Corinna Ludwig ist vorsichtig, wenn es um die Ernährung ihrer zweijährigen Tochter geht. Besonders kritisch ist die Münchnerin bei Zucker. "Es gibt unheimlich viele Produkte für die Kleinen, zum Beispiel Säfte extra für Kinder, kleine Snacks, und in den meisten ist jede Menge Zucker drin", sagt die 30-Jährige. Deshalb verbringt sie viel Zeit damit, Angaben auf Verpackungen zu studieren. "Es ist schon erschreckend, wie viel Zucker man zu sich nähme - würde man die Produkte unkritisch kaufen", sagt sie.
Bis zu 70 solcher versteckter Süßmacher stellen Verbraucherschützer in unterschiedlichen Lebensmitteln fest. Für Laien sind sie als solche oft nicht erkennbar. Corinna Ludwig irritiert das. Sie macht sich Sorgen um die Gesundheit ihrer Tochter. "Zucker schadet den Zähnen und natürlich habe ich Angst, dass Kinder Diabetes bekommen oder übergewichtig werden."
Bildungsstand der Eltern ist mitverantwortlich für die Fehlernährung
Wie hoch dieses Risiko tatsächlich ist, hängt vom Bildungsstand der Eltern ab, das zeigt die Statistik. Insbesondere Kinder aus bildungs- und einkommensschwachen Familien sind demnach von Fehlernährung und Übergewicht betroffen. Das räumt auch die Bundesregierung ein. Tatsächlich lassen sich süße Lebensmittel besser verkaufen als weniger süße. Die Konzerne sichern sich so Milliardenumsätze.
Auch in Deutschland wird darüber diskutiert, wie sich das Problem lösen lässt. Eine Zuckersteuer, wie sie etwa in Großbritannien im Gespräch ist, lehnt die Bundesregierung allerdings ab. Zwar hat man in Berlin das grundsätzliche Problem erkannt, gleichzeitig heißt es aber: "Politik und Staat können und wollen den Menschen keinen bestimmten Lebensstil vorgeben." So steht es in einem Antrag von CDU/CSU und SPD, in dem es um die Stärkung gesunder Ernährung geht.
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Nach dem Vorbild der Tabak-Konzerne: Die Zuckerindustrie beeinflusste jahrzehntelang Gesundheitspolitiker und Zahnarztverbände. Ihr Ziel: Die schädliche Wirkung auf die Zähne sollte verschleiert werden.
Im Bundestag spiele das Thema Zucker quasi keine Rolle
Stattdessen setzt die Regierung auf die Einsicht der Lebensmittelindustrie. Die Hersteller sollen den Zuckeranteil ihrer Rezepturen freiwillig senken. Zwei Millionen Euro sind im Haushalt 2016 für eine nationale Strategie zur Reduktion von Zucker, Salz und Fetten in verarbeiteten Lebensmitteln vorgesehen. "Das Geld wollen wir vor allem für die Forschung nutzen", sagt Elvira Drobinski-Weiß, ernährungspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion.
Ein Werbeverbot von Süßigkeiten und Softdrinks in Kindergärten und Schulen sei beschlossene Sache. "Nun ist es Sache von Ernährungsminister Christian Schmidt, mit den Ländern in Dialog zu treten, um ein solches Werbeverbot auch umzusetzen." Kritik kommt von der Opposition. Das allein reiche nicht aus. Außerdem sei unklar, wie dieser Plan überhaupt umgesetzt werden könnte, klagt Nicole Maisch von den Grünen. "Das Thema Zucker spielt im Bundestag so gut wie keine Rolle. Deutschland liegt in der Debatte im Vergleich zu den Nachbarländern weit hinten."
Zu hoher Zuckerkonsum und Übergewicht gelten als Auslöser verschiedener Krankheiten wie Diabetes und Herzkreislaufstörungen. Darin sind sich viele Forscher einig. Fest steht auch, dass die Deutschen zu viel Zucker essen. Im Schnitt sind es pro Person 90 Gramm pro Tag, mehr als das Dreifache dessen, was die Weltgesundheitsbehörde (WHO) als Obergrenze empfiehlt, und die liegt bei etwa sechs Teelöffeln Zucker pro Tag. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Diabetes-Erkrankungen in allen Altersklassen zu. Sechs Millionen Bundesbürger im Erwachsenenalter sind betroffen. Bis 2030 erwartet das Robert-Koch-Institut einen Anstieg auf acht Millionen.
