Ungleichheit:Wer viel erbt, zahlt kaum Steuern

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Freizeitvergnügen auf der Galopprennbahn: Die Reichen in Deutschland werden immer reicher. Das liegt auch an der Besteuerung von Erbschaften, wie neue statistische Daten zeigen. (Foto: Hans Christian Plambeck/laif)
  • Großerben in Deutschland zahlten auf Erbschaften im Gesamtwert von 31 Milliarden Euro nur etwa fünf Prozent Steuer, zeigt eine neue Auswertung.
  • Ein Grund dafür ist, dass große Vermögen oft in Form von Firmenanteilen vererbt werden.
  • Wirtschaftsverbände verteidigen gesetzliche Ausnahmen für Unternehmenserben vehement. Ökonomen fordern zumindest Anpassungen.

Von Alexander Hagelüken, München

"Wenn ich scheid aus diesem Elend und laß hinter mir ein Testament", dichtet Goethe in Hans Liederlich, "so wird daraus nur Zank." Womöglich trifft der Altmeister die Gegenwart damit nur zum Teil. Jedenfalls gilt dies nicht für alle der gut 600 Deutschen, die 2018 mehr als zehn Millionen Euro erbten oder geschenkt bekamen. "Nur Zank"? Kaum. Denn die Großerben mussten nicht ernsthaft mit dem Fiskus teilen. Sie erhielten zusammen 31 Milliarden Euro, eine Summe fast so hoch wie die ganzen Investitionen des Bundes oder das jährliche Kindergeld für zehn Millionen Eltern. Die Großerben zahlten auf diese 31 Milliarden nur fünf Prozent Steuer, ergaben Auswertungen des Statistischen Bundesamts, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen.

Dieser kleine Prozentsatz mag jeden überraschen, der weiß, dass das Gesetz jenseits der Freibeträge und bei entfernteren Verwandten auch Erbschaftsteuern von 30 bis 50 Prozent vorsieht. Und dass für Arbeitnehmer ab etwa 5000 Euro brutto monatlich der Spitzensatz der Einkommensteuer von 42 Prozent anfällt. Wie sind die günstigen Großerbschaften möglich, die eine parlamentarische Anfrage der Linken ans Licht bringt? "Wird eine Firma vererbt oder verschenkt, muss meist weit weniger versteuert werden als etwa bei Wertpapieren oder Immobilien", erklärt Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). "Und die Topvermögen bestehen eben zum großen Teil aus Firmen."

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Kommentar von Alexander Hagelüken

So entstehen scharfe Gegensätze. "Die ärmere Hälfte der Bevölkerung erbt fast nichts", weiß Bach aus seiner Forschung. Wer aus der Mittelschicht steuerpflichtig bis eine Million Euro bekommt, zahlt im Schnitt zehn Prozent ans Finanzamt. Wem dagegen mehr als 100 Millionen Euro in den Schoß fallen, der muss laut der Statistiker-Daten nur halb so viel abgeben. Zwei Drittel dieser XXL-Erben, die vergangenes Jahr zusammen 15 Milliarden Euro kassierten, zahlten gar nichts.

"Deutschland ist ein Steuerparadies für Multimillionäre"

"Je höher das geerbte oder geschenkte Vermögen, desto geringer die Steuerbelastung", folgert Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken im Bundestag. "Deutschland ist ein Steuerparadies für Multimillionäre. Es ist extrem ungerecht, dass Kinder in Armut leben müssen, Rentner immer mehr zur Kasse gebeten werden, die Mitte keine spürbare Entlastung erfährt und superreiche Erben und Beschenkte auf astronomische Summen kaum Steuern zahlen."

Wirtschaftsverbände verteidigen die gesetzlichen Ausnahmen für Unternehmenserben vehement. Das Vermögen stecke oft in der Firma. Müssten höhere Steuern bezahlt werden, erzwinge das den Verkauf von Anteilen. Das sei etwa bei Familienunternehmen kompliziert und könne ohnehin negative Effekte haben. Insgesamt sicherten die Ausnahmen viele Arbeitsplätze, gerade im Mittelstand.

Auch Ökonomen wie Stefan Bach finden es richtig, Firmenübertragungen zu bevorzugen, um gesamtwirtschaftliche Schäden zu vermeiden. "Die Politik soll Rücksicht nehmen" sagt der DIW-Steuerexperte. "Aber nicht so viel wie heute. Sonst zerstört sie die Legitimation der Erbschaftsteuer, die Vermögen erfassen soll, das jemand ohne Leistung erwirbt".

Das Bundesverfassungsgericht rügte 2014 das Ausmaß der Unterschiede zwischen Firmen- und anderen Erben. Die Bundesregierung musste die Vorschriften verschärfen. Auf Druck der Wirtschaft änderte sie unter dem Strich allerdings wenig. "Die aktuelle Besteuerung der Reichen verstärkt die Ungleichheit in Deutschland weiter", analysiert Bach.

Nach Daten der Europäischen Zentralbank liegt das mittlere Vermögen in der Bundesrepublik niedriger als in fast allen anderen Eurostaaten. Rund 40 reichen Haushalten, sehr häufig Firmenerben etwa von Aldi oder BMW, gehört nach DIW-Berechnungen so viel wie der gesamten ärmeren Hälfte der deutschen Bevölkerung. Wer überhaupt etwas erbt oder geschenkt bekommt, erhält in der Hälfte der Fälle weniger als 50 000 Euro. Erbschaften über fünf Millionen machen 0,1 Prozent der Fälle aus - aber die Hälfte aller Firmenvermögen, die übertragen werden.

Schenkungen oder Stiftungen sollen helfen, Steuern zu umgehen

Um den Erben Steuern zu ersparen, verschenken Eigentümer das Unternehmen oft vorab oder wählen Stiftungslösungen. Die Auswertungen des Statistischen Bundesamts zeigen, wie viel Steuern in der Realität bei Schenkungen anfallen. Beziehungsweise: wie wenig. Von jenen etwa 30 Bürgern, die 2018 100 Millionen Euro oder mehr geschenkt bekamen, zahlten nur fünf überhaupt etwas. Im Schnitt waren es insgesamt 0,2 Prozent Steuern.

"Für Superreiche gelten in Deutschland offenkundig Apple-Steuersätze", kritisiert Dietmar Bartsch. "Das deutsche Steuersystem züchtet so einen Geldadel, der von seinem Beitrag für die Allgemeinheit weitgehend befreit ist. Wir brauchen eine große Reform, die Superreiche und Konzerne zur Kasse bittet und gleichzeitig kleine und mittlere Einkommen und Betriebe entlastet."

Stefan Bach fordert eine Mindeststeuer für große Firmenvermögen von zehn bis 15 Prozent. Die Jahreseinnahmen aus der Erbschaftsteuer von aktuell sieben Milliarden Euro würden sich verdoppeln. "Mit dem Geld ließe sich die gebeutelte Mittelschicht entlasten", schlägt der DIW-Ökonom vor. "Oder die Bildungsausgaben für die ärmere Hälfte der Bevölkerung erhöhen, die nichts erbt."

© SZ vom 02.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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