Netzwerkdurchsetzungsgesetz:Dieses Gesetz bedroht die Meinungsfreiheit

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Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) versucht, Facebook zu regulieren. (Foto: AFP)

Was tun gegen Hass im Netz? Heiko Maas will Facebooks Mitarbeiter innerhalb von zehn Sekunden entscheiden lassen, welche Beiträge gelöscht werden. Das ist der falsche Weg.

Gastbeitrag von Markus Beckedahl

Es begann mit einem gut inszenierten Streit in der Öffentlichkeit: Heiko Maas, der Bundesjustizminister und ein Hoffnungsträger der SPD, kämpft gegen den Hass im Netz und gegen die scheinbar unregulierte Willkür der Betreiber von sozialen Netzwerken. Es wurde eine Taskforce eingerichtet, die hinter verschlossenen Türen tagte. Nach zwei Jahren erklärte Maas, dass zu wenig vom Hass gelöscht werde. Als ich den Minister damals fragte, wie viele strafbare Inhalte denn zur Anzeige und vor ein deutsches Gericht gebracht würden, konnte er darauf nicht antworten. Wegen des Bundestagswahlkampfs stieg der Druck auf Maas, etwas zu tun. Was fiel ihm ein? Ein "Netzwerkdurchsetzungsgesetz" im letztmöglichen Moment dieser Legislaturperiode.

Die Verbesserung der Rechtsdurchsetzung bei strafbarer "Hasskriminalität" war das Ziel, Morddrohungen und Volksverhetzung wurden als Beispiele genannt. In der finalen Version des Gesetzentwurfs waren es 19 weitere Straftatbestände. Man spricht von "offensichtlich rechtswidrigen Inhalten". Sie müssen innerhalb von 24 Stunden nach Kenntnisnahme gelöscht werden, sonst drohen hohe Geldstrafen. Das ist das Problem dieses Gesetzes: Die sozialen Medien werden in die Rolle von Richtern ihrer selbst gedrängt. Zunächst einmal verbessert das Gesetz die Rechtsdurchsetzung also kaum. Es nimmt die Rechtsauslegung über potenziell strafbare Inhalte und die Entscheidung darüber, was offensichtlich strafbar ist, aus der Verantwortung von Gerichten und überträgt sie den Plattformen. Zuletzt wurden noch Einrichtungen zu einer regulierten Selbstregulierung in den Gesetzesentwurf eingeführt.

Das Gesetz verbessert also nicht die Rechtsdurchsetzung durch Gerichte, sondern es privatisiert die Rechtsauslegung. Das Gesetz fokussiert auf das Löschen durch private Akteure. Es überträgt also denjenigen, die in ihrer Macht eigentlich beschränkt werden sollen, eine zentrale rechtsstaatliche Verantwortung. Nicht einmal ein Widerspruchsrecht für gelöschte Inhalte ist geplant.

Das Problem heißt Overblocking

Die Gefahr wird nun im sogenannten Overblocking gesehen: Dass Plattformen lieber zuviel löschen als zu wenig, um eben Geldbußen zu umgehen. Denn was ist "offensichtlich rechtswidrig" in Fragen der Meinungsfreiheit, wo der Kontext oft entscheidend ist und die Rechtsprechung komplex? Für den allergrößten Teil strafbarer Inhalte muss auch davon ausgegangen werden, dass sie strafrechtlich nicht verfolgt werden. Denn die Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden und der Justiz bleibt ja mangelhaft.

Das Gesetz trägt "Durchsetzung" im Namen, aber vor allem geht es ums Löschen. Der effektivere Weg, gegen Hasskriminalität vorzugehen, ist es, Täter zu ermitteln und vor Gericht zu stellen. Das ist deutlich abschreckender als die Benachrichtigung, dass ein Hasskommentar gelöscht wurde. Zu einer besseren Rechtsdurchsetzung gehört auch eine besser ausgestattete Justiz, die sich mit dem Netz auskennt. Es ist absurd, dass Richter 2017 immer noch damit kokettieren, keine Ahnung davon zu haben, worüber sie eigentlich entscheiden.

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Viele negative Phänomene im Netz sind Ergebnis eines kollektiven Versagens: Große Teile der Bevölkerung sind zu Sendern geworden. Aber wer hat uns dazu die Kompetenz vermittelt? Wir haben uns zu lange darauf verlassen, dass beim Kauf eines Smartphones auch die Digitalbildung vom Himmel fällt. Medienkompetenz ist leider vor allem: ein Versprechen von Politikern.

Facebook soll die Daten rausrücken

Die gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung sind in Deutschland zu wenig erforscht, und das ist hausgemacht. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass ausgerechnet Google ein Forschungszentrum bei uns finanzierte, zehn Jahre, bevor die Bundesregierung das "Deutsche Internet-Institut" auf den Weg brachte. Forschung zu gesellschaftlichen Phänomenen auf großen Plattformen braucht aber auch Zugang zu Daten. Hier sollte der Gesetzgeber die Betreiber verpflichten, mehr Daten an Wissenschaftler rauszurücken. Es kann doch nicht sein, dass nur Facebook-Forscher verstehen können, was dort passiert.

Und während die Bundesregierung noch hofft, dass demnächst bei Facebook mehr Mitarbeiter bei einem Mindestlohn innerhalb von zehn Sekunden entscheiden, was gelöscht wird, sehen wir neue Trends: Künstliche Intelligenz und Algorithmen werden künftig stärker in die Inhalte-Moderation integriert. Algorithmen regulieren dann unsere Meinungsfreiheit. Daraus ergeben sich wichtige Fragen: Wie können wir diese Algorithmen demokratisch nachvollziehbar kontrollieren?

Viel wurde über die Verantwortung von Facebook, Google, Twitter und Co. für die Verbreitung von Hate Speech - Hass - und Fake News - Falschmeldungen - debattiert, und am Ende ging es meist nur um das Löschen einzelner Äußerungen. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz zeigt: Vermeintlich einfache Lösungen bringen mehr Probleme. Komplexe Lösungen kosten Geld. Um sie zu bezahlen, könnte man in der Bundesregierung etwa die Besteuerung großer US-Plattformen forcieren.

Wir brauchen mehr gesellschaftliche Debatte darüber, wie wir mit meinungsbildenden Plattformen umgehen können, die zu dominant für unseren gesellschaftlichen Diskurs geworden sind. Diese privatisierten Öffentlichkeiten definieren einseitig die Regeln unserer Kommunikation durch allgemeine Geschäftsbedingungen und technische Ausgestaltung. Insofern ist die Intention von Maas, gegen die Macht der großen Plattformen etwas zu unternehmen, richtig. Aber der Weg und die Ausführung überzeugen nicht.

Der Autor ist Gründer und Chefredakteur von Netzpolitik.org, einem der bekanntesten deutschsprachigen Blogs, und der Re publica, der alljährlichen Web-Konferenz in Berlin. Er war von 2010 bis 2013 Mitglied der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" im Deutschen Bundestag. 2014 erhielt er den Grimme-Online-Award.

© SZ vom 29.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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