Kurz nach zehn Uhr wird es in der Siempelkamp-Gießerei spannend. Die Chefs führen, mit Schutzweste und Helm, zu einem riesigen Ofen. Seit knapp zwei Stunden brodelt dort eine Melange aus Eisen, Schrott und einigen Zugaben. Gut 1300 Grad ist sie heiß. Nun ist es Zeit für den Abstich. Schiere 37 Tonnen Flüssigkeit landen zunächst in der sogenannten Pfanne, einem hohen Gefäß aus Blech und Steinen. Dampf steigt auf, die Halle schimmert leicht rot.
"Was wir hier gerade gießen, wird ein massives Teil einer Fliesenpresse", ruft Geschäftsführer Georg Geier gegen die Geräuschkulisse an. Allzu oft kann er den Prozess nicht vorführen: An einem gewöhnlichen Tag gießt die Firma nur acht bis zehn Teile. "Wir sind alles andere als eine typische Gießerei", sagt Geier, man arbeite eher wie eine Manufaktur. Deshalb hält sich Siempelkamp, so sehen das die Krefelder, noch gut in einer Branche, die um ihre Zukunft ringt.
Etwa 70 000 Menschen in Deutschland arbeiten in einer Gießerei, berichtet der Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie (BDG) in Düsseldorf, die Zahl ging 2020 zurück. Sie liefern Motorteile, Gehäuse für Windräder oder auch riesige Mahlschüsseln, etwa an Zementhersteller. Gießen gilt als der schnellste Weg, aus Schrotten und Metallen wieder ein festes Teil zu formen. Doch die Branche steht unter Druck: Das maschinelle Gießen kleiner Teile verlagert sich mehr und mehr nach Asien oder ins europäische Ausland. Wer hierzulande gießt, braucht viel Energie, die in Zukunft "grün" werden muss. Und dann hat die Industrie im Corona-Krisenjahr 2020 noch deutlich weniger Aufträge erhalten.
"Aktuell aber kommen neue, bedrohliche Herausforderungen auf uns zu", sagt BDG-Präsident Clemens Küpper. Deutschland will ja nicht erst 2050, sondern neuerdings schon bis 2045 klimaneutral werden. Seine Branche trage das mit, sagt Küpper. Aber es sei "eine Mammutaufgabe", den hohen Energiebedarf künftig allein mit Ökostrom oder Wasserstoff, Biokoks oder Biogas zu decken. Der BDG hat Politikerinnen, Wissenschaftler und Umweltgruppen am Dienstag zu einem virtuellen "Zukunftstag" eingeladen. Küpper nutzt die Bühne für einen Hilferuf: "Der Mittelstand braucht hier, so wie auch die Großindustrie, Unterstützung", sagt der Ingenieur, der selbst eine Gießerei in Bielefeld leitet.
Der Bau von Windrädern bescherte den Gießereien einen Boom
Bei Siempelkamp in Krefeld hebt ein Kran die Pfanne zur nächsten Station und neigt sie nach vorn. Männer in Schutzanzügen scheffeln Schlacke ab, jenen nicht-metallischen Rest, der sich oben absetzt. Funken sprühen auf den Boden. Die Schlacke kommt später im Straßenbau zum Einsatz - selbst der Abfall erfüllt hier noch seinen Zweck.
Früher, sagt Dirk Howe, hatten viele Maschinenbauer eine eigene Gießerei. Der 51-Jährige ist Chef der Siempelkamp-Gießerei. Auch sie entstand 1902 als Tochter der Pressenbaufirma Siempelkamp, bis heute familiengeführt. Doch das Geschäft der Gießerei hat sich geändert, sagt Howe. "Wir erwirtschaften heute 95 Prozent unserer Umsätze mit externen Kunden."
Anfang des Jahrtausends waren in Deutschland noch zusätzliche Gießereien entstanden. Vor allem der Bau von Windrädern brauchte gusseiserne Teile. Doch dann brach nicht nur die Finanzkrise aus, auch Windanlagenbauer bekamen internationale Konkurrenz zu spüren. Maschinenbaufirmen zahlen ebenfalls nicht mehr jeden Preis für heimischen Guss. Auch Siempelkamp hat 2016 ein Drittel der Stellen in der Gießerei abgebaut. Dennoch erwirtschafte man heute in etwa denselben Umsatz wie damals, sagt Howe, ungefähr 90 Millionen Euro pro Jahr. So sei man profitabel und könne Arbeitsplätze erhalten. "In den vergangenen Monaten haben wir sogar 40 Mitarbeiter zusätzlich eingestellt."
