Energiekonzerne:Misstrauen im Atom-Quartett

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Zoff um längere Laufzeiten: Kein Betreiber des deutschen Atom-Quartetts will Opfer akzeptieren und Anlagen kampflos vom Netz nehmen.

Markus Balser und Michael Bauchmüller

Die Strategie der deutschen Atomkonzerne ist derzeit ziemlich einfach, sie folgt zwei klaren Vorsätzen. Erstens: Sich ruhig verhalten. Zweitens: Geschlossen auftreten. Seit Wochen müht sich die Branche, den Streit um die Kernkraft nicht unnötig zu befeuern. Selten nur schert eins der vier Betreiberunternehmen aus. Wenn schon die Koalition nicht einer Meinung ist, wollen zumindest die Konzerne mit einer Stimme sprechen. Manchmal gelingt das sogar.

Die Politik diskutiert über die Laufzeiten - und die vier großen Atomkonzerne streiten mit. (Foto: ddp)

Jetzt allerdings droht Ungemach. Die Gespräche mit der Bundesregierung über Laufzeitverlängerung sind noch nicht beendet, da beginnt schon die nächste Runde im Atompoker. Betreiber und Politik müssen klären, welche Meiler zuerst vom Netz gehen sollen. Denn schon jetzt zeichnet sich ab: Im Gegenzug für ein paar Jahre mehr wird die Politik Opfer verlangen. Altreaktoren sollen von 2011 an abgeschaltet werden. Sofern die Bundesregierung ernst macht mit strengeren Sicherheitsauflagen, werden aus dem deutschen Reaktorpark 17 Einzelfällen. 17 Mal wird sich die Frage stellen, ob die Bedingungen für einen weiteren Betrieb noch gegeben sind - oder ob eine Stilllegung womöglich billiger kommt als die Nachrüstung. Damit werden die Betreiberkonzerne RWE, Eon, Vattenfall und EnBW nicht nur um jeden älteren Block zu kämpfen haben. Sie könnten sich auch daran machen, Konkurrenten loszuwerden.

Das Misstrauen ist inzwischen groß. Beispiel Vattenfall. Das Unternehmen betreibt federführend lediglich die beiden Reaktoren Brunsbüttel und Krümmel. Beide stehen nach Pannen still, beide gehören zu den umstrittenen Siedewasserreaktoren der Baureihe 69. Müssten sie stillgelegt werden, hätte Vattenfall in Deutschland die längste Zeit Atomstrom erzeugt. Zumindest die Kieler Landesregierung hätte dafür einiges übrig: Die Sympathien für die Kernkraft sind in Schleswig-Holstein überschaubar. Und obendrein ließen sich die großen Hochspannungsleitungen etwa nach Brunsbüttel auch anders nutzen: Als einer der dringend benötigten "Anlandepunkte" für Windstrom aus der Nordsee.

Beispiel RWE: Das Unternehmen ist an vier Kernkraftwerken beteiligt, außer Gundremmingen in Bayern und Emsland in Niedersachsen sind das im Wesentlichen die beiden Blöcke A und B im hessischen Biblis. Letztere zählen zu den ältesten in Deutschland, in die Kritik gerieten sie in der Vergangenheit, weil es außerhalb der Reaktoren keine Leitwarte gibt, von der sich im Notfall die Anlagen steuern ließen. Stattdessen sichern sich die Schaltzentralen beider Blöcke gegenseitig ab - das ist nicht zwangsläufig gefährlich, aber in Deutschland unüblich. Laut Verhandlungskreisen aber könnte Biblis am Netz bleiben - auch weil die hessische Landesregierung der Kernkraft immer offen gegenübergestanden habe, heißt es.

Alt oder neu? Die Frage wird sich nicht nur an der Sicherheit einzelner Anlagen entscheiden. Es geht auch um Macht und Mehrheiten. Die Politik habe einen erheblichen Interpretationsspielraum, welche Anlagen sie als unsicher einstuft, heißt es aus der Branche. Die Bundesregierung mag zu all dem derzeit nichts sagen, es bewege sich alles im Reich der Spekulation. "Die Frage der Sicherheit wird ein wichtiger Teil eines Energiekonzepts", sagte ein Sprecher des Bundesumweltministeriums am Montag in Berlin. "Wie sich das auf einzelne Anlagen auswirkt, kann ich nicht beantworten."

Opfer will bisher jedenfalls kein Betreiber des deutschen Atom-Quartetts akzeptieren, keiner will Anlagen kampflos vom Netz nehmen. Während RWE-Chef Jürgen Großmann längere Laufzeiten für alle Meiler seines teils betagten Parks fordert, werben Konkurrenten hinter vorgehaltener Hand mit Sicherheitsvorteilen junger Kraftwerke und lehnen einen Bestandsschutz ab. Dem Manager eines Energieversorgers schwant: "Es sieht so aus, als stünden wir in der Atomdebatte noch immer am Anfang."

© SZ vom 10.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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