Finanzkrise in Europa:EZB lockt Banken zur Kreditvergabe

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In den Krisenstaaten kommen Firmen kaum an frisches Kapital. Die Europäische Zentralbank lockert deswegen ihre Spielregeln, damit die Banken mehr Kredite vergeben können. Kritiker warnen vor undurchschaubaren Risiken.

Von Andrea Rexer, Frankfurt

Seit Monaten diskutieren sich die Notenbankchefs der Euro-Zone die Köpfe heiß: Soll die Europäische Zentralbank den Banken in Südeuropa das Leben leichter machen, indem sie den Geldinstituten verschachtelte Wertpapiere abkauft, oder sie zumindest als Sicherheiten im Tausch gegen EZB-Geld annimmt? Jetzt gibt es dazu eine Entscheidung: Die EZB kauft die Papiere zwar nicht direkt an, aber sie weicht die Kriterien auf, nach denen die Banken diese Instrumente bei ihr einreichen dürfen.

Dieser Entscheidung ging nach Informationen der Süddeutschen Zeitung eine hitzige Debatte beim Treffen des EZB-Rats am Mittwochabend voraus. Die eine Fraktion um Bundesbankpräsident Jens Weidmann warnte, dass die betreffenden Papiere Risiken mit sich bringen, die kaum zu durchschauen sind. Denn die Finanzinstrumente, um die es geht, sind ausgerechnet jene, die im Zentrum der Finanzkrise standen: ABS werden sie im Fachjargon genannt, "Asset backed securities". Das heißt übersetzt: forderungsbesicherte Wertpapiere. Diese Finanzinstrumente beziehen sich auf bestimmte Vermögenswerte, etwa Immobilien- oder Unternehmenskredite. Diese werden dann gebündelt und als eigenständiges Wertpapier weiterverkauft.

Dass es nicht immer leicht nachzuvollziehen ist, was in diesen Instrumenten steckt, hat die Finanzkrise eindrucksvoll gezeigt: Denn es waren genau jene Papiere, deren Risiko die Banken und Ratingagenturen völlig unterschätzt hatten. Und plötzlich kamen Milliardenverluste ans Tageslicht. Und für Verluste der Notenbank muss letzten Endes der Steuerzahler geradestehen, erinnern die Kritiker.

Das sei alles inzwischen anders, argumentierten die Pragmatiker unter den Notenbankern: Die Papiere seien heute viel transparenter als damals, das Risiko viel leichter einzuschätzen. Worum es ihnen geht, ist eine Lösung für ein dringendes Problem zu finden: Sie sehen, dass ihre Geldpolitik nur mehr sehr eingeschränkt wirkt. Obwohl sie die Zinsen Schritt für Schritt gesenkt haben, müssen sie zusehen, wie Unternehmen in den krisengeplagten Staaten Südeuropas trotzdem hohe Kreditzinsen zahlen müssen - wenn sie überhaupt etwas bekommen. Denn die Banken dieser Länder sind so schwach, dass sie kein Geld herausrücken wollen oder können.

Um den Geldkreislauf wieder anzukurbeln, könnte die Zentralbank eingreifen: Beispielsweise, indem man den Banken belastende Wertpapiere direkt abkauft, um sie zu entlasten - oder indem man ihnen zumindest erlaubt, diese Wertpapiere als Sicherheiten einzureichen. Denn mit neuen Sicherheiten bekommen sie zusätzliches Geld von der Zentralbank. Das könnte die Kreditvergabe erleichtern und damit dem Wachstum wieder auf die Sprünge helfen, denn ohne Geld für Investitionen kann die Wirtschaft nicht wachsen.

Unter dem Strich kann man die Entscheidung als Kompromiss werten: Die Puristen haben durchgesetzt, dass die ABS-Papiere nicht direkt auf der Bilanz der Notenbank landen, aber die Pragmatiker haben immerhin durchgesetzt, dass den Banken erleichtert wird, über ABS-Papiere an frisches Geld zu kommen.

Nach der offiziellen Lesart der Notenbank ist die Lösung der Kreditklemme im Süden jedoch nicht der Grund für die Veränderung gewesen, sondern allenfalls eine Folge der Entscheidung. Die Grundlage für die Veränderung ist eine regelmäßige Überprüfung des Risikokontrollmechanismus. Dabei wägt die EZB das Risiko sämtlicher Papiere ab, manche akzeptiert sie gar nicht als Sicherheit, bei anderen nimmt sie Abschläge vor, um sich selbst vor Verlusten zu schützen. Ein Beispiel: Eine Bank will frisches Geld und reicht als Sicherheit ein Wertpapier mit dem Nennwert 100 Euro ein. Die Zentralbank gibt ihr dafür aber nur 40 Euro, die Differenz ist der Risikopuffer für die Notenbank. Könnte die Bank das Geld nicht zurückzahlen, kann die Notenbank das Wertpapier verkaufen und so den eigenen Verlust minimieren.

Genau an diesen Spielregeln hat die EZB nun Veränderungen unternommen. So dürfen jetzt auch solche ABS-Papiere eingereicht werden, die ein schlechteres Rating aufweisen. Bisher wurden nur Papiere mit der Top-Bewertung von AAA akzeptiert, künftig werden auch Papiere mit nur einem A zugelassen. Hinzu kommt, dass die Notenbank niedrigere Abschläge auf diese Papiere zulässt: Das heißt, für ein und dasselbe Papier bekommen die Banken künftig mehr frisches Geld. Inzwischen seien die ABS in Europa deutlich transparenter, man nehme auch nur gezielt wenig komplexe Papiere an. Die damit verbundenen Risiken seien also gering, heißt es in der EZB.

Strikter hingegen zeigt man sich gegenüber bestimmten Arten von Pfandbriefen. Da in manchen Ländern der Euro-Zone Banken solche Wertpapiere nur zum Eigenbedarf kreierten, um an Liquidität der Notenbank zu kommen, seien die Risiken in stark gestiegen. Hier wurden die Kriterien verschärft. "Diese Maßnahmen haben zusammengenommen einen neutralen Effekt auf das Gesamtvolumen der Sicherheiten", erklärte die EZB. Insgesamt könnte von den Änderungen bei den ABS-Papieren ein Volumen von 20 Milliarden Euro betroffen sein. Das ist eine verhältnismäßig kleine Summe im Vergleich zu jenen 15 Billionen Euro, die Schätzungen zufolge als Sicherheiten nutzbar wären.

Zudem kündigte die EZB eine weitere Maßnahme an, die direkt auf die Kreditklemme in Südeuropa gemünzt ist. Die Zentralbank will die Förderprogramme der EU-Kommission, der Europäischen Investitionsbank (EIB) und der nationalen Entwicklungsbanken unterstützen, die darauf abzielen, kleineren Unternehmen in Südeuropa Kredit zu gewähren. Sie kündigte an, diese Kredite als Sicherheiten zu akzeptieren, wenn sie von den genannten Institutionen garantiert werden.

© SZ vom 19.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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