Beine kommen nach rechts, der Rumpf gehört nach links. Weiß gekleidete Männer sortieren die Rinderteile, die der Lastwagen zur Zerlegefabrik in Kilbeggan geliefert hat, 100 Kilometer westlich von Irlands Hauptstadt Dublin. Die Männer hängen die Beine und Rümpfe an Haken; Förderbänder an der Decke transportieren diese durch die runtergekühlte Halle. Die Beine schweben in die eine Richtung, die Rümpfe in die andere. Ordnung muss sein. Entbeiner nehmen sie in Empfang, zerlegen sie, schaben mit Messern das Fett ab, säbeln Fleisch von den Knochen. Kopfkissengroße Muskeln landen auf einem Fließband, Mitarbeiter schweißen sie ein und werfen sie in Kisten, die am Ende im Kühllager gestapelt werden.
Abnehmer sind Großhändler oder Restaurants, dort werden die Muskeln in handliche Steaks geschnitten. Auf dem Fließband und am Boden kleben Blut und kleine Fleischstücke. Die Neonröhren an der Hallendecke tauchen die Szenerie in ein kühles Licht, das Rumpeln des Förderbandes macht Gespräche schwierig. Die Zerlegefabrik ist kein anheimelnder Arbeitsplatz. Es ist ein harter und ein kalter Job, jeden Tag aus den Beinen und Rümpfen von 300 irischen Rindern Muskeln rauszusäbeln. Doch die 200-Mann-Niederlassung des nordirischen Fleischkonzerns Dunbia ist der größte Arbeitgeber dieser ländlichen Region. "Hier gibt es nicht viele andere Firmen", sagt Gerry McNally, der Produktionsleiter.
Irlands Regierung plant "Ernte 2020"
Geht es nach der irischen Regierung, sollen Schlacht-Konglomerate wie Dunbia demnächst noch mehr zu tun haben. Der Umsatz der heimischen Rindfleischbranche soll von 2010 bis 2020 um ein Fünftel zunehmen - so steht es in einem Strategiepapier mit dem sprechenden Titel "Food Harvest 2020", also etwa Ernte 2020. Auch andere Sparten von Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie sollen demnach kräftig wachsen, zum Beispiel die Milchproduktion: Im kommenden April schafft die EU die Milchquoten ab; die Iren wollen von dieser Liberalisierung profitieren und ihren Ausstoß um die Hälfte steigern.
Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie als Wachstumstreiber - das klingt seltsam für einen hoch entwickelten westeuropäischen Staat. Zwar ist Irland bekannt für seine grünen Hügel, und die in Deutschland sehr beliebte irische Buttermarke Kerrygold verbreitet gerne Werbebilder von glücklich grasenden Kühen. Doch den Spitznamen Keltischer Tiger erwarb sich das Land nicht mit seinen prosperierenden Bauernhöfen oder mit Fleischfabriken wie der von Dunbia. Es waren die vielen ausländischen Pharma- und Technologiekonzerne und Banken, die sich auf der Insel niederließen und so einen jahrelangen Boom befeuerten: hippe Unternehmen wie Apple, Google oder Pfizer.
Menschen, Tiere und Moral:Weniger Fleisch, mehr Mitgefühl
Menschen sind an den Fleischkonsum angepasst. Und Tiger haben auch kein Mitleid mit ihrer Beute. Wieso habe ich dann Gewissensbisse, wenn ich ein Schnitzel esse? Gerade weil ich ein Mensch bin. Und es ist besser, auf das Mitgefühl zu hören als auf den Gaumen. Ein biologistisches Plädoyer für den Fleischverzicht.
Während der fetten Jahre entwickelte sich allerdings eine Immobilienblase. Als diese 2008 im Zuge der Finanzkrise platzte, übernahm die Regierung die maroden Banken und stand für deren Kredite gerade. Die Staatsschulden schossen durch die Decke, die Iren mussten unter den Euro-Rettungsschirm schlüpfen, dessen Schutz sie erst im vorigen Dezember verließen.
Inzwischen wächst die Wirtschaft wieder, ausländische Konzerne investieren munter weiter, auch dank des niedrigen Steuersatzes auf Gewinne von 12,5 Prozent. Doch die Regierung will sich nicht komplett auf die Gunst fremder Investoren verlassen müssen, daher möchte sie der heimischen Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie einen Schub verpassen. Zwar stehen beide Sparten zusammen nur für weniger als ein Zehntel der Wirtschaftsleistung, aber immerhin arbeiten dort 170 000 Menschen - bei einer Gesamtbevölkerung von 4,6 Millionen ist das viel. Marken wie Guinness, Baileys oder Kerrygold sind weltweit bekannt, Irland ist größter Rindfleischexporteur der Nordhalbkugel. Deutschland nimmt ebenfalls viel irisches Fleisch ab. Dunbia beliefert die Bundesrepublik allerdings erst seit 2013.
Qualifizierte Entbeiner gesucht
Nicht schlecht für eine Insel, auf der vor 160 Jahren noch eine Million Menschen verhungerte, weil Kartoffelfäule die Ernten vernichtete. Irlands Landwirte profitierten massiv vom Beitritt zum EU-Vorläufer EG im Jahr 1973. Subventionen flossen, die Höfe wurden modernisiert, die Produktion stieg rasant an. Rinderbauern auf der Insel genießen einen wichtigen Standortvorteil: Sie lassen ihr Vieh den Großteil des Jahres auf der Wiese grasen statt es mit teurem Kraftfutter im Stall zu halten - das milde Golfstromklima und die dünn besiedelte grüne Landschaft machen es möglich.
In den Jahren vor dem Platzen der Immobilienblase verloren Jobs in der Landwirtschaft und bei Weiterverarbeitern an Reiz, Dorfbewohner verdienten lieber auf dem Bau ihr Geld. Dunbia-Manager McNally erinnert sich, dass Baufirmen seine qualifizierten Entbeiner mit hohen Gehältern für Anlernjobs abgeworben hätten. Doch als die Blase platzte, gingen viele Bauunternehmen pleite - auch rund um das 1200-Einwohner-Dorf Kilbeggan. "Jetzt ist die Lebensmittelindustrie eine der letzten Säulen in der Gegend", sagt McNally.
Insgesamt beschäftigt Dunbia 4000 Angestellte, der Konzern betreibt 13 Fabriken in Großbritannien und Irland. Der Umsatz stieg zuletzt auf knapp unter eine Milliarde Euro. Stellen zu besetzen, ist dabei gar nicht so einfach. "Es gibt hier zu wenig ausgebildeten Nachwuchs", klagt McNally. Eine Spätfolge des Immobilienbooms, als Schulabgänger lieber auf dem Bau als in der Fleischfabrik anfingen. "Aber langsam kehren die jungen Leute zurück in unsere Branche", sagt er. Willkommen im Schlachthof.