Nahaufnahme:Der Nimmermüde

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Ulrich Dietz: "Wir neigen in Deutschland zu einer Dauerdepression, zum Problemsehen." (Foto: Michael Dannenmann)

Ulrich Dietz ist einer der größten Treiber der Digitalindustrie in Deutschland - und hat inzwischen auch die "Innovationsmaschinerie" von Daimler übernommen.

Von Max Hägler

Dieser Mensch hat Daimler die Zukunft abgekauft. Hat einen IT-Laden mit mehr als 5000 Mitarbeitern aufgebaut. Ist Selfmade-Millionär. Sitzt im Präsidium des mächtigen Lobbyverbandes Bitkom. Berät Winfried Kretschmann. Und zählt im Übrigen 63 Jahre. Man könnte Verständnis haben, wenn Ulrich Dietz ein bisschen langsam tut. Doch nichts da.

Elf Minuten braucht Dietz, um eine seitenfüllende Mail, die man ihm zu seinem neuen Vorhaben geschickt hat, durchzuarbeiten, mit präzisen Anmerkungen zu versehen und zurückzusenden. Nur an einem Punkt hat er notiert: "Ich muss jetzt unbedingt weg. Ich schreibe es Ihnen später noch." Am selben Abend um halb neun, die meisten in Deutschland haben es sich da schon vor dem Fernseher bequem gemacht, kommt seine nächste Mail.

Der Mann hat sich kaum verändert im Vergleich zum letzten ausführlichen Aufeinandertreffen, damals auf seinem eigenen großen Start-up-Festival namens Code_n: stets freundlich, aber kritisch, immer am Tun, niemals herumlabernd. Eigenschaften, die sein eigenes Start-up, den in Stuttgart ansässigen IT-Dienstleister GFT, zu einem stabilen Mittelstandsunternehmen gedeihen ließen. Eigenschaften, die Daimler überzeugten, ihm die Zukunft zu verkaufen. Zumindest einen Teil davon.

Der Autokonzern müht sich bekanntlich mit dem teuren Technologiewandel. Die Überlebensdevise lautet inzwischen: Nur noch auf das konzentrieren, was Räder hat, und das so schnell wie möglich entwickeln und zusammenschrauben. Deswegen spaltet sich Daimler in eine Autofirma und eine Lastwagenfirma. Deswegen lässt Daimler von allem ab, was ablenkt, auch wenn es spannend ist. So wie das Lab 1886. Gegründet Mitte der 2000er-Jahre, entwickelte diese "globale Innovationsmaschinerie", wie es Daimler selbst nannte, etwa das Carsharing oder Brennstoffzellenlösungen. Im neuen Daimler-Konzern ist dafür kein Platz mehr. Und so hat man das Lab 1886 größtenteils verkauft. An Dietz, dem Vernehmen nach für einen hohen zweistelligen Millionenbetrag.

Der Unternehmer bekam den Strategiewechsel bei Daimler früh mit, nicht zuletzt, weil Lab-Leute eingemietet waren in seinen eigenen Kreativräumen. Mittlerweile fügt sich alles. "Ich habe das mit Mann und Maus übernommen, das macht mir unheimlich viel Freude", sagt er, wobei er da auch die zu ihm gewechselte Lab-Chefin Susanne Hahn mitdenkt. Seit im Dezember die Übergabe wirksam wurde, hat das Team etliche Ideen weiterentwickelt, die im großen Konzern keinen passenden Unterboden fanden. Software für Auto-Abos etwa. Oder ein "Digital Detector", der mittels künstlicher Intelligenz bei der Rückgabe von Mietfahrzeugen anhand von Fotos Schäden erkennt und Reparaturkosten abschätzt. "Und die ganze weitere Kette wollen wir auch in den Blick nehmen in der Werkstatt und der Datenverwaltung", sagt Dietz. "Es ist wichtig, dass man das Ökosystem beherrscht."

Der gelernte Maschinenschlosser aus Pforzheim, der nach mäßiger Schulkarriere doch noch Maschinenbau studierte, ist groß geworden mit Software für die Finanzindustrie; seine Firma hat etwa das Onlinebanking der Postbank gebaut. Vor einigen Jahren hat er das Geschäft von GFT an eine Vorstandschefin übergeben. Und sucht nun nach Start-ups, aber nach den relevanten, wie er sagt. Nicht die Pizza-Versand-Plattformen.

Was ihn treibt? Neugier, ungeduldiges Unternehmertum und ein europäisches Denken. Es gebe auf dem Kontinent hervorragende Leute und etliche zukunftsgerichtete Geschäftsmodelle, sagt er, die er nicht "den Amerikanern und den Chinesen" überlassen wolle. Aber die Zeit drängt: "Wir neigen in Deutschland zu einer Dauerdepression, zum Problemsehen." Dietz ist ziemlich auf der anderen Seite der Skala.

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