Nur jede sechste IT-Fachkraft ist weiblich, nur jede siebte Bewerbung für einen IT-Job kommt von einer Frau. Um das zu ändern, hat sich anlässlich des Digitalgipfels der Bundesregierung das Bündnis #SheTransformsIT gegründet. Das ist ein Zusammenschluss aus 50 führenden Vertreterinnen aus Politik, Wirtschaft, Kultur , Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Der Gipfel findet Montag und Dienstag statt, dem Bündnis geht es um Wirkung über den Tag hinaus. Es will nicht nur mehr Frauen in Vorstandsetagen bringen, sondern auch jenseits des Arbeitsplatzes Klischees und Stereotype bekämpfen, die zur Schlagseite der Branche beitragen. Zu den Erstunterzeichnerinnen gehört Ira Diethelm, Professorin für Didaktik der Informatik an der Universität Oldenburg.
SZ: Frau Professorin Diethelm, Initiativen für mehr Frauen in naturwissenschaftliche MINT-Berufe gibt es schon lange, darunter bekannte Aktionen wie den "Girls Day". Warum braucht es jetzt noch das Bündnis SheTransformsIT?
Ira Diethelm: Informatik ist etwas anderes als MINT. Wir sind zwar das I in MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik). Wir haben aber einen anderen Status, denn die anderen MINT-Fächer sind in der Schule verpflichtend verankert. Informatik gibt es in vielen Bundesländern dagegen nur als Wahlbereich. Das heißt: Wir sind darauf angewiesen, dass Kinder das Fach wählen.
Lässt sich das Problem dann nicht einfach lösen, in dem Informatik Pflichtfach wird?
Das ist ein erster Schritt. In einigen Bundesländern wie Sachsen ist das ja bereits der Fall. Aber das reicht nicht. Es ist nicht nur die Schule, auch Eltern und Werbung halten die Mädchen von der IT fern.
Wie meinen Sie das? Programmierer gilt doch praktisch überall als gut bezahlter, krisensicherer Erfolgsjob.
Mädchen haben theoretisch die gleichen Möglichkeiten, niemand verbietet ihnen zum Beispiel einen Computer zu kaufen. Aber ihnen wird oft suggeriert, sei es in Schulbüchern, der Werbung oder von Verwandten, dass Technik nichts für sie ist. Das fängt in der Spielzeugabteilung an. Es geht nicht nur darum, dass man Frauen für die IT begeistert, es geht auch darum, dass ihnen keine Steine in den Weg gelegt werden.
Welche Steine sind das?
Bis Mitte der 1980er gab es genauso viele Frauen in den naturwissenschaftlichen Studiengängen wir in der Informatik. Dann gab es einen Knick, die Informatik ist deutlich abgefallen zum Rest der MINT-Fächer. Sieht man sich die Werbung aus der Zeit für den C64 an, sieht man deutlich, dass sie sich nur an Männer, an Jungs richtete. Das zeigte Wirkung. Seither haben mehr Jungs als Mädchen Erfahrung mit Computern, weil sie eher an Jungs verschenkt werden - immer noch - und das wirkt sich auf die Studierendenzahlen und auf das Selbstverständnis der Mädchen aus.
Wie lässt sich das heute ändern?
SheTransformsIT will zum Beispiel die Werbebranche dazu anregen, dass sie sich gegen stereotype Werbung ausspricht. In anderen Ländern wie Großbritannien gibt es das. Dort hat die britische Werbeaufsicht beispielsweise eine zu klischeehafte Werbung zum E-Golf von den TV-Bildschirmen verbannt.
Gibt es heute noch Lehrer und auch Lehrerinnen, die Mädchen sagen, dass Informatik oder Technik nichts für sie sei?
Die gibt es leider, aber das stimmt nicht. Die ICILS-Studie, quasi die Pisa-Studie für Computer ergibt regelmäßig, dass sich Mädchen als schlechter einschätzen als Jungs, aber bei den Kompetenzen weltweit besser abschneiden als Jungs. Es ist schlicht ein Märchen, dass Jungs besser mit Computern umgehen können, Mädchen erhalten nur leider zu selten Feedback, dass sie das auch gut können.
Sie bilden Informatiklehrerinnen und -lehrer aus und Sie bilden auch Lehrerinnen und Lehrer weiter. Was machen Sie, damit die Schülerinnen begeistern können statt ihnen zu sagen, IT und Technik sei nichts für sie?
Wir haben zum Beispiel gendergerechtes Unterrichtsmaterial entwickelt, das dazu beitragen soll, dass der Unterricht alle interessiert. Das fängt bei gendergerechter Sprache an und hört nicht bei den Beispielen auf. Lasse ich als Lehrkraft einen Roboter programmieren, der gut im Autorennen ist? Oder fokussiere ich auf einen Mikrocontroller der Umwelt- oder Gesundheitsdaten erhebt? Gesundheit ist ein Thema, mit dem alle etwas anfangen können. Allerdings trägt das Material nicht das Label genderneutral. Das würde leider schon wieder einige abschrecken.
Wenn es Frauen schließlich an die die Uni geschafft haben, brechen viele doch wieder ab. Wie wollen sie die daran hindern?
Wir haben bemerkt, dass vielen Studentinnen gerade die Weihnachtsphase schwer fällt. Die Berieselung der Verwandtschaft, die suggeriert, dass Informatik nichts für Frauen sei, lässt sie an ihrer Eignung für das Studium zweifeln. Deshalb machen wir jetzt konkrete Projekte, die die Bindung ans Studium stärken sollen. Dabei programmieren die Studierenden zum Beispiel mit dem Mini-Computer Raspberry Pi ein eigenes Smart-Home-Gerät, das etwa Licht übers Internet steuert. Wenn sie der Familie zeigen, dass sie das programmieren können, was sich der eine oder andere teuer unter den Weihnachtsbaum gelegt hat, überzeugt das eher als gute Noten, die zu Weihnachten noch nicht vorliegen.