Ernährung:Wie die Industrie die Zucker-Gefahr verharmlost

April 2 2014 c London UK The final touches are made to the Katy Perry exhibit by Tansy Ratclif

Katy Perry (hier als Wachsfigur bei Madame Tussauds) singt im Video "California Gurls" zwischen Lollipops von Mädchen in kurzen Höschen.

(Foto: imago/ZUMA Press)
  • Die Deutschen essen zu viel Zucker, und zwar im Schnitt 90 Gramm pro Person und Tag. Empfohlen wird ein Drittel davon.
  • Die Industrie verharmlost die Risiken eines zu hohen Zuckerkonsums und gibt Milliarden für Marketing aus.

Von Silvia Liebrich und Jakob Schulz

Corinna Ludwig ist vorsichtig, wenn es um die Ernährung ihrer zweijährigen Tochter geht. Besonders kritisch ist die Münchnerin bei Zucker. "Es gibt unheimlich viele Produkte für die Kleinen, zum Beispiel Säfte extra für Kinder, kleine Snacks, und in den meisten ist jede Menge Zucker drin", sagt die 30-Jährige. Deshalb verbringt sie viel Zeit damit, Angaben auf Verpackungen zu studieren. "Es ist schon erschreckend, wie viel Zucker man zu sich nähme - würde man die Produkte unkritisch kaufen", sagt sie.

Bis zu 70 solcher versteckter Süßmacher stellen Verbraucherschützer in unterschiedlichen Lebensmitteln fest. Für Laien sind sie als solche oft nicht erkennbar. Corinna Ludwig irritiert das. Sie macht sich Sorgen um die Gesundheit ihrer Tochter. "Zucker schadet den Zähnen und natürlich habe ich Angst, dass Kinder Diabetes bekommen oder übergewichtig werden."

Bildungsstand der Eltern ist mitverantwortlich für die Fehlernährung

Wie hoch dieses Risiko tatsächlich ist, hängt vom Bildungsstand der Eltern ab, das zeigt die Statistik. Insbesondere Kinder aus bildungs- und einkommensschwachen Familien sind demnach von Fehlernährung und Übergewicht betroffen. Das räumt auch die Bundesregierung ein. Tatsächlich lassen sich süße Lebensmittel besser verkaufen als weniger süße. Die Konzerne sichern sich so Milliardenumsätze.

Auch in Deutschland wird darüber diskutiert, wie sich das Problem lösen lässt. Eine Zuckersteuer, wie sie etwa in Großbritannien im Gespräch ist, lehnt die Bundesregierung allerdings ab. Zwar hat man in Berlin das grundsätzliche Problem erkannt, gleichzeitig heißt es aber: "Politik und Staat können und wollen den Menschen keinen bestimmten Lebensstil vorgeben." So steht es in einem Antrag von CDU/CSU und SPD, in dem es um die Stärkung gesunder Ernährung geht.

Im Bundestag spiele das Thema Zucker quasi keine Rolle

Stattdessen setzt die Regierung auf die Einsicht der Lebensmittelindustrie. Die Hersteller sollen den Zuckeranteil ihrer Rezepturen freiwillig senken. Zwei Millionen Euro sind im Haushalt 2016 für eine nationale Strategie zur Reduktion von Zucker, Salz und Fetten in verarbeiteten Lebensmitteln vorgesehen. "Das Geld wollen wir vor allem für die Forschung nutzen", sagt Elvira Drobinski-Weiß, ernährungspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion.

Ein Werbeverbot von Süßigkeiten und Softdrinks in Kindergärten und Schulen sei beschlossene Sache. "Nun ist es Sache von Ernährungsminister Christian Schmidt, mit den Ländern in Dialog zu treten, um ein solches Werbeverbot auch umzusetzen." Kritik kommt von der Opposition. Das allein reiche nicht aus. Außerdem sei unklar, wie dieser Plan überhaupt umgesetzt werden könnte, klagt Nicole Maisch von den Grünen. "Das Thema Zucker spielt im Bundestag so gut wie keine Rolle. Deutschland liegt in der Debatte im Vergleich zu den Nachbarländern weit hinten."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema