Das nächste Hindernis auf Malakeh Jazmatis Weg nach oben wartet vor Halle 5.2 der Grünen Woche. Der Ordner will die junge Frau mit Kopftuch am Steuer eines weißen MercedesKombi nicht aufs Messegelände lassen. Dass sie beteuert, dringend auf die Bühne zu müssen? Interessiert ihn nicht. Dass sie den ganzen Kofferraum voller Essen hat? Ihm egal. Dass sie bereits 15 Minuten zu spät ist? Kann ja jeder sagen. Die Schranke bleibt zu. Und Malakeh Jazmati erstaunlich gelassen.
Vielleicht bleibt sie ruhig, weil sie in ihrem Leben Schlimmeres erlebt hat. Ein Berliner Security-Mann ist für sie keine echte Hürde, eher ein störender Ast, einer, der sich mit einer Hand aus dem Weg schieben lässt. Vielleicht aber weiß Jazmati auch: Nur wenn sie Ruhe bewahrt, kann sie das hohe Tempo durchhalten.
Ihr Leben besteht zurzeit vor allem aus zwei Zeiteinheiten: den stressigen Tagen und den "terrible days", den schrecklichen Tagen. Die stressigen Tage sind die, an denen sie ihren zweijährigen Sohn morgens noch kurz sieht, bevor sie von halb neun bis halb elf in ihrem Restaurant in Berlin-Schöneberg steht. 14 Stunden am Tag, sechs Tage die Woche, außer montags. Die "terrible days" sind die, an denen sie ihren Sohn gar nicht sieht und noch länger arbeiten muss, zum Beispiel weil einer ihrer sechs Mitarbeiter ausfällt oder sie neben dem normalen Restaurantbetrieb noch auf der Grünen Woche kochen soll. Oder beides. So wie heute.
Zwanzig Minuten zu spät betritt Jazmati mit Dutzenden Schälchen und Gewürzdosen die Showküche des Bundesentwicklungsministeriums (200 Euro Kaution haben den Ordner schließlich doch erweicht). "Essen ist Heimat!" lautet der Titel der Veranstaltung, und dafür könnte es nun wirklich keinen perfekteren Gast geben als diese kleine junge Frau aus Syrien, die da mit blauem Kopftuch und blauer Kochschürze vor einem steht und strahlt. Erst vor drei Jahren kam sie nach Berlin, heute ist die 32-Jährige bereits Inhaberin eines gut gehenden Restaurants. Ein Vorzeigeflüchtling, einer, gegen den wohl selbst die AfD wenig einzuwenden hätte, und dazu noch eine Frau. Nur zum Deutschlernen war noch keine Zeit. Jazmati sagt auf Englisch Sätze wie diesen: "Erst in der Fremde ist Kochen für mich zur Heimat geworden."
Malakeh Jazmati kocht Rezepte ihrer Mutter und Großmutter.
Wer Jazmati eine Weile auf Instagram, Facebook und im echten Leben begleitet, der hört das Wort "Heimat" ziemlich oft. Ihr Restaurant soll eine Heimat fern der Heimat für alle Syrer sein. Zwiebel und Koriander sind die Gerüche ihrer Heimat. Gegen die Sehnsucht nach der Heimat hilft ihr das Kochen. Der Ort, an dem sie sich dabei gerade befindet, tritt in den Hintergrund. Bereits zweimal hat sie in ihrem Leben ganz von vorn angefangen. Alles zurück auf null. Wer so oft entwurzelt wurde, schafft sich eine eigene geistige Heimat. Eine, die sich mitnehmen lässt. Als sie an einem kalten Oktobertag 2015 in Berlin landet, hat sie in ihrem Koffer nur ein paar Klamotten und vierzig Kilo Gewürze. "Ich habe sogar Pfeffer mitgebracht, weil ich dachte, die Qualität wäre hier nicht so gut", erzählt sie der Moderatorin in der Showküche. Pfeffer sagt sie, wie alle Zutaten, auf Deutsch.
Die Gewürze und das Kochen sind ihre Brücke nach Syrien. Doch kann das Schnippeln und Schälen, das Braten und Backen, das Wiegen und Würzen ihr auch dabei helfen, in Deutschland anzukommen? Kann über den Kochtopf Integration gelingen?
Ein kurzer Blick zurück in die Geschichte der BRD reicht, um festzustellen: Ja, Annäherung geht auch durch den Magen - haben das nicht all die Pizzerias, Balkan-Grills und Döner-Imbisse in den vergangenen Jahrzehnten bewiesen? "Essen als nichtsprachliches Mittel erleichtert das Kennenlernen", sagt auch Maren Möhring. Nicht umsonst gebe es viele Programme, die Geflüchtete und Deutsche beim Kochen zusammenbringe. In ihrer Habilitation hat die Leipziger Historikerin erforscht, wie die Gastarbeiterküche die Bundesrepublik verändert hat. Vor allem nach dem Anwerbestopp der Gastarbeiter 1973 kam es in Deutschland zu einem Boom ausländischer Gaststättengründungen.
Der Restaurantkritiker Klaus Besser schrieb ein Jahr später: "Zwei Angriffskeile" rückten gegen die gutbürgerliche Küche vor, zum einen die teure Nouvelle Cuisine, zum anderen "die Gastarbeiter, die die deutsche Gastwirtschaft mit Pizzas, Gambas, Balkan-Spießen und allerlei fremdartigem Getier attackierten". 1975 gab es in der Bundesrepublik 20000 ausländische Restaurants, zehn Jahre später bereits doppelt so viele. "Pizzas, Gambas, Balkan-Spieße" waren da längst Teil des modernen Lebensgefühls der Deutschen geworden. Um den Umgang mit der Andersartigkeit einzuüben, habe das auf jeden Fall geholfen, so Möhring. Aber echte Verständigung? Da hat sie ihre Zweifel: "Im Konsumbereich ist die Bereitschaft, mal was Neues zu probieren, generell größer als zum Beispiel beim Wohnen oder Arbeiten." Anders gesagt: Wer gern gelegentlich syrisch essen geht, muss noch lange nicht neben einem Syrer wohnen wollen. Doch übers Essen ins Gespräch zu kommen, sei auf jeden Fall besser, als überhaupt nicht miteinander zu reden.
Unter den Flüchtlingen in Berlin spricht sich schnell herum, wer die junge Frau ist, die ihrem Mann nach Deutschland gefolgt war, denn einige erkennen sie: Es ist "Maliket al-Tabkh", die "Königin der Küche", eine bekannte Fernsehköchin. Hätte man ihr diesen Titel fünf Jahre zuvor prophezeit, hätte sie wohl laut gelacht.