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Amerikanische Experten halten Zucker für einen der größten Killer und wollen ihn so streng wie Alkohol und Tabak kontrollieren lassen. Doch ist süßes Naschwerk wirklich solch ein Teufelszeug?
Doch die Zuckerlobby setzt alles daran, den Verdacht zu entkräften, dass Zucker krank machen kann. "Die Ursache vieler Zivilisationskrankheiten ist eine unausgeglichene Energiebilanz - nicht der Verzehr von Zucker", heißt es in einer Analyse der Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker, die sie im vergangenen Herbst an Bundestagsabgeordnete verschickte. Das Papier wirkt wie eine wissenschaftliche Untersuchung. Tatsächlich wurde es von Mitarbeitern des Zuckerverbandes und nicht von unabhängigen Forschern gefertigt, wie eine Sprecherin auf Anfrage einräumt. Vom Urteil der Weltgesundheitsorganisation hält man beim Verband nichts. "Die Empfehlung der WHO hält einer wissenschaftlichen Prüfung nicht stand", heißt es. Deren Studienauswahl sei einseitig und selektiv. Schuld an der Misere seien Bewegungsmangel und eine falsche Ernährung. Deshalb seien einzelne Lebensmittel aber noch lange nicht ungesund.
Die Folgen einer Fehlernährung seien für Kinder besonders schlimm
Drobinski-Weiß von der SPD hat für diese Haltung kein Verständnis. "Bei den plakativen Aussagen der Zuckerindustrie zu den Ursachen von Diabetes vermisse ich das Verantwortungsgefühl. Besonders schlimm sind die Folgen einer Fehlernährung für Kinder." Es helfe nicht, den Zuckerkonsum zu verharmlosen. Sie fordert mehr Transparenz in der Forschung, auch im Hinblick auf den Coca-Cola-Skandal. Die versteckte Finanzierung von Zucker-Forschung hat dem US-Konzern zuletzt viel Ärger eingebracht. In den USA hat Coca-Cola inzwischen seine Zuwendungen an Universitäten und andere Einrichtungen offengelegt, Angaben für Europa sollen folgen.
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Es reicht: Die Menschen essen zu viel Zucker, warnt die Weltgesundheitsorgansiation und halbiert die Empfehlung für die Tagesdosis. Vor allem in der Lebensmittelindustrie wird man das nicht gerne hören. Denn gesüßte Lebensmittel lassen sich einfach besser verkaufen - und die Kunden wissen meist gar nicht, wo sich Zucker überall versteckt.
Auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) hält das Papier der Zuckerverbände für schwierig: "Geärgert hat uns vor allem die Scheinheiligkeit, sich auf uns zu beziehen und sinnentstellend aus unseren Ernährungsempfehlungen zu zitierten", sagt DDG-Geschäftsführer Dietrich Garlichs. "Die Industrie lehnt sich zurück und sagt, wir stellen nur gesunde Lebensmittel her. Das ist zynisch, weil man dem Einzelnen die Schuld gibt, wenn er nicht weiß, wie viel Zucker, Salz oder Fett gut für ihn ist." Dafür fehlt laut Garlichs aber vor allem eines: eine transparente Kennzeichnung von Zucker auf Verpackungen.
Das Marketingbudget der Industrie liegt bei mehr als drei Milliarden Euro
Einen Mangel sieht er auch bei der Aufklärung. "Es existiert keine Waffengleichheit, die Mittel der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sind lächerlich im Vergleich zum Marketingbudget der Industrie." Während das Jahresbudget der Behörde bei 30 Millionen Euro liege, betrage das der Lebensmittelindustrie für Marketing mehr als drei Milliarden Euro.
Wie ungesund viele Kinderlebensmitteln tatsächlich sind, hat die Verbraucherorganisation Foodwatch im vergangenen Sommer festgestellt. 90 Prozent der knapp 300 untersuchten Produkte erfüllten nicht die WHO-Kriterien, weil sie zu viel Zucker, Salz oder Fett enthielten. Corinna Ludwig wünscht sich deshalb verständlichere Kennzeichnungen. Für ihre Tochter versucht sie nur Lebensmittel zu kaufen, die keine oder wenig Zucker enthalten. "Tatsächlich fehlt einem aber oft die Kraft, im Supermarkt ständig auch noch das Essen auf den Zuckeranteil zu prüfen."