Auf diesen Zyklus ist Verlass. Zuerst fehlt das Geld, dann die Investitionen und schließlich gibt es zu wenig Öl. Wenn es so weitergeht, das sagt die Internationale Energieagentur in ihrem heute veröffentlichen Welt-Energieausblick voraus, ist der nächste Ölpreisschock nur noch eine Frage der Zeit.
Der Bericht des Pariser Thinktanks ist eine der am meisten beachteten Publikationen zur Zukunft der Energiemärkte. Und während kurzfristig mit den Ölpreisen auch die Preise für Benzin und Diesel relativ niedrig bleiben dürften, warnen die IEA-Experten deutlich: Wenn es so weitergeht, steht die nächste Phase extrem hoher Ölpreise schon bevor.
Gute zwei Jahre ist es nun her, als das damals sehr teure Erdöl immer billiger wurde. Zwischenzeitlich war der Preis um bis zu drei Viertel gesunken. Grund dafür ist ein anhaltendes Überangebot auf dem Weltmarkt, begünstigt zunächst durch den Boom der Schieferöl-Produktion in den USA und später einer Rekord-Ölförderung in Russland.
Trotz der niedrigen Preise stieg auch in den 14 im Ölkartell Opec organisierten Staaten die Fördermenge auf Rekordniveau. Zugleich stieg die Nachfrage weniger schnell, als angesichts des rasanten Preisverfalls auch Organisationen wie die IEA erwartet hatten. Jetzt sind weltweit die Lager voll, die Öl-Staaten produzieren um die Wette und ringen um Marktanteile - und die Verbraucher können gar nicht so viel tanken, wie es zu viel Öl gibt. Wie lange bleibt das noch so?
Für Ölproduzenten, -händler und Analysten gibt es kaum eine wichtigere Frage, aber niemand kennt die genaue Antwort. Den Experten der IEA reicht die aktuelle Marktentwicklung indes, eine deutliche Warnung zu formulieren. Im vergangenen Jahr wurden so wenige konventionelle Förderprojekte erschlossen wie seit den 1950er-Jahren nicht mehr, heißt es im aktuellen Energieausblick. Im laufenden Jahr hat sich daran bislang nichts geändert. "Sollte das bis einschließlich 2017 oder danach andauern", schreibt die IEA, "wird es zunehmend unwahrscheinlich, dass Angebot und Nachfrage ohne rasante Preissteigerungen ausgeglichen werden können."
Bleiben die Ölpreise aber weiterhin so niedrig, werden Ölkonzerne und -staaten weiterhin viel zu wenig investieren, um die global steigende Nachfrage nach dem Rohstoff auch in einigen Jahren noch decken zu können. Die heutige Situation würde sich bis dahin genau umkehren: Aus einem deutlichen Überangebot würde eine große Lücke zwischen Nachfrage und verfügbarem Erdöl. Um das zu verhindern, sagte Tim Gould, Hauptautor des Energieausblicks, "würde eine nie dagewesene Anstrengung nötig, um den verlorenen Boden gutzumachen und die Nachfrage zu decken." Die Zeit dafür wird knapp.
Fehlendes Geld bedeutet fehlendes Öl
Hinter diesem verzögerten Zyklus steckt eine Eigenart des Ölmarkts. Bis aus neu erschlossenen Quellen Öl fließt, vergehen nach der ersten Investition in der Regel drei bis sechs Jahre. Diese Schätzung bezieht sich auf konventionelle Quellen, also Projekte, bei denen nicht in der Tiefsee gebohrt wird, mittels Fracking Schiefergestein aufgesprengt oder mit riesigen Baggern Teersand abgebaut werden muss. Dass die Ölförderung trotz der niedrigen Preise weiter stieg, lag auch an den vielen bereits getätigten Investitionen. Wer schon mehrere Milliarden Dollar in einem Förderprojekt versenkt hat, beeilt sich ungeachtet der Preisentwicklung, es auch fertigzustellen.
Umgekehrt übersetzt sich heute fehlendes Geld in wenigen Jahren in fehlendes Öl. Im Zusammenspiel dieser Verzögerungen wechseln sich Phasen hoher und niedriger Preise ab. Inzwischen sind diese Zyklen noch komplexer geworden: Schieferöl-Produzenten in den USA können sehr schnell auf Preisänderungen reagieren. Lohnt sich deren Förderung ab einem bestimmten Preis wieder, fließt binnen Monaten zusätzliches Öl. Heftige Preisbewegungen gibt es deshalb kurzfristig nicht.
Wohl aber im Zeitraum von einigen Jahren, betont jetzt die IEA: Um die Ölproduktion auch in konventionellen Quellen stabil zu halten, muss beständig sowohl in bestehende Ölfelder als auch in neue Projekte investiert werden. Jede erschlossene Ölquelle gibt mit der Zeit weniger her. "Dadurch geht derzeit alle zwei Jahre die Produktion eines ganzen Irak verloren", sagte Gould. Irak ist der zweitgrößte Ölproduzent der Opec und fördert derzeit schätzungsweise 4,7 Millionen Barrel Öl am Tag (ein Barrel = etwa 159 Liter). Das sind mehr als fünf Prozent des globalen Bedarfs.
Um die nahe und langfristige Zukunft der Energiemärkte vorherzusagen, hält sich die IEA mit konkreten Prognosen zurück und arbeitet stattdessen mit verschiedenen Szenarien. Ein neuer Ölpreisschock setzt im wahrscheinlichsten Szenario voraus, dass die globale Nachfrage weiter moderat steigen wird. Allein die Fracht- und Luftfahrtindustrie sowie die Chemiebranche dürften dafür bereits sorgen. Einen Durchbruch der Elektromobilität und eine Fortsetzung des Booms der erneuerbaren Energien halten die IEA-Experten zwar für wahrscheinlich - ein neue Phase sehr hoher Ölpreise nach 2020 wird das allerdings nicht verhindern können.