Estland:Profilierung als "E-stonia"

Die Baltenrepublik profiliert sich als "E-stonia", wo der Internet-Telefondienst Skype erfunden wurde. Bereits 1997 wurden in der Aktion "Tigersprung" alle Schulen ans Internet angeschlossen und eine schlanke Verwaltung aufgebaut. Heute werden 93 Prozent aller Steuererklärungen online abgegeben und Bustickets ebenso wie Parkscheine per Mobiltelefon bezahlt. Die Verfassung garantiert den Zugang zum World Wide Web.

Der Musterschüler lockt ausländische Investoren an: "Im ersten Vierteljahr flossen 427 Millionen Euro nach Estland", sagt Marija Alajoe von Enterprise Estonia, noch mehr als im Vorjahr. Mehrere Firmen bauten ihr Engagement aus: Ericsson produziert Mobiltelefone für den Weltmarkt und ABB beschäftigt mehr als 1000 Esten. Es boomt auch der Tourismus, in dem ein Zehntel des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet wird.

Präsident Ilves will sich nicht auf alten Erfolgen ausruhen: Anfang Juli diskutierte er mit Investoren, Politikern und Journalisten über Estlands künftige Rolle in der Welt. Während einige auf die Finanzbranche setzen wollen, sehen andere Estlands Zukunft als Logistikdrehscheibe für den Handel mit China.

Ilves ist überzeugt, dass sich die weichen Standortfaktoren verbessern müssen. Zwar könne Skype für sein Forschungszentrum Spitzenpersonal von Nokia abwerben und adäquate Gehälter zahlen: "Die Entwickler möchten meist nicht hier leben, weil die Lebensqualität nicht hoch genug ist."

Die deutschen Unternehmen aber sind zufrieden: Laut einer Umfrage der Deutsch-Baltischen Handelskammer würden 93 Prozent wieder den Standort Estland wählen. Sie profitieren von einem einfachen Steuerrecht: Es gilt ein Einheitssatz von 21 Prozent. Wenn die Gewinne reinvestiert werden, fällt keine Körperschaftssteuer an.

"In der Vergangenheit war dies ein wichtiger Erfolgsfaktor", urteilt Stephan Kuhn von Ernst & Young. Der Schweizer Steuerexperte rät, Estland müsse womöglich sein Steuersystem ändern, um es zukunftstauglich zu machen. Kuhn fürchtet, dass nach dem Boom der Konsum abgewürgt wird: "21 Prozent Einkommen-Steuersatz ist für ärmere Bürger eine recht hohe Belastung, zu der noch 20 Prozent Mehrwertsteuer kommen." Mit höheren Freibeträgen ließe sich gegensteuern.

In einer anderen Frage lobt der Unternehmensberater die Baltenrepublik: "Im regionalen Vergleich ist es Estland am besten gelungen, ein positives Image aufzubauen." Dies wird Toomas Hendrik Ilves gern hören, der die Fortschritte seines Landes gern mit einem anderen Vergleich illustriert: "1939 waren Estland und Finnland nahezu gleich auf, was Wohlstand und Infrastruktur angeht." Dann wurde Estland von der Sowjetunion besetzt - und 1991, im Jahr der Unabhängigkeit, war jeder Finne 20-mal reicher als sein estnischer Nachbar. 2009 kamen sie bereits auf ein knappes Drittel des finnischen Einkommens.

Und die Aufholjagd geht weiter.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: