Freie Wähler gegen Euro-Kurs:Allein gegen den Rettungsschirm

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Als einzige Partei stellen sie sich die Freien Wähler geschlossen gegen den Euro-Kurs Angela Merkels, um in den Bundestag zu kommen. Das trifft den Nerv vieler Bürger. Doch eine plausible Alternative zum Euro-Kurs kann die Partei nicht präsentieren.

Simone Boehringer

Sie wollen Bürgernähe demonstrieren und reisen zu einer Autobahnraststätte im fränkischen Geiselwind, an der A3 zwischen Erlangen und Würzburg. Dort, an einem beliebten Fernfahrertreff, soll am Samstag über die Zukunft der Freien Wähler entschieden werden. Einer Partei, die vor allem in Süden der Republik in der Kommunalpolitik stark vertreten ist, in Bayern als drittstärkste Fraktion im Landtag sitzt und nun Bundespolitik machen will.

Die Freien Wähler wenden sich als einzige Partei geschlossen gegen den Euro-Kurs der Kanzlerin. Kürzlich riefen sie in Bayern zum Protest auf, dem sich parteiübergreifend Gegner des europäischen Rettungsschirms anschlossen. (Foto: dpa)

Im wesentlichen ist es ein Thema, mit dem die Freien Wähler punkten wollen, wenn sie erstmals im September 2013 für den Bundestag kandidieren: "Wir sagen Ja zu einem demokratischen und weltoffenen Europa, aber Nein zu Rettungsschirmen wie dem ESM", sagt Parteichef Hubert Aiwanger neuerdings bei jeder nur denkbaren Gelegenheit. Etwa 400 Bundesdelegierte, die am Samstag in einer Veranstaltungshalle am Rasthof erwartet werden, geben Aiwanger wohl mehrheitlich das Plazet für diesen Kurs.

Geschlossen gegen Merkels Euro-Kurs - und damit alleine

Die Freien Wähler sind mit dieser Position derzeit die einzige parteipolitische Kraft, die in Berlin komplett gegen den Euro-Kurs der Bundesregierung antritt. Zwar gibt es auch in der CDU/CSU eine kritische Minderheit, die sich aber nicht durchsetzen kann. In der FDP scheiterte der Rettungsschirm-Kritiker Frank Schäffler mit einem Mitgliederentscheid. 44 Prozent der Freien Demokraten waren dafür gewesen, die Partei-Spitze zur Ablehnung des neuen dauerhaften Rettungsmechanismus (ESM) zu verpflichten, der künftig die Löcher stopfen soll, die überschuldete Staaten und unterkapitalisierte Banken hinterlassen. Das Ergebnis war zu schlecht für einen Kurswechsel der FDP, aber womöglich gut genug, um die Freien Wähler in die Bundespolitik zu hieven.

"Weder der Euro noch der ESM hätten eine Chance, wenn es eine Volksabstimmung dazu gäbe", ist sich der Bonner Politikwissenschaftler und Parteienforscher Gerd Langguth sicher. Das denkt auch Partei-Chef Aiwanger und spielt deshalb zusammen mit der Euro-Kritik das Thema Bürgerbeteiligung ganz oben auf der Wahlkampfagenda. Und sammelt damit Sympathien bei Bürgerbewegungen wie "Mehr Demokratie" oder "Zivile Koalition", und auch beim Bund der Steuerzahler, die alle ebenfalls ein Problem mit der laufenden Euro-Politik haben, und deshalb sogar mit Aiwanger zum ESM-Protest in München auftraten.

Selbstredend unterstützt werden die Freien Wähler auch in den Reihen der Verfassungskläger zum Rettungsschirm. "Die Freien Wähler sind in der Euro-Politik derzeit die einzige politische Opposition im Land" lobt etwa der Ökonom Wilhelm Hankel, einer der Euro-Kritiker der ersten Stunde, der am liebsten sofort die D-Mark wieder einführen möchte.

"Austritt Griechenlands ist kein Weltuntergang"

Soweit geht Aiwanger aber nicht, zumindest ist er klug genug, um es nicht so explizit auszusprechen. Stattdessen sagt er Dinge wie "ein Austritt Griechenlands ist kein Weltuntergang, sondern ein Zeichen der Flexibilität der Eurozone". Oder: "Die Eurozone ist nicht sakrosankt. Wir dürfen nicht Europa opfern wegen des Euro", wohlwissend, dass er damit wieder gegensätzlich argumentiert zu Angela Merkel. Von ihr stammt der Satz: "Scheitert der Euro, scheitert Europa."

Details der Anti-Merkel-Positionierung überlässt Aiwanger gerne seinen neuen Mitstreitern, dem ehemaligen Industrieverbandschef Hans-Olaf Henkel und dem Ökonomen und Finanzinvestor Stephan Werhahn, der nicht nur seinem Sachverstand bei den Freien Wählern einbringen will, sondern dabei auch noch für sich in Anspruch nimmt "das europapolitische Erbe" seines Großvaters Konrad Adenauer zu retten.

Als erster Kanzler der Bundesrepublik hatte dieser nach dem Krieg mit seinen Amtskollegen in Europa die Vision für die Integration der zuvor verfeindeten Länder entwickelt. Das Konzept beruhte auf einem dezentralen Europa, nachdem die gerade Deutschen mit einem Blockstaat im Dritten Reich so schlechte Erfahrungen gemacht hatten.

Die Menschen sind offen für die Thesen der Freien Wähler

Regionalität und Dezentralität sind auch wichtige Schlagworte in den "Leitlinien", für die Versammlung in Geiselwind. Parteienforscher Langguth, selbst CDU-Mitglied und ehemaliger Bundestagsabgeordneter, räumt den Freien Wählern in der Sache durchaus Chancen ein: "Es gibt ein Missbehagen über den Euro. Die Menschen sind deshalb offen für die Thesen der Freien Wähler, die diese Marktlücke nutzen." Er glaubt dennoch nicht, dass es bei der Bundestagswahl für fünf Prozent reicht.

Langguth sieht zwei Probleme: "Die Piraten, die viele Protestwähler" auf sich zögen. Und die Schwierigkeit, eine plausible Alternative zum jetzigen Euro-Kurs zu finden: "Bislang hat niemand überzeugend dargelegt, wie die Krise besser zu bewältigen wäre."

Die Freien Wähler wollen sich davon nicht entmutigen lassen, im Gegenteil: "Gerade dieses Gerede um die Alternativlosigkeit" sei es, die sie mit antreibt, erklärt der europapolitische Sprecher der Freien Wähler im bayerischen Landtag, Michael Piazolo. Und Adenauer-Enkel Werhahn formuliert: "Erst müssen wir bei den Rettungsschirmen die Notbremse ziehen, dann wieder die Europäischen Verträge einhalten, die eine Haftung für Schulden anderer nicht vorsehen, und dann Banken und Staaten helfen." Wie das alles en Detail gehen könnte, will die Partei in Geiselwind diskutieren. Einige Landesvereinigungen wollen "eine Neuordnung der Euro-Zone in Währungsgebiete" zur Abstimmung stellen.

© SZ vom 14.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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