Flüchtlingspolitik:Endlich mal reden

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Flüchtlingspolitik: Parisa Zare Moayedi war einst selbst Flüchtling - jetzt hilft sie anderen.

Parisa Zare Moayedi war einst selbst Flüchtling - jetzt hilft sie anderen.

(Foto: Simon Tesar/oh)

Viele Geflüchtete haben Traumatisches erlebt, mit ihren Problemen aber werden sie alleingelassen - das erschwert die Integration. Ein Projekt will das ändern.

Von Inga Rahmsdorf

Zu Parisa Zare Moayedi kommen Menschen, denen man nicht ansieht, dass sie krank sind. Frauen und Männer, die nachts nicht schlafen können, die keinen Appetit haben, unter Bauchschmerzen, Atemnot oder Herzrasen leiden. Zare Moayedi schenkt ihnen Tee ein und fragt, wie es ihnen geht. Häufig ist sie die erste Person seit Langem, die ihnen diese Frage stellt.

Bei Zare Moayedi auf dem Sofa sitzen Menschen, die alles verloren haben. Ihre Heimat, ihre Familie, ihre berufliche Existenz und nicht selten auch ihre Hoffnung. Die Iranerin arbeitet seit zwei Jahren als eine von drei psychosozialen Beratern in einer Flüchtlingsunterkunft in Schweinfurt. "Soul Talk" heißt das Projekt, in dem geflüchtete Menschen kostenlos Hilfe erhalten. Das Besondere ist, dass die Berater selbst Fluchterfahrungen haben und nicht ehrenamtlich arbeiten, sondern fest angestellt sind. Das Konzept hat die Organisation Ärzte ohne Grenzen entwickelt, die sonst nur in Krisenregionen tätig ist. Doch vor drei Jahren hat sie festgestellt: Auch in Deutschland gibt es einen eklatanten Notstand in der Gesundheitsversorgung.

Die psychische Gesundheit von Geflüchteten wird in integrationspolitischen Debatten kaum thematisiert. Dabei ist sie nicht nur von humanitärer und sozialer Bedeutung, sondern auch von wirtschaftlicher. Wer nachts nicht schlafen kann, wer an Depressionen oder psychosomatischen Krankheiten leidet, der hat Schwierigkeiten oder ist gar nicht in der Lage, sich im Deutschkurs zu konzentrieren, eine Ausbildung zu absolvieren oder zu arbeiten. Für eine erfolgreiche Integrationspolitik müsse deshalb die psychische Gesundheit von Anfang an mit einbezogen werden, betonen Psychologen wie Wirtschaftswissenschaftler gleichermaßen.

Die Finanzierung des Projekts läuft Ende des Jahres aus - Zukunft ungewiss

Soul Talk in Schweinfurt ist bisher einmalig in Deutschland. Dabei sei der Bedarf bundesweit enorm, sagt die Psychologin Henrike Zellmann, die das Projekt für Ärzte ohne Grenzen aufgebaut und die Berater geschult hat. Sie hätte das Konzept gern auch ausgeweitet, doch es war schon schwierig, überhaupt einen Kooperationspartner zu finden. Finanziert und durchgeführt wird Soul Talk vom Schweinfurter Krankenhaus St. Josef. Träger ist die katholische Kongregation der Erlöserschwestern, die eigenen Angaben zufolge jährlich 250 000 Euro in das Projekt investiert. Staatliche Unterstützung gibt es keine. "Das Projekt ist erfolgreich und stößt überall auf Interesse", sagt Zellmann. Zare Moayedi und ihre Kollegen haben bereits mehr als 600 Geflüchtete beraten. Doch die Finanzierung des Projektes läuft Ende des Jahres aus, seine Zukunft ist ungewiss.

"Die psychische Gesundheit ist ein enorm wichtiger Aspekt, den wir berücksichtigen müssen, wenn wir über eine gute Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten sprechen", sagt Haci-Halil Uslucan, Psychologe und Professor für Integrationsforschung an der Universität Duisburg-Essen. Die Politik zeige aber nur geringe Sensibilität für diese Frage. "Wenn zwei Menschen ihre Umgebung nicht als sicher wahrnehmen, wenn sie traumatisiert sind, unter existenziellen Ängsten oder der Trennung von ihrer Familie leiden, können sie nicht unter denselben Bedingungen lernen, wie ein Zuwanderer, der freiwillig nach Deutschland gekommen ist." Auch in Behörden müssten die Mitarbeiter stärker sensibilisiert werden, fordert Uslucan. "Was uns oft fehlt, ist die Empathie. Wie würde es uns in der Situation gehen?"

"Unsere Klienten sagen, sie fühlen sich in Deutschland wie eine Nummer", berichtet die Beraterin Zare Moayedi, "aber wenn sie zu uns kommen, haben sie einen Namen." Die Iranerin hat selbst erfahren, was es bedeutet, alles hinter sich zu lassen, monatelang in einer Flüchtlingsunterkunft auszuharren, nicht arbeiten zu dürfen und nicht zu wissen, wie es weitergeht. In Iran hatte Zare Moayedi Sozialarbeit studiert und zehn Jahre in ihrem Beruf gearbeitet, bevor sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn fliehen musste.

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