Lockdownbedrohte Jobs in der Gastronomie, Schufterei in systemrelevanten, aber virusgefährlichen Jobs, Homeschooling und Home-Office, häusliche Gewalt - es gibt viele Faktoren, die die Corona-Pandemie zu einer Krise der Frauen machen. Im November 2020 gaben in einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung zwei Drittel der befragten erwerbstätigen Frauen mit Kind, die in einer Partnerschaft lebten, an, den größeren Teil der Kinderbetreuung zu übernehmen. Die Folge: Ihre Arbeitszeit sank, damit auch ihre Löhne.
Nun ist es aber nicht so, dass die Frauen der Welt das wehr- und tatenlos hinnehmen. Denn sie bilden sich weiter - und zwar vor allem in Fächern, die sie aus den "typischen Frauenjobs" herausholen und bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen versprechen. Coursera, eine der größten Online-Lernplattformen der Welt, hat eine Studie angefertigt, die die Auswirkungen der Pandemie auf die Lerntrends von Frauen untersucht. Die Ergebnisse lagen der SZ vorab vor. Sie zeigen, dass Frauen heute eher online lernen als vor der Pandemie, auch in Deutschland. Der Anteil der neu registrierten weiblichen Lernenden hierzulande ist von 37 Prozent im Jahr 2019 auf 48 Prozent im Jahr 2020 gestiegen und lag auch 2021 mit 43 Prozent deutlich über den Werten der Prä-Pandemie-Zeit. In Entwicklungsländern wie den Philippinen oder Libanon ist der Zuwachs an Frauen bei Coursera noch rasanter.
Das Gender-Pay-Gap, also der Unterschied zwischen Einkommen der Männer und der Frauen, ist zwar gewachsen, das Gender-Learning-Gap schrumpft allerdings. "Vor der Pandemie verbesserten sich die Dinge für Frauen stets nur in winzigen Schritten", sagt Betty Vandenbosch, die bei der US-Firma Coursera für die Inhalte verantwortlich ist. "Fortschritte in dem Tempo wie in den vergangenen 1,5 Jahren gibt es nur sehr selten." Mit mehr als 87 Millionen Lernenden weltweit verfügt Coursera über einen der größten Datensätze über Trends zur Weiterbildung.
Besonders stark gestiegen ist die Zahl der Frauen, die Kurse in den sogenannten MINT-Fächern belegen, also in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. 230 000 Frauen in Deutschland lernten zum Beispiel über Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik. Vor allem das Zukunftsfeld künstliche Intelligenz interessiert sie. Am zweithäufigsten schrieben sie sich für einen Kurs zum Maschinenlernen der US-Universität Stanford ein, auch ein Anfängerkurs der University of Michigan zum Programmieren zählt zu den fünf Bestsellern bei Coursera. Am beliebtesten ist allerdings ein Kurs der Universität Yale, in dem es im weitesten Sinne um die Suche nach dem Glück geht.
Auch die Zahl der Frauen, die sich für Einstiegszertifikate anmelden, ist gestiegen, von 23 Prozent im Jahr 2019 auf 33 Prozent im Jahr 2021. Diese Zertifikate, die von großen Unternehmen wie Salesforce, Google, IBM und Facebook angeboten werden, sollen Menschen ohne Hochschulabschluss auf digitale Jobs vorbereiten.
Die neuen Zahlen von Coursera sind ein Hoffnungszeichen. Schließlich werfen manche Männer den Frauen vor, sie seien selbst schuld daran, dass sie weniger verdienen als sie - weil sie sich freiwillig für Jobs in schlechter bezahlten Branchen entscheiden. Nicht nur die Frauen selbst, auch die Gesellschaft müsse sich noch weiter öffnen für Frauen in MINT-Berufen, findet Vandenbosch, die ihr Informatikstudium ohne Professorinnen und ihren Berufseinstieg mit nur einer einzigen Kollegin an ihrer Seite gemacht hat. "Inzwischen ist der Bedarf nach Profis mit digitalen Fähigkeiten geradezu verzweifelt, digitale Bildung bedeutet für Frauen deshalb eine große Chance."
Für Universitäten und andere Lehr- und Lerneinrichtung präsentiert die Coursera-Studie eine wichtige Lektion in Sachen Diversität des Lehrpersonals: Frauen interessieren sich weltweit deutlich mehr als Männer für Kurse, die von weiblichen Lehrkräften unterrichtet werden. Zwar gewinnen deutsche Universitäten mehr und mehr Frauen für Lehrstühle, trotzdem lag mit rund 12 400 Professorinnen der Frauenanteil zuletzt nur bei 26 Prozent. Unter den Studierenden machen Frauen dagegen rund die Hälfte aus.