Arbeitsmarkt:Einwanderer sollen Europa helfen

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Neue Einwanderungsbestimmungen sollen auch Arbeitskräfte für die Pflege in die EU bringen. (Foto: Tom Weller/dpa)

Brüssel hat einen Plan, um den Arbeitskräftemangel in den 27 Mitgliedstaaten zu beheben. Ob die Länder das auch wollen?

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Der Grieche Margaritis Schinas hat als Vizepräsident der EU-Kommission einen ganz besonderen Aufgabenbereich: die "Förderung der europäischen Lebensweise". Zu dieser Lebensweise gehört nach seinem Verständnis zwingend ein offener Umgang mit Fragen der Migration, nicht nur aus Menschenfreundlichkeit, sondern aus ganz pragmatischen Gründen: weil Europa dringend neue Arbeitskräfte brauche.

Deshalb stellte Schinas am Mittwoch gemeinsam mit der für Migration zuständigen Kommissarin Ylva Johansson aus Schweden ein Konzept vor, um nach einheitlichen europäischen Regeln mehr Arbeitsmigranten in die EU zu locken - durch eine Reform des Aufenthaltsrechts ebenso wie durch Partnerschaften mit Drittstaaten. Der Zeitpunkt, mitten in der Ukraine-Krise, zeugt durchaus von politischem Mut.

Schinas gestand ein, natürlich würden "die üblichen Verdächtigen" jetzt wieder klagen, Europa mache unkontrolliert die Türen auf. Und ihm ist klar, dass die Aufnahme der aus der Ukraine geflüchteten Menschen - fünf Millionen kamen in die EU, 3,8 Millionen sind noch hier - einige Länder stark belastet. Aber die Zeit sei reif, sagte Schinas. Aus der Pflege, aus der Digitalwirtschaft, aus der Tourismusbranche - von überallher höre er Klagen, man finde kein Personal, und die Lage werde sich durch die demografische Entwicklung in Europa noch verschlimmern. Die Kommission spricht von "Talenten und Fähigkeiten", die man deshalb in die EU holen wolle.

"Talent-Partnerschaften" sollen illegale Migration verhindern

Die Kommission schlägt zunächst einmal die Reformen von zwei EU-Richtlinien vor. Jene zur kombinierten Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis ("single permit directive") soll die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, Anträge auch aus dem Drittland heraus entgegenzunehmen. Eine weitere Neuerung würde den Migranten das Recht gewähren, während des Aufenthalts den Arbeitgeber zu wechseln. Das soll ihnen helfen, sich gegen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse zu wehren. Die Erlaubnis dürfte zudem bei Arbeitslosigkeit mindestens drei Monate lang nicht zurückgenommen werden.

Die zweite Reform betrifft die Richtlinie zum Daueraufenthalt ("long term residents directive"), die Migranten nach fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthalts besondere Rechte gewährt. Die Kommission schlägt vor, dass diese fünf Jahre auch kumulativ in mehreren Mitgliedstaaten und nicht nur in einem einzigen verbracht werden können. Zudem solle künftig die Zeit als Student anrechenbar sein. Auch das Recht auf Familienzusammenführung soll gestärkt werden.

Zweiter Teil des vorgeschlagenen Pakets sind sogenannte "Talent-Partnerschaften" mit Drittstaaten. Schinas und Johansson nannten Länder wie Tunesien, Marokko oder Ägypten, die dafür infrage kämen - auch mit dem Hintergedanken, illegale Migration zu verhindern. Wer sich für einen Job in der EU interessiert, könnte sich im Rahmen solcher Partnerschaften auf einer EU-Plattform anmelden und schon vorab für einen Job schulen lassen. Vor allem für den Pflegebereich soll damit Nachwuchs gewonnen werden. Als "Pilotprojekt" will die Kommission demnächst eine europaweite Online-Plattform starten, die arbeitssuchende Menschen aus der Ukraine mit Arbeitgebern aus den 27 Mitgliedsländern in Kontakt bringt.

Polen und Ungarn wehren sich bislang gegen Asylbewerber

Durch Migration solle ganz gezielt der Arbeitskräftebedarf in der EU bedient werden, so erklärten Kommissarin Johansson und Kommissar Schinas ihren Plan. Beide waren sichtlich froh, ausnahmsweise einmal nicht über die Abwehr illegaler Migration sprechen zu müssen, sondern über den Migrationsalltag in Europa. Jährlich kommen der Kommission zufolge etwa zwei bis bis drei Millionen Drittstaatenangehörige legal in die EU.

Die nun vorgestellten Reformen flankieren den "Migrationspakt", den die Kommission im September 2020 präsentierte. Er findet bis heute keine Mehrheit unter den Mitgliedstaaten, weil sich Länder wie Polen und Ungarn gegen die Aufnahme von Asylbewerbern wehren. Ob die 27 Staaten nun bereit sind, eine gemeinsame Politik in Sachen Arbeitsmigration zu betreiben, muss sich in den nächsten Monaten erweisen. Kommissar Schinas sagte, er wolle die Hoffnung auf einen "Big Bang" nicht aufgeben: auf eine Einigung in allen Bereichen der Migrationspolitik.

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