Sexualisierte Gewalt bei Google:Millionen für die Täter

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Andy Rubin hat Android erfunden. Google hat ihm 90 Millionen Dollar zugesagt, nachdem es schwere Vorwürfe gegen ihn gab. (Foto: AP)
  • Google hat 13 leitende Angestellte und 35 weitere Mitarbeiter wegen sexueller Übergriffe ohne Abfindung gefeuert. Der Google-Chef macht das öffentlich, um sich zu verteidigen.
  • Zuvor wurde bekannt: Einer der wichtigsten Google-Entwickler hat 90 Millionen Dollar als Abfindung bekommen, nachdem er eine Mitarbeiterin zum Sex gezwungen haben soll.

Von Malte Conradi, San Francisco

Man kann es so sehen, dass diese Zahl hartes Durchgreifen gegen Fehlverhalten beweist. Man kann sie aber auch als Eingeständnis eines durch und durch vergifteten Arbeitsklimas begreifen: 48 Mitarbeiter hat Google nach eigenen Angaben in den vergangenen zwei Jahren wegen sexueller Übergriffe gefeuert, 13 davon waren führende Manager. Google-Chef Sundar Pichai nennt diese Zahlen in einer E-Mail an seine Mitarbeiter. Er will damit vor allem Schaden abwenden und beweisen, dass Google sich geändert hat und sexuelle Belästigung nicht toleriert. Keiner der gekündigten Mitarbeiter habe eine Abfindung erhalten, darauf weist Pichai hin.

Nur wenige Stunden vor dem Versand der E-Mail hatte ein Bericht der New York Times bei Google für Aufregung gesorgt: In einer groß angelegten Recherche weist die Zeitung nach, dass Google jahrelang und anscheinend systematisch führende Mitarbeiter gedeckt hat, die sich sexueller Übergriffe schuldig gemacht hatten. Dem Bericht zufolge entließ der Konzern die Mitarbeiter zwar, federte ihren Fall aber mit auch für Google-Verhältnisse großzügigen Abfindungen ab. In einigen Fällen soll der Konzern von den Opfern Stillschweigen verlangt haben.

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Der prominenteste Fall in dem Bericht ist der von Andy Rubin, ehrfürchtig genannt der "Vater von Android". Rubin hatte einst das Android-Betriebssystem für Handys entwickelt. Google kaufte Android im Jahr 2005 für 50 Millionen Dollar, Rubin wechselte ebenfalls zu Google. Unter seiner Führung wurde Android führend, etwa 85 Prozent aller Smartphones nutzen heute dieses Betriebssystem. Diese Verbreitung ermöglichte es Google, seine Produkte wie die Internetsuche oder das Navigationssystem Maps auch mobil milliardenfach an den Nutzer zu bringen. Als Rubin Google 2014 verließ, wurde ihm die Ehre zuteil, vom Chef und Mitgründer persönlich verabschiedet zu werden: "Ich wünsche Andy nur das Beste für alles, was für ihn als Nächstes kommt", sagte Larry Page damals.

Was er nicht sagte: Page persönlich hatte entschieden, dass Rubin gehen müsse. Eine Mitarbeiterin warf ihm vor, sie in einem Hotelzimmer zum Sex gezwungen zu haben. Das Unternehmen hatte offenbar gute Gründe, diesem Vorwurf starken Glauben zu schenken. Rubin weist alle Anschuldigungen von sich. Googles Verträge hätten es erlaubt, Rubin ohne nennenswerte Abfindung zu feuern. Stattdessen aber sagte man ihm eine Abfindung in Höhe von 90 Millionen Dollar zu, zahlbar im Lauf von vier Jahren. Im kommenden Monat ist die letzte Rate fällig. Weitere Millionen steckte Google später in Rubins neu gegründetes Unternehmen.

Dass Google-Chef Pichai überhaupt auf den Bericht reagiert, zeigt, wie nervös Google ist. In der Vergangenheit ließ Google, wie auch andere Unternehmen aus dem Silicon Valley, auch falsche Behauptungen oft unkommentiert, nur um mit der Richtigstellung nicht zu viel zu verraten. Das glaubt Google sich nun nicht mehr leisten zu können. Seit etwa zwei Jahren steht der Konzern wie das gesamte Valley in der Kritik, von weißen Männern beherrscht zu sein. Google selbst gab erst kürzlich bekannt, dass 75 Prozent seiner Führungskräfte männlich seien. Diese Monokultur, so Kritiker, bestimme die Stimmung im Unternehmen genauso wie Entscheidungen für oder gegen bestimmte Produkte.

"Talente sind einfach zu wertvoll im Silicon Valley"

"Google glaubte, es sich nicht leisten zu können, die Männer zu feuern, gegen die es Vorwürfe gab", sagt eine Personalerin aus dem Silicon Valley, die mit vielen Tech-Unternehmen zusammenarbeitet und aus Furcht vor Nachteilen für ihr Geschäft ihren Namen nicht nennen will. "Als man sie doch entlassen musste, weil die Vorwürfe zu stark wurden, wollte man im Guten auseinander gehen. Talente sind einfach zu wertvoll im Silicon Valley."

Das könnte sich nun ändern. Schwerer als die Gefahr, ein Talent zu verlieren, wiegt heute die Gefahr, als Unternehmen mit einer vergifteten Kultur zu gelten - also als eine Firma, die sexuell übergriffige Mitarbeiter mit Stillschweigen und viel Geld belohnt.

© SZ vom 26.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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