Krisen:Im Kloster am Bodensee

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Boxen und Entspannung vor Seekulisse - das kann ein gutes Geschäft sein. (Foto: Winfried Heinze/Buchinger Wilhelmi)

Auch bei der Fasten- und Burn-out-Klinik Buchinger dachten sie, die weltweite Pandemie ist das Schlimmste, was passieren konnte. Doch jetzt ist die Welt eine andere - und die Leute brauchen eine Auszeit.

Von Caspar Busse

Als Leonard Wilhelmi 2019 die Führung der Privatklinik Buchinger übernahm, konnte er nicht ahnen, dass er bald nur als Krisenmanager gefordert sein wird. Seine Eltern Raimund Wilhelmi, Enkel des Klinikgründers Otto Buchinger, und die Ärztin Françoise Wilhelmi de Toledo hatten die Fasten- und Burn-out-Klinik, idyllisch in Überlingen direkt am Bodensee gelegen, in den Jahrzehnten davor überregional bekannt und erfolgreich gemacht. Der Sohn sollte das Haus in vierter Generation weiterführen. Doch dann kam erst die Pandemie und jetzt der Krieg in der Ukraine.

"Wir dachten bisher, eine weltweite Pandemie ist das Schlimmste, was passieren konnte. Aber jetzt ist der Krieg da", sagt Wilhelmi, 34. Zwar hatte die Klinik seit dem Beginn der Corona-Pandemie vor zwei Jahren keinen Tag geschlossen, aber die Zahl der Gäste ging sehr deutlich zurück, zeitweise waren nur noch sehr wenige der rund 160 Zimmer belegt. Schon im April 2020 stöhnte Wilhelmi: "Die letzten Wochen fühlen sich an wie 20 Jahre." Doch es kam noch schlimmer: Es ging seit März 2020 stetig auf und ab, fast alle Reha-Kliniken in Deutschland litten, die Patienten blieben wegen Covid aus. Der Unterhalt solcher Kliniken ist teuer, fehlen die Gäste, kann das schnell zu wirtschaftlichen Problemen führen. Immerhin: Die Buchinger-Klinik, die auch noch einen Standort im spanischen Marbella betreibt, hat laut Wilhelmi, der in St. Gallen Betriebswirtschaft studiert hat, die Krise bisher ohne Verluste überstanden. Eine weitere Expansion steht derzeit aber nicht an.

Sei Jahresanfang nun sei das Haus wieder voll, es seien viele Stammgäste zurückgekommen, die Buchungslage sei gut, sagt Wilhelmi. "Es fühlt sich fast wieder so an wie 2019", meint der Klinik-Chef. Doch jetzt sorgt der Krieg für neue Unsicherheit, auch wenn bislang durch Stornierungen russischer Gäste kein größerer Einbruch zu erwarten sei. Einige hätten aber schon abgesagt, jetzt gebe es das Problem, dass die Anzahlungen nicht zurückgezahlt werden können, weil Russland vom internationalen Finanzsystem abgekoppelt ist.

Leonard Wilhelmi hat 2019 die Buchinger Klinik am Bodensee von seinen Eltern übernommen. (Foto: Robert Haas)

Wilhelmi gewinnt der unsicheren Lage aber etwas Positives ab und will auch daraus ein Geschäft machen: "Das Thema Resilienz ist derzeit so wichtig wie nie zuvor." Pandemie und Krieg können bei vielen zu psychischen Belastungen führen, manchmal auch zu Mini-Depressionen. "Viele unserer Gäste kommen, weil sie einfach mal eine Pause für Körper und Geist brauchen, auch angesichts der medialen Überlastung, erst durch die Pandemie, jetzt durch die Kriegsereignisse." Das Angebot am Bodensee passe gerade ideal in die Zeit, das Programm zum Stressabbau, für Entspannung und zur Motivation werde nun gezielt ausgebaut. In der Klinik haben sie bereits ein Friedenskonzert veranstaltet, mit einer russischen Harfenspielerin und einem amerikanischen Jazz-Pianisten.

Vor der Pandemie ging es lange Zeit immer nur aufwärts bei Buchinger. Es kamen Patienten und Promis aus Politik und Wirtschaft und aller Welt. Sie müssen zwischen 3000 und 16 000 Euro pro Woche zahlen, dafür bekommen sie viel Betreuung, Bodensee-Blick und wenig Essen. Das muss man sich leisten können, denn die Kassen tragen den Aufenthalt in der Regel nicht. Die medizinischen Fastenkuren unter ärztlicher Aufsicht dauern zwischen 14 oder 21 Tage. Früher gab es lange Wartelisten, heute buchen die Patienten kurzfristiger, die Aufenthalte werden im Durchschnitt aber auch länger. Im vergangenen Jahr hätten drei Gäste jeweils 40 Tage am Bodensee gefastet.

"Fasten kann einen geistigen Zugang zu Ruhe, Stille und für andere Gedanken ermöglichen", betont Buchinger. Die Kuren sind aber auch nicht unumstritten, ihre Wirkung werde überschätzt und nicht gut erforscht, sagen Kritiker. Ein Geschäftsmodell ist es allemal. "Wir verstehen uns schon immer als eine Mischung aus Kloster, Klinik und Hotel", erzählt Wilhelmi und fügt dann an: "Der Klostergedanke ist gerade jetzt wichtiger denn je."

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