind in international integrierten Lieferketten deutlich schwieriger zu bewerten; die Regeln guter Unternehmensführung sind abseits von Straf- und Wettbewerbsrecht nur in Kodizes festgelegt und je nach Weltregion sehr unterschiedlich. Die finanziellen Auswirkungen solcher Größen sind nicht eindeutig. Und sind Atomkraftwerke nun umweltfreundlich, weil emissionsarm - oder wegen der unkalkulierbaren Risiken gerade nicht? Die Mitgliedstaaten der EU beweisen gerade, wie lange man über solche Dinge streiten kann.

Will man derlei nun in Zahlen fassen, gehen dem notwendigerweise Werturteile voraus. Dabei scheitert in freien Gesellschaften schon der Versuch einer allgemein gültigen Definition von einem "Gemeinwohl". Wie soll man da mit ESG-Kriterien abbilden, welchen Beitrag ein Konzern zum allgemeinen Wohl leistet?

Ein vermeintliches Biosiegel

Darauf gibt es keine gute Antwort, und deshalb sind die ESG-Ratings von heute auch denkbar schwach. Eine wilde Mischung gut messbarer Daten und wertebasierter Kriterien aus drei unterschiedlichen Themenfeldern zu aggregieren, kann keine verlässlichen Zahlen liefern. Je nach Anbieter sind die Bewertungen entsprechend widersprüchlich. Trotzdem hat es die Fondsindustrie geschafft, dass ihre Kunden ESG-Labels wie Biosiegel wahrnehmen.

Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Das Kerngeschäft von Geldverwaltern wird sich durch den ESG-Trend dennoch nicht ändern: Sie schützen und mehren das Vermögen ihrer Anleger. Die Welt zu verbessern, wäre ein ganz anderer Arbeitsauftrag und steht potenziell im Widerspruch zu einem Geschäftsmodell, das auf Gewinn und Wachstum ausgerichtet ist. Je nach Untersuchung verbessert es die langfristige Wertentwicklung, wenn Fondsmanager auf ESG-Kriterien achten, oder es schmälert sie. Im besten Fall heißt es: Ein Mehr an Nachhaltigkeit bedeute keinen Verzicht auf Rendite.

Typischerweise sind in nachhaltigen Fonds die Aktien bestimmter Unternehmen - etwa von Waffenherstellern, Tabak- oder Ölkonzernen - ausgeschlossen. Auch da herrscht Willkür, man muss schon intensiv Prospekte wälzen, um die Systematik einzelner Fonds zu verstehen. Bestimmte Aktien nicht zu kaufen, ändert außerdem nichts, denn sie gehören dann nur anderen. Erst wenn sich die Mehrheit der Aktionäre auf allgemein verbindliche Kriterien einigte, brächte das den gewünschten Effekt: Unternehmen über eine schlechte Aktienkursentwicklung zu zwingen, ihr Geschäftsgebaren zu ändern. Das ist schon sehr über Bande gespielt.

Private Anleger kaufen sich mit ESG-Fonds immerhin das beruhigende Gefühl, nicht am Geschäftserfolg von Unternehmen zu verdienen, die sie ablehnen. Zum Umweltschutz und zu einer gerechteren Welt leisten mit ESG-Label versehene Fonds keinen direkten Beitrag. Es ist klüger, bei Finanzprodukten weiterhin nur auf Kosten und Qualität zu achten. Ein Engagement für Mensch und Natur passt besser in andere Lebensbereiche, und zielgerichtete Spenden haben einen weitaus größeren Effekt als hohe Gebühren für ein überschätztes ESG-Siegel.

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