Soziale Netzwerke:Facebook dreht am Anzeigen-Algorithmus

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Der Konzern hinter Facebook hat sich gerade in Meta umbenannt und daher auch ein neues Logo bekommen. (Foto: Tony Avelar/AP)

Das klingt erst mal gut: Der Konzern will keine Werbung mehr zeigen, die auf "sensiblen" persönlichen Informationen basiert. Doch das Vorhaben hat gleich mehrere Haken.

Von Philipp Bovermann

Zwei Menschen. Zwei Smartphones. Mal wieder viel Werbung in der Facebook-App. "Hast du die Jobanzeige gesehen?", sagt er, scrollend. Es geht um eine gut bezahlte Stelle, die Anzeige ist bei ihm schon mehrfach aufgetaucht. Sie hingegen, die neben ihm sitzt, scrollt und scrollt - wird aber nicht fündig, obwohl die beiden ansonsten gleiche Qualifikationen und Profile haben. Er als Mann entspricht der Zielgruppe, der die Werbeanzeige zugestellt wird, sie als Frau hingegen nicht. Dieses Prinzip, genannt Targeting, will Meta - wie das Unternehmen hinter Facebook, Instagram und Whatsapp seit Kurzem heißt - nun diskriminierungsfreier machen. Aber wie so häufig, wenn der Konzern an seinen Produkten herumschraubt, sitzt das eigentliche Problem tiefer. Und möglicherweise wird alles nur schlimmer.

Von kommendem Januar an sollen Werbetreibende keine Zielgruppen mehr auswählen können, die Nutzer nach ihrem Gesundheitsstatus, ihrer politischen, religiösen oder sexuellen Orientierung unterteilen. Solche Informationen leiten die Systeme von Meta automatisch daraus ab, mit welchen Inhalten die Nutzer sich beschäftigen. Eine Anzeige, die nur Frauen zwischen 25 und 35 Jahren zu sehen bekommen, würde also weiterhin online gehen können, aber keine Anzeige nur für lesbische Kommunistinnen dieses Alters.

Politische Organisationen könnten ihre Zielgruppen nicht mehr erreichen

Menschen berichten immer wieder, wie eingeengt sie sich auf bestimmte intime Merkmale durch Anzeigen-Targeting fühlen. Wer etwa kürzlich einen Trauerfall in der Familie hatte, bekommt massenweise Grabsteine zu sehen. Zumindest "sensible" persönliche Informationen sollen künftig aus dem eigenen Werbeprofil ausgeklammert bleiben.

Die Werbetreibenden müssen also eventuell auf ein breiter angelegtes Targeting zurückgreifen - und somit auf Facebooks sogenanntes Auslieferungssystem. Je weniger detailliert die Nutzer selbst das Targeting auswählen, desto stärker ermittelt dieses System mithilfe künstlicher Intelligenz automatisch, welche Menschen wohl am empfänglichsten sind für welche Anzeigen. Dabei passiert das, was immer passiert, wenn man dem KI-System derlei Entscheidungen überlässt: Sie verstärken bestehende Stereotype. Die Organisation Algorithm Watch hat in einem Versuch gezeigt, dass Facebook Jobangebote für Lastwagenfahrer viel häufiger Männern zeigt, Anzeigen für Kindererzieher hingegen eher Frauen. Die Werbetreibenden diskriminieren künftig also eventuell weniger selbst. Sie lassen mehr diskriminieren. Vollautomatisch.

Und es gibt noch ein Problem. Politische Organisationen befürchten, dass die geplanten Änderungen ihre Arbeit erschweren könnten. Die Organisation Campact etwa gibt an, Facebooks Werbesystem zu nutzen, um Menschen über ihre Interessen an bestimmte Themen auf laufende Kampagnen hinzuweisen, etwa zu "Fridays for Future" oder "Christopher Street Day". Gut möglich, dass beides künftig in die Kategorie dessen fällt, was Facebook als politisch und insofern als "sensibel" einzustufen gedenkt. Die Organisation Transgender Europe teilt mit, sie bitte Facebook dringend, "sicherzustellen, dass LGBTIQ-Aktivisten und -Organisationen eine Möglichkeit haben, sich an ihre Mitglieder und Gemeinschaft zu wenden". Das Kürzel LGBTIQ steht für sexuelle Minderheiten.

Die EU möchte gegen Targeting vorgehen

"Wir wissen, dass diese Änderung negative Auswirkungen auf einige Unternehmen und Organisationen haben könnte", schreibt Meta. Man habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Trotzdem kann der Konzern sich nun rühmen, etwas im Kampf gegen die Diskriminierung und das bei vielen Menschen verhasste Targeting zu tun. Das kann er gut gebrauchen nach den jüngsten Enthüllungen skrupelloser Geschäftspraktiken durch die Whistleblowerin Frances Haugen.

Möglicherweise möchte Meta auch einer drohenden Regulierung zuvorkommen. Ein Gesetz über digitale Dienste der EU, das ebenfalls die Möglichkeiten "personalisierter Werbung" einschränken soll, befindet sich auf der Zielgeraden. Im kommenden Monat soll das Plenum des Europäischen Parlaments darüber debattieren.

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