Howes Rezept: der Fokus auf tonnenschwere Gussprodukte mit dicken Wänden, die tagelang abkühlen und aushärten. Dafür brauche man "gut gehütetes Fachwissen", sagt der Maschinenbauer, wenn es etwa um die richtige Mischung der Materialien geht. Siempelkamp hat beispielsweise schon Behälter für atomare Abfälle gegossen. Und die Beschäftigten formen von Hand. Sie bauen zunächst Holzmodelle, die wie das gewünschte Teil aussehen. Dann buddeln sie drum herum eine Form aus dunklem Sand, der mit Harzen versetzt ist. Über Keramikrohre fließt das Metall aus der Pfanne schließlich in die hohle Form hinein. Durch die Hitze des Gusseisens zerfällt das Gemisch aus Sand und Harz.
Gießereien beklagen, dass sie höhere Kosten für "grüne" Energie bislang nicht weitergeben könnten
Doch Howes Gießerei ist - ganz ähnlich wie der Betrieb von Verbandspräsident Küpper - einer der größten Stromverbraucher der Region. Bislang kauft sie konventionellen Strom ein. Doch das muss sich in einer klimaneutralen Zukunft ändern. Immerhin: Howes Schmelzprozess basiert schon mal auf Strom. "Wenn die Energiewirtschaft uns sicher und zu wettbewerbsfähigen Preisen mit erneuerbarem Strom versorgt, dann werden wir ihn einsetzen", verspricht der Gießerei-Chef.
Allerdings werden viele Wirtschaftszweige in Zukunft mehr Strom benötigen, man denke etwa auch an Elektroautos oder Wärmepumpen. "Das wird eine große Herausforderung, diesen Bedarf mit grünem Strom zu decken", glaubt Howe. Industriekonzerne wie BASF sichern sich schon Strom aus eigens entwickelten Windparks. Auch so manche Gießerei setzt auf Solarzellen auf dem Fabrikdach.
Doch für Siempelkamp ist das noch nicht konkurrenzfähig. "Der weltweite Wettbewerb ist so intensiv, dass wir höhere Kosten für grünen Strom bislang nicht an unsere Kunden weitergeben könnten", konstatiert Geschäftsführer Geier. Diese Nachfrage könnte sich freilich noch ändern. Auch der Staat plant sogenannte Differenz-Verträge, mit denen er höhere Kosten für klimaschonende Technologien wenigstens anfänglich ausgleichen könnte.
Die Gießerei-Chefs trommeln jedenfalls für die Zukunft ihrer Branche. Beispielsweise setze man im Schnitt nur zu etwa 20 Prozent Roheisen in den Öfen ein. Für den Rest verwende man Schrott und Koppelprodukte wie etwa Graphitreste, die ohnehin in Chemiefabriken anfallen, wirbt Geier. Gießereien seien "Pioniere des Recyclings", sagt auch BDG-Präsident Küpper. Und wenn Gießereien die vielen Maschinenbau-Unternehmen in Deutschland nicht mehr beliefern würden, dann müssten diese alle Gussteile importieren. "Das wäre keine nachhaltigere Alternative", mahnt Siempelkamp-Chef Howe.
Zum Standort Krefeld bekennt er sich ausdrücklich: Die Gießerei ist nur sechs Kilometer vom Rheinhafen entfernt, von dort können die massiven Teile über Rotterdam in die ganze Welt verschifft werden. Eisen und Schrott kann Siempelkamp indes vom nahen Duisburger Hafen beziehen. Und gut ausgebildete Fachkräfte gibt es auch, sagt Howe. "Wir wollen hier überhaupt nicht weg." Im Gegenteil: "Wir denken auch darüber nach, unsere Kapazitäten zu erweitern", sagt Howe, "damit wir in Zukunft mehr Formfläche haben." Damit geht es Siempelkamp wie vielen energieintensiven Betrieben: Was ihnen für den Wandel jetzt noch fehlt, ist ganz viel "grüne" Energie.